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Analyse

Ein kritischer Blick auf die Abläufe der Trainerfindung

Der neue Trainer ist da. Wieder eine von Kellers “kleinen Lösungen” oder doch mehr als das?

Foto von Adam Pretty/Getty Images

Timo “Schulle” Schultz ist neuer FC-Trainer. Während der 46-Jährige in der Bundesliga ein unbeschriebenes Blatt ist, hat er dennoch schon einiges in seiner Trainervita erlebt: nicht nur hat er beim FC St. Pauli fast alle Stationen im A-Bereich durchlaufen, auch hat er beim FC Basel Erfahrungen mit einem Chaos-Club sammeln können – beim FC sicherlich immer hilfreich. Allerdings wollen wir hier weniger ein Porträt des neuen Übungsleisters präsentieren – diese gibt es in zahlreichen FC-Medien seit gestern – sondern in diesem Text soll es eher um einen Blick auf die Abläufe gehen.

Transparenz & Diskretion

Zunächst einmal muss man es als großen Coup festhalten, dass der Name nicht bereits im Vorfeld durch die Gazetten geisterte. Ausnahmsweise haben alle Eingeweihten dichtgehalten und bis Donnerstagmorgen blieb diese Katze sprichtwörtlich im Sack. So konnte man in Ruhe Sondierungsgespräche führen, Timo Schultz selbst konnte sich, wie er auf der Vorstellungs-PK auch sagte, in Ruhe einige FC-Spiele im Re-Live anschauen und für sich abwägen, ob er sich diese heikle Mission zutraut: auch für ihn ist die Situation ja schließlich ein Scheideweg der Karriere, da er sein erstes Bundesliengagement sicherlich erfolgreich gestalten und somit eine positive Visitenkarte abgeben möchte. Tatsächlich ist ihm die Situation beim FC auch nicht gänzlich unvertraut: auch in Basel fand er einen fragmentarischen Kader vor, der wichtige Leistungsträger abgeben musste und notgedrungen mit Jugendspielern aufgefüllt werden musste – zeitweise standen ihm dort in der Vorbereitung nicht einmal 22 Vertragsprofis zur Verfügung, von seinen sieben Spielen war der Kader nur in dreien komplett. Das ist beim FC natürlich anders, wo es zwar Lücken auf neuralgischen Positionen gibt (z.B. im defensiven Mittelfeld), allerdings natürlich trotzdem eine zumindest im ersten Anzug gestanden Bundesligamannschaft beisammen ist. Der größten Unterschied ist jedoch natürlich, dass Basel transferieren und somit Lücken füllen durfte. Dass man ihm unter diesen Bedingungen nur sieben Spiele (1 Sieg, 2 Unentschieden, 4 Niederlagen) gewährte, ist eine sehr kurze Bewährungszeit in einer neuen Liga und geprägt von der Angst, die Europapokalqualifikation zu verpassen. Hier wird er beim FC mit Sicheheit mehr Vertrauen genießen und nicht nach sieben Spielen abberufen werden – zumal ja klar ist, dass auch der beste Trainer der Welt auf Dauer nicht komplett über dem Spielerpotential performen lassen kann.

Christian Keller am Handy

FC-Geschäftsfüher Christian Keller (Foto von Adam Pretty/Getty Images)

Insofern passt die Personalie Schultz also durchaus zum Effzeh. Weitere Argumente, die für ihn sprachen, waren sicherlich die Ablösefreiheit und die Bereitschaft, dem Vernehmen nach für eher kleines Gehalt einen Halbjahresvertrag zu unterschreiben. FC-Geschäftsführer Christian Keller hat keine dieser Vertragsdetails bestätigt, sie sind daher bislang nur Medienberichten geschuldet – gleichwohl dürfte klar sein, dass der FC keine Unsummen für seinen Trainer bezahlen kann. Man musste also jemanden finden, der nicht nur unter diesen Rahmenbedindungen zu arbeiten bereit ist, sondern auch weitere von Keller benannte Kritieren zu erfüllen. Dazu zählen sicherlich das systematische Fördern von Nachwuchsspielern mit höherer Durchlässigkeit als zuletzt, die Übernahme von André Pawlak und Kevin McKenna als Co-Trainer sowie einen ähnlichen Ansatz von Fußball wie jener von Steffen Baumgart. All diese Kriterien erfüllt “Schulle” zumindest auf dem Papier, da er aus dem Nachwuchsbereich der “Boys in Brown” stammt und auf der PK angab, einen aktiven, forschen Fußball spielen lassen zu wollen. All diese Kriterien hat Keller zuvor klar umrissen und einen Trainer gefunden, der die meisten davon auch tatsächlich erfüllt – wenn auch eben auf Kosten der Erfahrung in der Bundesliga und dem fehlenden “großen Namen”. Zumal man ehrlicherweise auch fragen muss, welcher “große Name” denn einen chronisch unruhigen Verein mit einjähriger Transfersperre auf Platz 17 der Tabelle übernehmen möchte. Schlange gestanden haben werden sie nicht.

