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Analyse

Problemanalyse beim 1. FC Köln: Der Sechserraum

Der FC-Fehlstart ist perfekt. 1 Punkt aus vier Spielen – zu wenig. Wir schauen in unserer Analyse auf die Gründe.

Foto von Dean Mouhtaropoulos/Getty Images

Wir alle wissen es: Fußball ist ein Fehlersport. Macht niemand auf dem Platz Fehler, so fällt mit erhöhter Wahrscheinlichkeit kein Gegentor. Der 1. FC Köln hat in der Bundesliga in vier absolvierten Partien sieben Tore kassiert – und hat dabei logischerweise auch einige Fehler begangen. Dabei geht es nicht um Tore nach Standards, hier kann immer – wie gegen Dortmunds Donyell Malen – mal einer durchrutschen und letztlich mit viel Glück über den Scheitel Leart Pacaradas reinflutschen – hier geht es um Tore aus dem Spiel heraus. Wir haben uns also alle diese Tore, die aus sogenanntem “offenen Spiel” heraus resultierten, angeschaut und versucht, die Fehler herauszudestillieren. Dabei geht es mitnichten um individuelle Fehler, verlorene Zweikämpfe und dergleichen. Fakt ist: Bei mindestens drei dieser vier Tore aus dem Spiel heraus fehlten nur Zentimeter und der jeweilige FC-Spieler hätte den Ball wegspitzeln können.

Nein, es geht hier vielmehr um systemische Probleme, die die hohe Anzahl an Gegentoren zumindest im Ansatz erklären können. Denn Fakt ist auch: Außer gegen Dortmund hat der FC in jedem Spiel getroffen. Sicherlich würde sich auch eine Analyse der Offensive lohnen, jedoch soll es heute darum gehen, warum man aus den eigenen Torerfolgen kaum Punkte mitnehmen konnte. Hierbei fällt Folgendes auf: der FC hat ein Problem, seinen Sechserraum konsequent zu besetzen. Im Einzelnen:

Der Ausgleich gegen Wolfsburg

Der FC lag in Führung, als die “Wölfe” aufdrehten und ihre individuelle Klasse aufblitzen ließen. Dabei fiel das 1:1 durch Jonas Wind nach einer Kombination im Mittelfeld: Patrick Wimmer kann sich in einem Zweikampf mit Eric Martel durchsetzen und ins Mittelfeld fallen lassen, dort dreht er auf und hat einen relativ freien Passweg auf Mattias Svanberg, der seinerseits auf Wind klatschen lässt. Dieser verzögert etwas und lässt den herbeieilenden Benno Schmitz aussteigen, eher er relativ leicht einschieben kann. Schmatisch sieht dies so aus:

Das Wolfsburger 1:1: Wimmer steckt im Folgenden auf Svanberg durch, der auf Wind klatschen lässt – dieser kann dann relativ einfach einschieben.

Was in der Grafik rot markiert wurde, ist das Problem in dieser Szene: der völlig verwaiste Sechserraum. Martel steht mit Timo Hübers (der auch aus der Position herausgeschossen kam, um zu helfen, eben weil der Raum so leer war) und Dejan Ljubicic auf einer Linie, aber keiner von den Dreien hat Zugriff auf Wimmer. Als dieser sich nun kurzzeitig vom Kölner Tor wegdreht und zurück ins Mittelfeld fallen lässt, muss er sich nur noch wieder aufdrehen, um den gesamten freien Raum vor sich zu haben. Ein Spieler seiner Klasse sieht dann eben auch Svanberg, der wiederum auch nicht am Klatschenlassen gehindert werden kann – und da Hübers eben zuvor aus der Position herausgeeilt war, ist nun niemand mehr beim Wolfsburger Mittelstürmer. Viel fehlte nicht und Martel gewinnt den Zweikampf und somit den Ball gegen Wimmer, dann könnte er direkt einen Konter einleiten. Gewinnt er ihn aber nicht, wie hier geschehen, ist das Feld offen.

Hier ist zu sehen, dass das Positionsspiel nicht funktioniert hat: Martel und Ljubicic stehen gemeinsam auf etwa zwei Quadratmeter im mehr oder weniger toten Raum, weil sie sich am Ball orientiert haben. Einer von beiden müsste aber konsequent die “Sechs” (also die defensive Mitte vor der Abwehr) halten, um genau diesen Pass von Wimmer abzufangen. Sind beide aus der Position, so muss der Zehner oder der linke Achter dies sehen und die Position besetzen. Allerdings wird Rasmus Carstensen hier von Svanberg gebunden. Da aber gleich zwei Spieler (Martel und Hübers) aus der Position sind und niemand anders diese besetzt, fällt dieser Treffer.

