Horst Heldt, das war ihm in der Medienrunde am Sonntag anzumerken, war angefressen. Nach der 0:1-Niederlage gegen den VfB Stuttgart stellte sich der Geschäftsführer Sport des 1. FC Köln den Fragen der Journalist*innen. Nicht zum ersten Mal in dieser Saison hatte die Mannschaft am Vortag eine Leistung abgeliefert, die nur mit ganz viel Wohlwollen (“Defensiv weitestgehend gut gestanden!”) positiv eingeordnet werden konnte. Und so sah sich Heldt ein weiteres Mal in der Pflicht, der Öffentlichkeit sein Verständnis von einem realistischen Saisonziel für den FC zu vermitteln. “Ich muss Sie immer wieder abholen und darauf hinweisen, dass wir von nichts anderem reden. Wir haben weder nach dem Derbysieg vom Europapokal geredet noch nach Freiburg vom Abstieg geredet”, insistierte er in ungewohnt barscher Form, obwohl niemand im Umfeld von höheren Zielen gesprochen hatte. Die Kritik an der Spielweise der Kölner, die im vergangenen Sommer trotz Corona-Krise einen zweistelligen Millionenbetrag in ihren Kader investiert hatten, wiederholt sich ebenso wie die Wellenbewegungen in der Leistung der Mannschaft.
Heldt sah sich wohl auch im Recht, als er später die Medien selbst in einer bisher unbekannten Art attackierte. Diese müssten “akzeptieren”, dass er mit ihrer Kritik “nichts anfangen” könne, weil diese “einfach daneben” sei. Und Heldt legte mit einem sehr bemerkenswerten Satz nach: “Es interessiert mich nicht, weil ich glaube, da mehr Ahnung zu haben als Sie.” Rumms, das hatte gesessen. Ein solcher Satz passt durchaus in die Linie seiner Vorgänger: Jörg Schmadtke, der sich in seiner Zeit als Geschäftsführer beim 1. FC Köln irgendwann völlig der Kontrolle anderer Menschen und Gremien entzog, vermittelte irgendwann den Eindruck, dass nur er selbst etwas vom Fußballgeschäft verstehe, sonst aber niemand anderer.
Dem 1. FC Köln fehlt ein erfolgsversprechender fußballerischer Plan
Armin Veh, der auf Schmadtke folgte, bügelte Kritik an ihm meistens damit ab, dass er 2007 mit dem VfB Stuttgart Deutscher Meister wurde. Gewiss, keine*r der anwesenden Journalist*innen hatte bisher längerfristig eine Führungsposition in einem Fußball-Unternehmen inne – die Art und Weise jedoch, wie Heldt sich berechtigte Fragen nach der fußballerischen Weiterentwicklung der Mannschaft verbat, hinterlässt einen faden Beigeschmack. Heldts Aufgabe ist es nicht, ganz Köln seine Vision des FC darzulegen, aber im Zweifel scheint es dann doch immer besser zu sein, die Leute eher mitzunehmen als gegen sich aufzubringen – das gilt vor allem für die derzeitige Situation in Köln.
Und das bringt uns schon zu Trainer Markus Gisdol, der nach der Niederlage gegen Stuttgart ebenfalls Rede und Antwort stand. Dass die Mannschaft in vielen Partien nur selten zu Torabschlüssen kommt und deswegen auch keinen wirklichen Torjäger in seinen eigenen Reihen weiß, kommentierte der 51-Jährige so: “Das ist unser Los in dieser Saison, und das wird sich auch nicht ändern.” Es sei klar, dass der FC “im Sturmzentrum in dieser Saison” nicht die “wahnsinnigen Spieler” habe, “die ein Tor nach dem anderen schießen.” Diese Aussage ist zutreffend und problematisch zugleich.
