Dafür klappt es in der Abwehr sehr gut – der verletzungsanfällige Holger Badstuber wirkt wie ein enorm wichtiger Baustein bei Euch. Beten die Stuttgarter Anhänger jeden Tag zum lieben Gott, damit der Kerl bloß fit bleibt?
Holger Badstuber ist in der Tat ein wichtiger Spieler in der Abwehr – aber glücklicherweise nicht der wichtigste. In der Viererkette von Tayfun Korkut ist für ihn neben Benjamin Pavard und Timo Baumgartl eigentlich kein Platz, weswegen Badstuber neuerdings den Platz von Christian Gentner auf der Doppelsechs neben Ascacíbar einnimmt. Seine Übersicht, Ruhe am Ball und auch sein Spielaufbau sind überragend, genauso wie seine Zweikampfstärke. Auf der anderen Seite hat er nur einen Vertrag für ein Jahr unterschrieben, der im Sommer ausläuft. Wenn er den verlängert und uns auch in der kommenden Saison Stabilität verteilt: Super. Wenn nicht, wären wir aber auch ohne ihn nicht ganz so schlecht aufgestellt.
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Viel Aufmerksamkeit wird dem VfB in dieser Saison nicht zuteil. Was zeichnet das Stuttgarter Spiel 2017/18 grundsätzlich aus?
Ich habe es im Grunde schon angesprochen: Eine stabile Defensive, der glücklicherweise in den letzten Spielen auch keine Leichtsinnsfehler mehr unterlaufen. Das ist auch der große Unterschied zur vorletzten Saison, als wir am Ende mit 75 (!) Gegentoren abstiegen. Das ist teilweise auch der Fünferkette geschuldet, mit der wir in der Hinrunde aufliefen. Im Spiel nach vorne hat es dann aber ziemlich gehapert, weil vor allem Andreas Becks Stärken eher in der Verteidigung liegen, er als Außenverteidiger aber vorne viel effektiver hätte sein müssen. Dennoch sind wir in einigen Spielen zu unseren Chancen und Toren gekommen – vor allem gegen Ende der Hinrunde aber auch erschreckend harmlos gewesen, trotz großen Anteilen am Ballbesitz. Stets bemüht trifft es wohl am Besten. Unter Tayfun Korkut wurde die Defensive noch stabiler, das Offensivspiel etwas aktiver, allerdings haben wir derzeit auch mit den wenigsten Ballbesitz der Liga. Kein Wunder, wenn Du mit einer Führung im Rücken auf Konter lauerst.
Zuhause ist Stuttgart eine absolute Macht, auswärts dagegen ein Abstiegskandidat. Woran liegt diese Diskrepanz aus deiner Sicht?
Ehrlich gesagt: Keine Ahnung. Dass man zu Saisonbeginn mal zwei Heimspiel gewinnt und zwei Auswärtsspiele verliert, ist ja noch nichts ungewöhnliches. Aber irgendwann setzt sich sowas, glaube ich, auch in den Köpfen fest. Dann verlierst du Auswärtsspiele, die du eigentlich gewinnen solltest – in Bremen oder in Hamburg – und gewinnst Heimspiele, die du eigentlich verlieren solltest – gegen Dortmund.
Dass man zu Saisonbeginn mal zwei Heimspiel gewinnt und zwei Auswärtsspiele verliert, ist ja noch nichts ungewöhnliches. Aber irgendwann setzt sich sowas, glaube ich, auch in den Köpfen fest. Dann verlierst du Auswärtsspiele, die du eigentlich gewinnen solltest, und gewinnst Heimspiele, die du eigentlich verlieren solltest.
Die VfB-Fans gelten generell als ziemlich anspruchsvoll, doch die Unterstützung war in dieser Saison auch in den schwierigen Phasen da. Hat der Gang in die 2. Liga da etwa heilenden Effekt gehabt?
Puh, da triffst Du bei mir einen wunden Punkt. (lacht) Ich kann diese Wahrnehmung vom „kritischen Stuttgarter Publikum“ überhaupt nicht nachvollziehen. Sicherlich, vor zehn, fünfzehn Jahren, als wir fast jedes Jahr international spielten, da mag das durchaus zugetroffen haben. Aber mittlerweile zeichnet sich der Großteil der Fanszene, vor allem im Stadion, durch eine ziemlich große Leidensfähigkeit aus. Man darf meiner Meinung nach nicht vergessen, was wir in den letzten zehn Jahren durchgemacht haben. In der Kurzversion: Champions League-Teilnahme 2009, danach ein zu teurer Kader, der sich nicht mehr für die Champions League qualfiziert und immer weiter zusammen gespart wird, bis der VfB zwei Jahre in Folge dem Abstieg gerade so von der Schippe springt und auch im dritten Jahr nichts daraus lernt und am Ende absteigt. In dieser ganzen Zeit ist es in Stuttgart genau zwei Mal richtig eskaliert: 2011, als wir am 15. Spieltag auf Platz 17 standen und Fans vor der Haupttribüne sangen „Wenn ihr absteigt, schlagen wir Euch tot“ und am 33. Spieltag 2015/2016 als nach dem verlorenen Spiel gegen Mainz und dem fast sicheren Abstieg das Spielfeld gestürmt wurde.