Trägheit & kleine Lösungen

Gleichwohl passt diese Personalie auch in das Bild, das Keller in fast allen seinen Transfers abgibt: ablösefrei und eher unbekannt in der Bundesliga. Als wirklich gestandenen Bundesligaspieler hat er nur – als Korrektur im vergangen Winter – Davie Selke verpflichtet. Gegebenenfalls könnte man hier auch noch Dominique Heintz anführen, der jedoch auch nur in höchster Not kam, als Nikola Soldo verliehen wurde sowie Luca Waldschmidt, der jedoch nur ausgeliehen ist. Eine gewisse Tendenz zu Spielern, die unter dem Regal “Bundesliga” liegen und den FC als Sprungbrett nutzen wollen, ist hier also durchaus erkennbar. Bei der Trainerfrage hat er hier ähnlich gehandelt. Wirkliche Euphorie durch einen Schlüsseltransfer kommt so nicht zustande – ihm zugutehalten muss man jedoch, dass beispielsweise Union Berlin genau den gegenteiligen Ansatz verfolgt und damit auch derzeit nicht viel besser dasteht als der FC. Jedoch fragt man sich als entfernter Beobachter immer wieder, ob Keller gestandene Spieler oder in dem Fall Trainer gar nicht erst anspricht im Glauben, sich ohnehin eine Abfuhr zu holen oder ob er sie alle anspricht und sich tatsächlich reihenweise Körbe holt. Der Name “Florian Grillitsch” ist ja durchgesickert, viel mehr aber auch nicht, einen “Plan B” schien es nicht zu geben. Vielleicht müsste er hier an seiner Außendarstellung arbeiten, um nicht als der ständige Sparminister und “Mann der kleinen Lösungen” wahrgenommen zu werden.

Selke im Kopfballduell mit irgendeinem Schalker

Eine der wenigen “großen Lösungen”: Davie Selke (Foto: Dean Mouhtaropoulos/Getty Images)

Hinterfragen muss man aber auch den Auswahlprozess an sich: “Assessment-Center” ist zwar ein furchtbarer BWLer-Begriff, allerdings in der freien Wirtschaft und beispielsweise auch im öffentlichen Dienst inzwischen Gang und Gäbe. Jedoch muss man kritisch betrachten, ob man diese Prozesse wirklich auf den Profifußball übertragen kann und ob dies überhaupt sinnvoll ist. Es ergibt ja durchaus Sinn, sich verschiedene Vorstellungen anzuhören, Rahmenbedingungen im gemeinsamen Gespräch abzustecken und dergleichen mehr. Aber wirklich sinnvoll sind solche Prozesse ja nur, wenn der Ausgang von vornherein ergebnisoffen wäre. Das ist er hier aber nicht – Keller selbst sagte ja, dass Timo Schultz als Favorit ins Rennen ging. Dazu kommt ja, dass das Ergebnis der Arbeit eines Trainers transparent ist und auch seine Idee von Fußball in jedem Scoutingfeed der Welt betrachtet werden kann. Das alles ist ja in der Wirtschaft komplett anders und viel weniger gläsern. Man kann diese Assessment-Center also auch als unnötigen Wasserkopf ansehen, der nicht wirklich zum Fußballbusiness passt – zumal er die Prozesse auch langwieriger und träger macht. Gerade in dieser Saison, wo die Winterpause wegen der EM extrem kurz ist (Pflichtspielauftakt ist neun Tage nach Schultz’ Inthronisierung), muss man die wenigen Trainigseinheiten vollumfänglich nutzen, um dem neuen Trainer mehr Zeit zu verschaffen. Mit der Paarung Köln gegen Heidenheim spielen der dienstjünsgte gegen den dienstältesten Trainer gegeneinander – wieder so eine Geschichte, die nur der Fußball schreibt. Umso wichtiger wäre es aber gewesen, bereits zum Trainingsauftakt den neuen Übungsleiter auf dem Platz zu haben. Das einzig Positive an jener Zäsur des 21.12.2023 war ja, dass man immerhin die Weihnachtspause hatte, um in Ruhe einen neuen Trainer zu suchen und Gespräche zu führen. Man muss drei bis sechs Punkte auf die Konkurrenz gutmachen, insofern zählt hier jeder Tag in dieser sehr kurzen Pausenzeit. Diese Chance hat Keller – wie so einige andere in den letzten Monaten – nur bedingt genutzt.

Es sind genau solche Szenarien, weshalb nicht wenige Beobachter mitunter den Eindruck bekommen, dass Keller mental noch nicht ganz in der Bundesliga angekommen sei und eher in Dimensionen des beschaulichen Regensburgs zu denken scheint. Vielleicht ist es aber auch genau jene Besonnenheit, die der hektischen Medienstadt Köln mitunter ganz gut tut. Die Wahrheit, sie liegt wohl im Auge des Betrachters.

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