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Analyse

Analyse: How not to Dreierkette

Weder in Eingespieltheit, noch in Ausrichtung oder Aufstellung war die taktische Variante Steffen Baumgarts ohne Makel. Wir analysieren dies im Detail.

Nicht länger Übungsleiter beim FC
Photo by Maja Hitij/Getty Images

Steffen Baumgart hat es getan. Er hat sich gegen sein einstiges Dogma entschieden und den 1. FC Köln erstmalig in einem Pflichtspiel in einer Dreierkette auflaufen lassen. Das spricht einerseits für die Flexibilität des Coaches, zeigt aber andererseits auch, warum er sie bislang abgelehnt hat: weil er sie auf eine Art und Weise interpretieren lässt, auf die sie nicht funktionieren kann. effzeh.com analysiert dieses taktische Experiment.

Von der Eingespieltheit

Zunächst einmal muss man festhalten, dass es keine Selbstverständlichkeit ist, dass ein Bundesligaprofi in jeder taktischen Ausrichtung zwischen Dreier- und Viererkette wechseln kann. Zwar wird dies in den diversen Nachwuchsleistungszentren eingeübt, allerdings ist das ähnlich, als würde man einen NASCAR-Fahrer in einen Formel 1-Boliden setzen. Beide Fahrzeuge weisen Ähnlichkeiten auf und beide Sportler sind an Reaktionen in Höchstgeschwindigkeit gewöhnt und können ein Gaspedal von einer Bremse unterscheiden, dennoch ist das Fahrverhalten und die Straßenlage so anders, dass man nicht ohne Eingewöhnungszeit einfach so die Gefährte wechseln kann.

Mit der Dreierkette ist es nun ähnlich: Theoretisch wird ein Bundesligaabwehrspieler schon wissen, wie er sich in dem einen oder dem anderen System zu verhalten hat. Allerdings braucht es Abläufe, klare Rollenzuweisungen und auch Abstimmung mit den Eigenschaften des Nebenmanns. Kurz: Man muss das System mit den konkreten Spielern, die dann am Spieltag auch spielen, einüben – und zwar unter Wettkampfbedingungen. Da man nun aber zweieinhalb Jahre die Dreierkette konsequent abgelehnt hat, existieren diese Automatismen nicht. Keiner der Spieler hat in dieser Zeit nennenswert Dreierkette gespielt, Luca Kilian hat im letzten Jahr so gut wie gar nicht gespielt, Linton Maina dürfte noch nie die Rolle des linken Schienenspielers gespielt haben, usw. Wenn man also so eine taktische Idee hat – die auf dem Papier wirklich viel Charme hat – muss man sie einstudieren. Dazu wäre eine Länderspielpause mit einem Testspiel sogar eine der wenigen Möglichkeiten, dies im laufenden Betrieb zu erledigen, allerdings hat man diese Gelegenheit kaum genutzt. Im Testspiel beim 8:0-Sieg am vergangenen Mittwoch gegen die Spielvereinigung Porz wurde weiterhin mit Viererkette gespielt und zudem in der zweiten Halbzeit mit ganz anderen Spielern. Über das Länderspielwochenende hatten die Profis dann frei und trafen sich erst am Montag wieder, sodass bis zum Bayern-Spiel nur drei effektive Trainingstage blieben. Dies soll nun keine populistische Kritik an einem freien Wochenende sein, dies mag psychologisch wichtig und richtig sein, aber es ist keine effektive Nutzung der Zeit, um ein neues System einzustudieren, das man davor zweieinhalb Jahre stiefmütterlich vernachlässigt hat und nur einmal in einem Testspiel gegen Stuttgart ausgepackt hat (welches man mit vier Gegentoren verlor).

Von der Ausrichtung

Zudem muss man sich die Frage stellen, ob die gewählte Ausrichtung gegen die Bayern wirklich ideal war. Dabei geht es nicht um das System an sich, dieses haben andere Mannschaften schon erfolgreich gegen die Bayern praktiziert – zum Beispiel der natürlich nominell meilenweit unterlegene 1. FC Saarbrücken im DFB-Pokal, dem es gelang, die Bayern sogar rauszuschmeißen. Es geht eher darum, wie man die Dreierkette interpretiert: hier im Artikel war bislang immer die Rede von einer “Dreierkette” anstatt einer “Fünferkette”. Dies liegt daran, dass man die Dreierkette eben gerade in den ersten zwanzig Minuten wirklich als solche interpretierte. Die beiden Halbverteidiger Luca Kilian und Timo Hübers schoben bis an die jeweilige Außenlinie raus und im Zentrum verblieb einzig Jeff Chabot. Dadurch wurde das gesamte System zwischendurch sogar zu einer Einerkette bzw. dem “letzten Mohikaner unter Geiern”, da die Abstände zwischen den Dreien so groß wurden, dass gerade prädestinierte Halbraumspieler wie Leroy Sané ihre helle Freude gehabt haben dürften – er alleine tauchte ja bereits nach 30 Minuten viermal ganz allein vor Schwäbe auf und hätte bereits alles klar machen können. Steffen Baumgart nahm diese 30 Minuten später auf seine Kappe bzw. Schiebermütze, aber dann kann man sich schon fragen, warum er nicht bereits früher reagiert hat.