Wolfsburgs Siegtor

Beim Siegtor der Automobilherstellertruppe zeigten sich leider ähnliche Muster wie beim Ausgleich. Hier reichten genau zwei Wolfsburger, um den ganzen FC zu narren: Joakim Maehle dribbelt nach guter Ballannahme auf die Kölner Viererkette zu, Hübers rückt erneut aus der Position heraus, verliert seinen Zweikampf (auch hier fehlten wieder nur Zentimeter) und absolut niemand orientiert sich an Wind, der um sich herum mehr Platz hat als in einem durchschnittlichen KVB-Abteil morgens um 11.

Maehle legt auf Wind zurück, der sich über sehr viel Platz freuen darf

Jeff Chabot hätte die Szene noch löschen können, wenn er sich direkt an Wind orientiert hätte, aber eigentlich ist das in dieser Situation nicht seine Aufgabe, denn normalerweise sollte (zumal beim Stande von 1:1, wo man nicht bedingungslos “aufmachen” muss) hier der Sechser stehen und Wind an der Ballannahme hindern. Die Sechser waren aber im eigenen Ballbesitz zu weit aufgerückt und kamen nicht mehr rechtzeitig zurück (ehrlichweise muss man auch sagen, dass keiner von ihnen es wirklich im Vollsprint versucht). Wind hat dann letztlich zwar Glück, dass er den Rebound nach Marvin Schwäbes guter Parade direkt wieder vor die Füße bekommt, aber der Angriff hätte komplett im Keim erstickt werden können – zumal aus einer personellen 4:2-Überzahl nie ein Tor fallen sollte. Erneut war hier die unbesetzte Sechs aber der Kern des Problems.
Bei Wimmers Lattenschuss im gleichen Spiel war das übrigens auch der Fall, auch wenn hier nur auf direkte Tore eingegangen wird.

Frankfurts später Ausgleich

Frankfurt hat mit Mario Götze und Paxton Aaronson hohe individuelle Qualität im offensiven Mittelfeld und damit zwei Spieler, die sehr gut darin sind, Spielsituation blitzschnell zu erfassen und freie Räume anzuvisieren. Diesen Spielern sollte man also, zumal in der 88. Minute, keine Räume bieten. Der Fairness halber muss man sagen, dass dem Angriff der eklatante doppelte Ballverlust von Faride Alidou gegen Sebastian Rode vorausging. Der FC war also bereits im Ballbesitz-Modus und konnte nicht mehr umschalten. Allerdings stand man selbst für den Fall, dass Alidou den Ball nicht verliert und einen Angriff einleiten will, nicht ideal.

Götze will auf Ngankam zurücklegen, der Ball kommt stattdessen zu Aaronson, der leicht auf Nkounkou durchstecken kann

Götze will auf Ngankam zurücklegen, der Ball kommt stattdessen zu Aaronson, der leicht auf Nkounkou durchstecken kann (Hinweis: der FC spielte in dem Spiel eigentlich in blau, wird hier jedoch in rot dargestellt)

Auffällig ist hier, wie viel Platz, Jessic Ngankam, Aaronson und Niels Nkounkou haben, während Matias Olesen und Martel quasi in einer Reihe stehen und sich beide an einem Frankfurter (Jens Petter Hauge) orientieren, der mit dem Angriff nichts zu tun hat. Mindestens einer der beiden hätte selbst für den Fall des Ballbesitzes in der Mitte anwesend sein müssen, weil seine Anwesenheit in einem ungefährlichen Raum, der bereits besetzt ist, nicht nötig ist. Da zudem Hübers (erneut) aus der Position ist, um sich Alidou als Anspielstation anzubieten, damit genau dieser Ballverlust nicht passiert, schiebt die gesamte Viererkette zu weit nach links und so steht der spätere Torschütze Nkounkou völlig frei. Mit vielen kleineren Entscheidungen hätte man dieses Gegentor verhindern können: Alidou legt zurück auf Hübers, der den Ball wegdreschen kann oder Rasmus Carstensen orientiert sich an Nkounkou, da er keinen anderen Gegenspieler fürchten muss – allerdings ging sein Blick nur zum Ball. Grundsätzlich wäre aber auch dieses Tor verhindert worden, wenn der Sechserraum einfach konsequent besetzt wäre.

Grillitsch’ Tor des Monats

Das Spiel gegen Hoffenheim war in vielerlei Hinsicht besonders: nicht nur das schnelle Gegentor nach 50 Sekunden, sondern auch gleich zwei Kandidaten für das “Tor des Monats”. Gewinnen wird dies vermutlich Florian Grillitsch mit seinem Schuss aus über 50 Metern. Von den Abläufen her war das Tor ähnlich dem gegen Frankfurt, nämlich insofern, als dass der FC eigentlich im eigenen Ballbesitz war, aber durch einen sehr ärgerlichen Ballverlust plötzlich unsortiert erwischt wurde.

