„Ich wusste nicht, dass man erst Pferd gewesen sein muss, um ein guter Jockey zu werden” – dieses Zitat des italienischen Trainers Arrigo Sacchi verdeutlicht den Konflikt, mit dem sich der Fußballbetrieb ständig auseinandersetzt. Konkret geht es dabei darum, dass einstmals gute Spieler nicht zwingend gute und kompetente Trainer und Funktionäre werden. Alleine eine großartige Karriere als Spieler setzt nicht unbedingt voraus, dass ein Fußballer später auch als Entscheidungsträger gute Arbeit leistet und seinen Verein voranbringt.
Eine Fragestellung also, die in der letzten Woche im Umfeld des 1. FC Köln Hochkonjunktur hatte – der Mitgliederrat des effzeh hatte in seinem Wahlvorschlag darauf verzichtet, mit Toni Schumacher einen ehemaligen Weltklasse-Torhüter für eine weitere Amtszeit als Vizepräsident zu nominieren. In der Folge war die Angst groß, dass beim Aufsteiger in der Führungsetage die “Fußballkompetenz” oder etwas breiter formuliert die “sportliche Kompetenz” fehlen würde – ein Schreckensszenario für viele der Beobachtenden.
Fußballkompetenz ist auch auf der Ebene des DFB ein Thema
In der jüngeren Vergangenheit erhielt die Diskussion um “Fußballkompetenz” in Deutschland und damit auch jenseits von Köln einen immensen Aufschwung, weil das Vorrundenaus bei der Fußball-Weltmeisterschaft im Sommer 2018 in Russland einigen Menschen aufzeigte, dass Deutschland nicht mehr das Nonplusultra im Weltfußball ist und deswegen auch die Strukturen überdacht werden sollten – mit dem Abstieg des 1. FC Köln im selben Jahr ergab sich also eine interessante Parallele, denn auch am Geißbockheim ging es nach einem großen Erfolg rapide bergab. Und das auch mit Toni Schumacher, einem einstigen Weltklasse-Torwart, als Vizepräsident.
Den deutschen Fußball zur Weltspitze zu zählen, war speziell nach dem innerdeutschen Champions-League-Finale im Jahr 2013 en vogue. Ein Jahr später gewann die DFB-Elf den Weltmeistertitel in Brasilien, was das Überlegenheitsgefühl verstärkte. Zwischendurch schnitten die deutschen Vereine in den europäischen Wettbewerben zwar bis auf einige Ausnahmen konstant schlecht ab, die Titelgewinne beim Confed Cup und der U21-EM beruhigten die Gemüter dann allerdings wieder.
In Europa und Champions League gewannen alle deutschen Vertreter in den Saisons 2016/2017 und 2017/2018 jedoch nicht einmal die Hälfte aller Spiele. Der Europapokalteilnehmer 1. FC Köln stieg nach einer Saison in der Europa League gar sang- und klanglos in die zweite Liga ab. Die DFB-U19 qualifizierte sich in diesem Sommer nicht für die anstehende Europameisterschaft, in der Youth League der UEFA spielte der deutsche Nachwuchs sowieso nie eine große Rolle. Wie steht es also um die “Fußballkompetenz” in Deutschland?
Im Fußball braucht es eine langfristige Strategie
Das Ausscheiden in Russland hatte zuerst einmal erbitterte Diskussionen rund um Taktik, Jugendausbildung und Identifikation zur Folge – das dominante Thema war der Besuch von Mittelfeldspieler Mesut Özil beim türkischen Staatspräsidenten Erdogan, was natürlich direkt nichts mit der sportlichen Leistungsfähigkeit der Mannschaft zu tun hatte. Doch die unsäglichen Debatten um Integration und fehlende Körpersprache überlagerten die Auseinandersetzung mit den tatsächlich wichtigen und fußballbezogenen Aspekten – und damit der Auseinandersetzung mit dieser für den Sport so wichtigen Kompetenz, richtige Entscheidungen im Fußball-Kosmos zu treffen.
Oft genannte Vorwürfe bezogen sich beispielhaft darauf, dass in Deutschland nur noch gewisse Spielertypen entwickelt würden und Ausnahmekönner auf der Strecke blieben, weil sie nicht ausreichend gefördert würden. Insofern war es eine gute Maßnahme, dass der DFB nach der WM in seine Leitlinien für die tägliche Arbeit „Variabilität“ und „Individualität“ aufgenommen hat. Variabilität beschreibt, dass eine Vielzahl an Trainer- und Spielertypen gefördert werden soll und nicht nur der Einheitsbrei. Individualität soll ermöglichen, dass Spieler auch ganz eigene Wege der Lösungsfindung unter Zeit-, Raum- und Gegner-Druck finden sollen dürfen. Das kann man aus fachlicher Sicht durchaus als Fortschritt werten, weil in der Führungsriege Entscheidungen getroffen wurden, die den Fußball in Deutschland ganzheitlich besser machen sollten.
Fest steht, dass ein singuläres Ereignis wie eine Weltmeisterschaft normalerweise nicht Ausgangspunkt für tiefgreifende Revolutionen sein sollte – beim DFB verpasste man es schon vier Jahre zuvor und im Erfolgsfall, die nötigen Weichenstellungen für eine bessere sportliche Zukunft zu schaffen. Ähnlich war es auch beim 1. FC Köln, der, anstatt der Zeit ein paar Schritte voraus zu sein, einen Brandherd nach dem anderen löschen musste und vor kurzem erst wieder die Rückkehr in die Bundesliga sicherstellen konnte.
Ohne Toni Schumacher keine Fußballkompetenz mehr beim 1. FC Köln?
Die später von Bundestrainer Joachim Löw angefertigte Analyse über das Scheitern kam einerseits zu spät und andererseits verkannte sie die tieferliegenden Probleme des deutschen Fußballs. Mit sieben Millionen Mitgliedern ist der größte Dachverband der Sportwelt auch nicht leicht zu verändern – Landesverbände, Medien und Funktionäre auf allen Ebenen haben alle ihre eigenen Ideen in Bezug auf die Weiterentwicklung des deutschen Fußballs. Sie alle wollen das große Dampfschiff DFB in eine gewisse Richtung lenken, was einen Turnaround nicht immer leicht macht. Beim 1. FC Köln beschränkte sich der ehemalige Fußballer Schumacher nahezu ausschließlich darauf, den Abstieg als “Unfall” zu bezeichnen, ohne selbst Verantwortung zu über- oder die Geschäftsführung in die Pflicht zu nehmen.
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