Transfers bisher eher wirklungslos
Zur Erinnerung: Im Sommer hatten Heldt und Gisdol Sebastian Andersson aus Berlin losgeeist, damit dieser (obwohl gänzlich ein anderer Spielertyp) den abgewanderten Jhon Córdoba ersetzen könne. Später kamen mit Tolu Arokodare und Emmanuel Dennis noch zwei weitere Stürmer, Anthony Modeste wurde nach Frankreich abgegeben. Transferbewegungen hatte es daher schon gegeben beim 1. FC Köln, dessen bester Torschütze bis dato Mittelfeldspieler Elvis Rexhbecaj mit fünf Treffern ist. Dass aber beim FC kein Offensivspieler regelmäßig Tore schießt, liegt einerseits an der Qualität der Akteure – andererseits aber auch an der Kaderplanung. Weder Gisdol noch Heldt konnten ahnen, dass Andersson weite Teile der Saison ausfallen würde. Im Nachhinein stellt sich dann jedoch heraus, dass ein fehlender bundesligatauglicher Back-Up für den Schweden fehlt.
Diese Rolle sollte nun eigentlich Dennis ausfüllen, der im Winter aus Brügge ausgeliehen wurde, bislang allerdings noch torlos geblieben ist und sichtlich mit der Anpassung an die Bundesliga zu kämpfen hat. In seinen etwas mehr als 300 Einsatzminuten kommt der Nigerianer auf einen xG-Wert von 0,4, was jetzt auch nicht für die absolute Torgefahr steht. Er müsse sich erst an die Bundesliga gewöhnen, betonte Heldt und schob nach, dass man diese Zeit aber leider nicht habe – das stimmt, denn es verbleiben nur noch 12 Spiele in dieser Saison und das Saisonziel ist nach wie vor gefährdet. “Es ist okay, wenn um uns herum die Menschen keine Geduld haben. Wir haben sie”, ergänzte er. Normalerweise assoziieren Verantwortliche im Fußball “Geduld” immer mit der “Weiterentwicklung” einer Mannschaft und damit haben sie auch recht, denn im Fußball braucht es für sowas Zeit. Ewig warten sollte man allerdings auch nicht, denn dann landet man in der 2. Bundesliga.
Irgendjemand ist am Ende auch dafür verantwortlich
Fest steht auch, und diese Kritik dürfte Heldt jetzt wieder nicht schmecken, dass der 1. FC Köln in nunmehr fast 50 Spielen unter dem Duo der Schnitzelfans keine nachhaltig funktionierende Spielidee entwickeln konnte. Natürlich zählen dazu auch die Spiele im Winter vergangenen Jahres, als der FC mit starken Umschaltspielern (Mark Uth, Córdoba), Standards und Matchglück mehrere Spiele gewinnen konnte, das waren gute Zeiten. Uth und Córdoba sind mittlerweile weg, Heldt und Gisdol hatten nun zwei Transferperioden Zeit, den Kader nach ihren Vorstellungen zu gestalten.
Und ja: Auch die finanziellen Auswirkungen der Corona-Krise spielen dort eine Rolle und schränken die Handlungsoptionen ein, das steht außer Frage. Die finanziellen Probleme des 1. FC Köln sind aber nicht nur auf Covid-19 zurückzuführen, sondern begannen bereits davor. Es stünde den Verantwortlichen am Geißbockheim daher auch ab und an mal ganz gut zu Gesicht, dies auch zuzugeben. Verantwortlich für den derzeitigen Zustand sind nämlich weder Erwartungshaltung des Umfelds noch Corona – sondern einzig die Entscheidungsträger und die Mannschaft. Denn aktuell betreibt der FC fußballerische und wirtschaftliche Mangelverwaltung. An dieser Stelle sei ein erneuter kurzer Ausflug in die Statistiken erlaubt, um zu schauen, ob sich seit Ende Dezember etwas nachhaltig verbessert hat.