How-not-to: Wenn aus einer Dreier- eine Einerkette wird, weil Hübers rechts und Kilian links weit draußen spielen, während sich die bayrischen Halbraumspieler über ungeahnte Räume freuen durften.

Auch beim vorentscheidenden 0:1 reichte ein Steckpass von Kingsley Coman, um die gesamte Defensive auszuhebeln. Hier war besonders zu beobachten, dass Luca Kilian noch nicht wusste, wie er seine Rolle in jener Dreierkette auszufüllen hatte und nicht wusste, ob er sich an Eric-Maxim Choupo-Mouting oder an Sané orientieren sollte. Dass er zudem nicht in den Zweikampf kam und dann noch das Abseits aushebelte, war doppelt bitter, ist aber auch mit mangelnder Spielpraxis erklärbar. Zudem deckte Hübers relativ sinnlos Coman, anstatt im Vollsprint zum völlig freistehenden Harry Kane zu eilen, der dann letztlich abstauben konnte.

Übrigens soll das gar keine Kritik an dieser Ausrichtung sein: diese sehr mutige Interpretation der Dreierkette hat durchaus Vorzüge. So hatte man gleich drei Anläufer frei, die die Bayernabweher im Aufbau unter Druck setzen konnten. Problem an der Sache ist nun, dass mit Manuel Neuer der vermutlich pressingresistenteste Torwart der ganzen Welt im Bayern Tor steht und auch die anderen Abwehrspieler immer in der Lage sind, das Pressing zu überspielen – zumal wenn sich Konrad Laimer in die Kette fallen ließ. Gegen die nun kommenden Gegner kann dieses Mittel aber durchaus probat sein. Eine Dreierkette klingt ja immer erstmal defensiver als eine Viererkette, aber so interpretiert wie gegen die Bayern, wo zwischendurch sogar alle(!) Kölner Feldspieler in der bayrischen Hälfte standen, kann sie Mannschaften wie Darmstadt oder Mainz vor ungleich größere Herausforderungen stellen als den Rekordmeister. Es kann daher durchaus sein, dass das Trainerteam das Bayern-Spiel auch als Trainingseinheit unter Extrembedingungen verstanden hat und man dieses System daher sogar eher mit Blick auf die Spieltage 13-16 gewählt hat – oder es bleibt ein einmaliges Experiment, aber dann müsste man ebendieses hinsichtlich seiner Sinnhaftigkeit schon sehr kritisch hinterfragen.

Von der Aufstellung

Kritisch hinterfragen muss man auch, ob alle Spieler für dieses ihnen neue System auf idealen Positionen eingesetzt worden sind. Rasmus Carstensen scheint der geborene Spieler für die rechte Schiene zu sein, da gibt es wenig zu kritisieren. Aber ob Linton Maina wirklich sein linkes Pendant sein sollte, muss dann doch hinterfragt werden. Steffen Baumgart ließ ja durchblicken, dass wohl Max Finkgräfe eine Chance bekommen hätte, wenn er gesund gewesen wäre – jedoch hat ja auch dieser in der Jugend des FCs fast ausschließlich Viererkette gespielt und ob man dem jungen Mann gerade gegen die Bayern in einem ihm unbekannten System das bestmögliche Startelfdebüt verschafft hätte, bleibt fraglich. Stattdessen hat man ja einen Spieler in den Reihen, der mit den Worten “bester Linksverteidiger der zweiten Liga” vorgestellt wurde – übrigens in einer Fünferkette, die Leart Pacarada auf St. Pauli verinnerlicht haben dürfte. Jedoch scheint der Ex-Kapitän der “Boys in Brown” derzeit dermaßen in Ungnade gefallen zu sein, dass er nicht einmal mehr bei einer Umstellung zur Dreierkette eine Chance von Beginn an erhielt. Stattdessen spielte dort eben Maina, der diese Position, wie oben bereits angedeutet, noch nie gespielt haben dürfte und zudem bislang weder durch ausgeprägtes Defensivbewusstein noch durch hohes taktisches Verständnis aufgefallen ist. Seine Stärken liegen ja eher in seinem unnachahmlichen Speed und seinen Tiefenläufen, die man hier natürlich nutzen wollte. Aber bei der oben erwähnten offensiven Ausrichtung der Dreierkette wäre es vielleicht sinnvoller gewesen, hier einen Spieler hinzustellen, der mehr Blick für die Gesamtstatik eines Spieles hat – wie eben beispielsweise Leart Pacarada.