Was selten zur Sprache kommt, ist die aufopferungsvolle Unterstützung im Abstiegskampf 2015, oder ein völlig am Boden zerstörter 18jähriger Timo Baumgartl, der gerade mit seinem Abwehrfehler die Niederlage gegen Dortmund mit verschuldet hat und nach dem Spiel von den Fans getröstet wird. In der zweiten Liga ist eine gewisse Euphorie entstanden, das stimmt, die hat sich sogar noch bis in die Bundesliga-Saison gezogen – bis zum Trainerwechsel. Aber auch hier muss man die Missstimmung meiner Meinung nach in den Kontext von sechs Trainerwechseln in den letzten drei Jahren setzen. Natürlich gibt es Fans, die es noch viel schwerer hatten in den letzten Jahren. Aber für uns war es einfach nur noch zermürbend. Ein ähnliches Gefühl werden die HSV-Fans kennen, weswegen ich den Frust, der sich da gerade Bahn zu brechen scheint, gut nachvollziehen kann. Auch wenn ich die Form, in der er sich ausdrückt, natürlich ablehne.
Bei uns sieht es derweil danach aus, als ginge es wieder ins Fußball-Unterhaus. Oder siehst du noch Chancen für den effzeh im Kampf um den Klassenerhalt?
Zumindest mehr als noch vor drei Monaten. (lacht) Dass Ihr den Rückstand auf Platz 17 aufgeholt habt, ist schon beeindruckend. Aber ich habe schon zu viele Abstiegskämpfe gesehen. Wer so eine Hinrunde hinlegt wie Ihr, der steigt am Ende mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit ab. Denn es sind ja immer noch sieben Punkte Rückstand auf den Relegationsplatz und ihr spielt ja momentan meiner Wahrnehmung nach eher schon am Limit. Diesen Rückstand in zehn Spielen noch aufzuholen ist ein Kraftakt, den ich Euch aus Erfahrung nicht zutraue. Leider. Ich fahre gerne nach Köln.
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Von außen betrachtet: Hast du erwartet, dass unser Höhenflug mit einem solchen Absturz enden wird?
Nein. Mir war zwar klar, dass Modeste für Euch letzte Saison von herausragender Bedeutung war. Aber dass das so in die Binsen geht, hätte ich nicht erwartet. Wobei ich aber die Bundesliga in der vergangenen Spielzeit nicht so genau verfolgt habe, sondern mehr drauf geachtet habe, was Hannover und Braunschweig machen. Deswegen kann es durchaus sein, dass mir das eine oder andere Detail entgangen ist, dass vielleicht in der vergangenen Saison schon darauf hingewiesen hätte, wie viel an Modeste hängt.
Der FC wird am Sonntag wie in den vergangenen Spielen von Beginn an alles reinwerfen, denn Unentschieden bringen Euch ja nicht weiter. Wenn es gut für uns läuft, beißt Ihr Euch aber an unserer Abwehr die Zähne aus und wir nutzen wieder früh eine unserer Konterchancen.
Der effzeh muss nachlegen, um im Abstiegskampf noch eine Chance zu haben, während der VfB mit viel Selbstbewusstsein anreist und sich das Ganze erst einmal anschauen kann. Was für eine Partie erwartest du am Sonntagnachmittag?
Ich erwarte, dass der FC am Sonntag wie in den vergangenen Spielen von Beginn an alles reinwirft, denn Unentschieden bringen Euch ja nicht weiter. Wenn es gut für uns läuft, beißt Ihr Euch aber an unserer Abwehr die Zähne aus und wir nutzen wieder früh eine unserer Konterchancen. Wenn es schlecht läuft, rutscht uns doch einer durch und wir laufen einem Rückstand hinterher – eine Situation, die die Mannschaft unter Korkut kaum kennt. Nach den letzten Spielen und angesichts Eurer Tabellensituation ist aber klar: Es wird ein intensives Spiel.
Zum Schluss: Dein Tipp, bitte!
Ich tippe nie gegen den VfB. 2:1 für uns. Ich glaube nicht, dass wir noch einmal zu null spielen, aber dass wir in der Lage sind das Spiel am Ende für uns zu entscheiden. Aber frag mich bitte nicht nach der Reihenfolge der Tore. (lacht)