Der Klassenerhalt des 1. FC Köln ist weiterhin gefährdet
Mit 20 erzielten Toren liegt der 1. FC Köln auf Platz 16 in der Liga, dasselbe gilt für die Anzahl der Tore aus dem Spiel heraus (12). Bei den Schüssen pro Spiel (9,2) liegt der 1. FC Köln ebenfalls auf Platz 16, bei den Schüssen auf’s gegnerische Tor pro Spiel (2,8) immerhin auf Platz 15. Mit durchschnittlich 44,3 Prozent Ballbesitz reicht es für Platz 16, genauso wie bei Key Passes (Torschussvorlagen, der FC kommt auf 6,5). Rang 15 gibt es immerhin bei Dribblings (6,8) und Passgenauigkeit (75,1 Prozent). Daraus resultiert, dass der 1. FC Köln mit die wenigsten Aktionen im letzten Drittel hat (23 Prozent, geteilter 17. Platz). Auch ein Blick auf den xG-Wert zeigt, dass der FC tabellarisch und statistisch genau dort liegt, wo er liegen sollte – das Modell bietet keine Ausschläge nach oben oder unten an, was die erzielten oder kassierten Tore bzw. den Punktestand angeht. Auftritt Rafael Czichos: “Wenn man nicht zwingend genug nach vorne spielt, ist es schwierig, in dieser Liga Punkte zu holen.”
Zum jetzigen Zeitpunkt wird der 1. FC Köln bis zum Ende der Saison um den Klassenerhalt bangen müssen. Und das ist natürlich ein Problem für die sportlich Verantwortlichen. Die fehlende fußballerische Idee ist das eine, das offensichtlich mangelnde Vertrauen in den eigenen Plan das andere. Denn auch Spieler hatten (Vorsicht, Horst Heldt) zumindest vorsichtige Kritik geäußert. Marius Wolf sagte nach der Niederlage gegen Stuttgart: “In der ersten Halbzeit haben wir zu tief gestanden”. Timo Horn fand: “Wir müssen zwingender nach vorne spielen”. Denn damit eine Mannschaft funktionieren kann, müssen die Spieler den Plan des Trainers mittragen – danach sieht es in Köln nicht immer aus. Das hat zu großen Teilen, aber nicht nur mit Taktik zu tun.
Es geht um Taktik – und um Spieler
“Im Fußball geht es nicht um Taktik, im Fußball geht es um die Spieler”, urteilte Manchester Citys Trainer Pep Guardiola am Wochenende nach dem 18. Sieg seiner Mannschaft in Serie. Damit hat er recht. Ist ein Trainer nicht in der Lage, die Spieler fußballerisch besser zu machen, leidet darunter die Leistungsfähigkeit. Sein Nürnberger Trainerkollege Robert Klauß sagte in einer viel diskutierten Pressekonferenz vor einigen Tagen, als er auf die schwache Leistung seiner Mannschaft angesprochen wurde: “Es liegt nicht an Taktik, sondern an den Basics, die ich schon angesprochen habe: zweite Bälle gewinnen, direkte Duelle gewinnen, Sprints setzen, fleißig nacharbeiten, den ersten Kontakt sauber machen, 10-Meter-Pass zum Mitspieler bringen, mich aktiv freilaufen. Diese Dinge müssen erst mal funktionieren.” Auch hier gilt: Volle Zustimmung. Diese Meinung teilte Heldt auch, der davon sprach, dass es den Spielern nicht verboten sei, Leistung abzurufen. Warum gelingt es dem FC dann nicht nachhaltig?
Die Grundlagen für gute Spiele am Wochenende werden in den Trainingstagen zuvor gelegt – das erst versetzt die Spieler in die Lage, ihr Potenzial abzurufen. Und nach mittlerweile mehr als einem Jahr unter Markus Gisdol, in dem sich einige Probleme (siehe oben) deutlich manifestieren, sind Fragen nach der Herangehensweise in genau dieser Arbeit (oder anders gesagt: Kritik) durchaus angebracht, auch wenn Horst Heldt das vielleicht anders sieht.