Huseinbasic spielt den Ball für Hübers zu lang, Schwäbes Kläraktion landet genau vor den Füßen von Grillitsch, der aus 50 Metern perfekt abschließt

Denis Huseinbasic wollte den Ball eigentlich auf Hübers zurückspielen, doch sein Pass geriet zu lang und Hübers kam nicht schnell genug in den Sprint, so dass Marvin Schwäbe in höchster Not klären musste. Sein Befreiungsschlag landete jedoch ausgerechnet bei Florian Grillitsch, der den Ball so perfekt traf, dass Jeff Chabot vor dem Tor nichts mehr ausrichten konnte. Aber auch hier ist das alte Muster zu beobachten: Grillitsch hat eben auch den Platz und die Zeit, sich den Ball so zurecht zu legen und zu zielen, dass er diesen Schuss setzen konnte. Da der designierte Sechser Huseinbasic den Ball selbst an der rechten Außenbahn verlor, war niemand auf Position. Alle anderen Mittelfeldspieler wähnten sich natürlich im Ballbesitz und orientierten sich zum Strafraum der Hoffenheimer hin, dadurch klaffte dieses große Loch.

Übrigens war der Sechserraum auch bei Maximilian Beiers Tor zum 0:3 unbesetzt – dies fiel nur dadurch nicht ins Gewicht, dass der Youngster selbst mustergültig abschloss, anstatt den Ball zurückzulegen, wo zwei weitere Hoffenheimer frei gewesen wären.

Die Gründe für diese Vakanz

Eine der Großbaustellen des FC befindet sich also im Sechserraum. Warum aber ist dieser so oft unbesetzt? Dafür gibt es aus Sicht des Analysten zwei Hauptgründe: Die vorhandenen Spielertypen einerseits, der fußballerische Ansatz, den Steffen Baumgart verfolgt, andererseits.

Hierzu ist zu sagen, dass der FC auch im letzten Jahr schon mit dem Risiko des offenen Raumes gelebt hat. Das ist Teil der Fußball-DNA, die Baumgart vorgibt. Sein Fußball sieht ja vor, dass man hoch presst und möglichst schnell und agressiv auf den ballführenden Gegner herausschiebt, was natürlich zu Positionsuntreue führt. Gewinnt man den Ball im direkten Duell, stehen viele Spieler vor dem Spielgerät und können so das Tor des Gegners realistisch in Gefahr bringen. Gelingt der Ballgewinn nicht, ist hinter dem herausschießenden Spieler in der Regel viel Raum. Zur Wahrheit des Saisonsstarts gehört auch, dass man gegen sehr pressingresistente Mannschaften gespielt hat, wo im Mittelfeld in der Regel so viel individuelle Klasse herrscht, dass ein Julian Brandt, ein Andrej Kramaric oder ein Patrick Wimmer sich aus vielen Pressingsituationen befreien können. Das FC-System ist gegen solche Gegner natürlich am Limit. Allerdings gehört zur Wahrheit eben auch, dass man seine beiden spielintelligentesten Spieler verloren hat, deren Abwesenheit genau in solchen Situationen besonders schmerzlich spürbar ist. Ein Ellyes Skhiri hat im letzten Jahr mit seinen unzählbaren Kilometern pro Spiel viele dieser Lücken ganz einfach zugelaufen und war so ein unfassbar wichtiger Mosaikstein im Baumgart-Ball. Und ein Jonas Hector hat eben nicht nur als Kapitän seine Mannschaft dirigiert und die Spieler lautstark verschoben, sondern wusste auch selbst ganz genau, wann er aus der Linksverteidigerposition ins Mittelfeld ziehen musste oder konnte, um Schlimmeres zu verhindern.

Beide Spielertypen wurden nicht ersetzt.

Zwar wurde Hectors Abgang durch Leart Pacaradas Verpflichtung durchaus qualitativ kompensiert, allerdings mit einem gänzlich anderen Spielertypen. “Paca” ist ein eher offensiv denkender Linksverteidiger, der oft Räume hinter sich lässt, wenn er die Linie rauf und runter rennt. Das Nachinnenziehende Hectors liegt nicht in seiner Spielweise verankert, er hat andere Qualitäten im System Baumgart. Aber damit fehlt eben auch der Mann auf dem Platz, der letztes Jahr wohl das beste Verständnis von der Balance aus Offensive und Defensive hatte.