Auch die Aufstellung Kilians überraschte, eben weil dieser fast schon drohte, zum Innenverteidiger Nummer vier zu werden und kaum Spielpraxis hatte. Da auch er zudem in der Vergangenheit mehr durch Einsatz und Kampfeswille als durch taktisches Verständnis auffiel, ist es noch fraglicher, warum man ihn hier plötzlich reinwarf. Zur ganzen Wahrheit gehört auch, dass der FC keinen dritten Innenverteidiger hat, der perfekt in eine Dreierkette passen würde. Da man diese eben, wie erwähnt, bislang kategorisch ausschloss, wurde da auch im Sommer kein Wert bei den Transfers darauf gelegt. Allenfalls Benno Schmitz könnte man sich in der Rolle des rechten Halbverteidgers vorstellen, aber auch er hat das vermutlich noch nie gespielt und wäre zudem gegen die schnellen Achter der Bayern auch nicht das beste Match gewesen.

Aus dem Hut gezaubert: Luca Kilian (Foto: Lars Baron/Getty Images)

Zudem ist fraglich, warum das Experiment mit Florian Kainz auf der Sechserposition weiter durchgezogen wird, obwohl Dejan Ljubicic auf dem Platz stand. Die Idee war natürlich, den schnelleren der beiden Österreicher als Anläufer zu benutzen, allerdings opfert man damit eben auch defensive Statik, da Kainz immer noch mit seiner Rolle als Sechser fremdelt und diese nun noch einmal anders interpretieren musste, als mit einer Viererkette dahinter – zudem fehlt damit der beste Flankengeber auf dem Flügel. Man hätte ja mit Maina einen weiteren Anläufer auf dem Platz gehabt, wenn man eben den einzigen erprobten Schienenspieler (Pacarada) auf dessen Startposition gestellt hätte. So war es erneut eine Rotation auf dem Platz wie schon in den vergangenen Wochen, die viele Spieler auf Positionen spülte, die nicht ihren jeweiligen Stärken vollends zupasskommen. Ob diese Mischung aus fehlender Einübung und vielen Positionsfremdheiten einer verunsicherten Mannschaft wirklich gut tut, darf zumindest mal hinterfragt werden.

In der Halbzeit korrigierte das Trainerteam zwar die Aufstellung und stellte Thielmann (erneut erstmalig unter Baumgart) auf die rechte und Carstensen (auch erstmalig) auf die linke Schiene – zudem spielte man jetzt mit klarerer Fünferkette und vier Spielern davor. Dies führte zwar zu weniger Chancen der Bayern, aber auch zu einem handballartigen Spiel, bei dem die Bayern die Kölner einschnürten, ohne wirklich viel Ambitionen auf ein zweites Tor zu entwickeln. Mit Mut hatte das auf Kölner Seite nun nicht mehr viel zu tun, stattdessen wirkte es auch eher wie aktive Schonung der Bayern für die kommenden Wochen – man hätte den Münchnern jederzeit zugetraut, wieder einen Gang höher zu schalten. Dass man die Bayern nicht an den letzten Rand der Belastung brachte, kann man ganz gut daran ablesen, dass Thomas Tuchel nicht ein einziges Mal gewechselt hat. Zu eigenen Chancen kam der Effzeh nun quasi gar nicht mehr, auch später in der wiederhergestellten Viererkette bis weit in die Nachspielzeit hinein nicht.

Fazit

Die Idee der Dreierkette ist nachvollziehbar und könnte gegen schwächere und für Pressing anfälligere Gegner wie Darmstadt durchaus spannend werden – gegen die Bayern passte aber weder die Ausrichtung, noch die Aufstellung. Auch deshalb, weil man gar nicht genug Zeit hatte bzw. sich genommen hat, sie einzustudieren. Aber jeder weitere Pfeil im taktischen Köcher ist begrüßenswert und so wäre Steffen Baumgart zu wünschen, dass er sich öfter an taktische Flexibilität heranwagt und diese Interpretation der Dreierkette nun einmal so konsequent einstudieren lässt – und positionstreuer aufstellt – dass sie zu einer echten, jederzeit umsetzbaren Alternative wird.

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