Skhiri wurde gar nicht ersetzt. Dass der junge Däne Jacob Christensen noch sehr weit von Bundesligafußball entfernt ist, wird Baumgart nicht müde zu betonen. Ohnehin muss man aber hinterfragen, ob ein Spieler, der in Dänemark nur etwa die Hälfte von Skhiris Kilometern pro Spiel gelaufen ist, wirklich der gesuchte Baustein ist. Vermutlich erweist es sich als eine Fehleinschätzung zu glauben, man könne einen Mann wie Skhiri aus Bordmitteln ersetzen.

Gewissermaßen hat der FC also das gleiche Problem wie der große FC Bayern oder der DFB: man hat schlicht keinen Spielertypen Marke “Ankersechser” im Repertoire. Eric Martel wäre dies noch am Ehesten, allerdings ist der Ersatz-Kapitän der deutschen U21 eben auch noch sehr jung, spielt erst seine zweite Bundesligasaison und hat noch nicht das Auge eines Skhiris oder Hectors, was natürlich völlig logisch ist. Dass er nun mehrere Wochen verletzt ausfällt, macht die Situation noch kniffliger.

Gibt es Lösungen?

Natürlich. Wir stellen hier verschiedene Lösungsansätze diverser Grade der Wahrscheinlichkeit vor – überlassen es aber den Lesenden selbst, zu entscheiden, wie realistisch diese Optionen letztlich sind.

1) Vor einem möglichen CAS-Urteil noch einen vertragslosen Spieler verpflichten, der ins Profil des “Ankersechsers” passt. Allerdings scheint Christian Keller hier nicht geneigt, noch einmal ins ohnehin leere Portemonaie zu greifen.

2) Jemanden aus dem Nachwuchs hochziehen, der diese Rolle erfüllen kann. Allerdings ist fraglich, ob es hier wirklich den gesuchten Schlüsselspieler gibt, der auf Anhieb Bundesliga spielen kann. Da Steffen Baumgart leider auch in der letzten Saison nach erfolgtem Klassenerhalt niemanden aus der U21 auf dieser Position an den Bundesligakader herangeführt hat, wäre es für Spieler wie Georg Strauch ein völliger Kaltstart im sportlichen Überlebenskampf der Bundesliga.

3) Vom Spielsystem leicht abweichen. Vermutlich ist es gar nicht so kompliziert, einen Dejan Ljubicic oder Denis Huseinbasic aus allen Offensivaktionen herauszunehmen und konsequenter auf der Positon der Sechs zu belassen. Aber dies wäre natürlich gewissermaßen ein Verrat an Baumgarts Spielidee und würde zudem auch dringend benötigte offensive Durchschlagskraft kosten. Gerade Ljubicic ist ja eigentlich ein sogenannter Box-to-Box-Spieler, der seine Stärken gerade eben im Überladen des Strafraumes des Gegners hat. Und auch Huseinbasic ist ja eher für seinen Zug zum Tor bekannt als für seine defenisve Orientierung.

4) Einen Spieler umfunktionieren. Im letzten Spieljahr war ein Schlüssel, um aus der “Karnevalskrise” herauszukommen, Florian Kainz zum Zehner umzufunktionieren. Vielleicht ist das ja auch in diesem Jahr der Schlüssel? Mit Benno Schmitz hat man einen defensiv denkenden Spieler, der eigentlich sogar auf der Sechs ausgebildet wurde und sich als Rechtsverteidiger durchaus schwer tut dieses Jahr, weil seine Geschwindigkeitsdefizite auf der Außenbahn noch eklatanter sind, als sie das im defensiven Mittelfeld wären. Zudem könnte man Rasmus Carstensen (nach seiner Gelb-Rot-Sperre) zutrauen, die Positon des Rechtsverteidigers adäquat zu bekleiden. Eine Ideallösung ist dies sicherlich nicht, alleridngs sind wir hier ja auch im spekulativen Teil.

5) Mit sehr viel Kölsch ins Saarland fahren und Jonas Hector, nötigenfalls unter gerstensaftiger Gefügigmachung, zu einer Rückkehr ins aktive Profigeschäft überreden. ¯\_(ツ)_/¯

Bevor es nun aber zu albern wird, klammern wir uns lieber an die Hoffnung, dass mit Bremen, Darmstadt, Heidenheim, Bochum, Gladbach und Augsburg noch Mannschaften kommen werden, die anfälliger sind für das Baumgart-Pressing, so dass diese Ausrichtung gegen diese Teams vielleicht erfolgsversprechender ist als gegen die bislang bespielten Gegner. In Bremen spielt, warum auch immer, ein Christian Groß auf der Sechs. Da muss doch was gehen.

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