Wie sich Erfolge im Müngersdorfer Stadion anfühlen, das konnte Achim Beierlorzer am vergangenen Sonntag bereits einmal erfahren. Auch ausmalen, wie es denn sei, wenn beim 1. FC Köln etwas gefeiert werden kann, musste sich der 51-Jährige nicht großartig. Den Platzsturm bei der Zweitliga-Meisterfeier der „Geißböcke“ erlebte der aktuelle Coach des SSV Jahn Regensburg ebenso hautnah mit wie die Bierdusche der Kölner Spieler für Aufstiegstrainer André Pawlak.
Doch ebenso spürbar war für den gebürtigen Franken, welch große Aufgabe im Rheinland auf ihn wartet. Nicht nur in den 90 Minuten auf dem Rasen, als der effzeh einmal mehr sämtliche Schwächen offenbarte. Sondern auch mit dem ganzen Drumherum dieses so verrückten Vereins, das die kommende Saison zur Herkulesaufgabe machen dürfte. Dennoch: Keine Sekunde habe er gezögert, betonte Beierlorzer bei der Verkündung seiner Verpflichtung nur einen Tag nach dem Auftritt als Partycrasher, als das Angebot des 1. FC Köln kam. Bei so einem großartigen Traditionsverein mit solchen Fans.
Der “Koloss mit Strahlkraft” bietet eine Herausforderung, die reizt
Schon nach der Partie hatte der Regensburger Trainer vom Kölner Publikum geschwärmt: „Wenn ihr mal ein richtig tolles Stadion sehen wollt, dann müsst ihr nach Köln kommen. Sensationelles Stadion mit sensationellen Fans“, so Beierlorzer, den aber weniger die Atmosphäre denn das Potenzial seines neuen Arbeitsgebers reizt. Ein Koloss, der Strahlkraft über Deutschland hinaus habe, sei der Club, erklärte der Regensburger Coach dann auch am Montag auf einer eigens einberufenen Pressekonferenz in der Oberpfalz. Er nehme die Herausforderung an, neue Herausforderungen seien ihm wichtig – und dass der 1. FC Köln eine solche Herausforderung definitiv darstellt, darüber dürfte spätestens nach dieser Saison überall Einigkeit herrschen.
So groß die Begeisterung des neuen Trainers für den Verein und sein Umfeld auch ist, die Jubelstürme ob seiner Verpflichtung halten sich bei den effzeh-Fans durchaus in Grenzen. Zu klein scheint der Name des Nachfolgers von Interimslösung Andre Pawlak, zu gering die bisherigen Erfolge Beierlorzers beim Jahn. Keinerlei Erstligaerfahrung, hat für Red Bull gearbeitet und wieder haben die „Geißböcke“ Ablöse gezahlt.
Die Vorbehalte gegenüber dem gebürtigen Franken sind mannigfaltig – und haben nicht immer mit seiner Person oder seinem Werdegang zu tun. Mitunter sind sie geprägt von Unkenntnis über seine Arbeit in Regensburg oder gar von den Misserfolgen seiner Vorgänger am Geißbockheim. Anfang 2.0 sei Beierlorzer: Etwas Erfolg bei einem kleineren Club qualifiziere noch nicht für ein Schwergewicht wie den 1. FC Köln. Eine eigene Spielphilosophie sei schön und gut, aber mit System- beziehungsweise Konzepttrainern ist nach den Erfahrungen mit Koryphäen wie Uwe Rapolder, Stale Solbakken oder eben Markus Anfang in der Domstadt kein Staat zu machen.
Nicht Anfang 2.0, sondern ein gänzlich anderer Trainertyp
Dabei ist allen Parallelen zum Trotz Achim Beierlorzer bei weitem kein Abziehbild seines im vergangenen Sommer mit großen Vorschusslorbeeren nach Köln geholten Vorgängers. Ja, er hat (wie Anfang) bei einem kleineren Club wie Regensburg äußerst respektable Arbeit geleistet. Ja, der 1. FC Köln kauft ihn (wie Anfang) aus einem laufenden Vertrag bei einem Zweitligisten heraus. Ja, er hat (wie Anfang) bislang keinerlei Bundesliga-Erfahrung als Trainer vorzuweisen.
“Führungsqualitäten, Kommunikation, authentische Ausstrahlung: In vielem entspricht der neue Coach des 1. FC Köln sogar dem kompletten Gegenteil seines Vorgängers.”
Dennoch: Beierlorzer ist ein gänzlich anderer Trainertyp mit gänzlich anderen Vorstellungen. Die Vorzüge, die ihm effzeh-Sportgeschäftsführer Armin Veh bei der Verkündung zusprach, sind ein klarer Fingerzeig, was in der jüngsten Vergangenheit bei den „Geißböcken“ fehlte – und warum der Regensburger Trainer in den Fokus gerückt war. Führungsqualitäten, Kommunikation, authentische Ausstrahlung: In vielem entspricht der neue Coach des 1. FC Köln sogar dem kompletten Gegenteil seines Vorgängers, der letztlich an der Aufgabe beim Club seiner Heimatstadt spektakulär scheiterte.
Dies ist auch für Beierlorzer nicht ausgeschlossen, wenngleich die Vorzeichen etwas andere sind: Die Erwartungshaltung, die auch mit der geringen Freude über seine Verpflichtung zusammenhängt, ist rund um den Verein so klein wie selten zuvor. Irgendwie in der kommenden Saison die Klasse halten: So heißt es vielerorten nach Anblick der Leistungen in dieser Spielzeit, die so viel Zweifel an der Bundesliga-Tauglichkeit der Mannschaft weckten.
Eine mutige Wahl des 1. FC Köln – mit wenig innovativem Hintergrund
Diese Zweifel vertreiben soll auch der neue Trainer, dessen Regensburger Team nicht nur durch das 5:3 in Köln aufhorchen ließ. Intensiven Fußball, unangenehm für den Gegner, ließ Beierlorzer beim Jahn spielen. Taktisch flexibel, aber immer nach vorne ausgerichtet. Und das definitiv mit Erfolg: Angesichts der geringen finanziellen Mittel der Oberpfälzer sollte das zweimalige Erreichen eines einstelligen Tabellenplatz nicht unterschätzt werden.
Trotz dieser Verdienste ist es eine mutige Wahl, die der 1. FC Köln dort getroffen hat. Ein Trainer, der (noch?) nicht das große Standing bei den eigenen Fans hat. Es hätte durchaus einfachere Lösungen gegeben, um im Falle des Krisenfalls mehr Ruhe in den Laden zu bekommen, wenngleich auch Namen wie Bruno Labbadia oder Dieter Hecking nicht ohne Widerspruch geblieben wären. Oder naheliegendere Möglichkeiten wie die Weiterbeschäftigung von André Pawlak oder die Rückholaktion des einstigen Kölner Nachwuchscoaches Boris Schommers.
“Man kennt sich, man schätzt sich: Ein gerade in Köln omnipräsentes Prinzip, das in diesem Fall nicht zwingend schlecht sein muss.”
Doch ganz so innovativ wie die Verpflichtung eines Zweitliga-Trainers, der auch mangels schillernder Persönlichkeit etwas unter dem Radar fliegt, anmutet ist auch diese Entscheidung nicht: Wieder einmal setzen die Verantwortlichen am Geißbockheim auf einen Namen, der den Entscheidern bereits in der Vergangenheit über den Weg gelaufen ist. Aus ihrer gemeinsamen Zeit bei RB Leipzig entstand ein engerer Kontakt zwischen Achim Beierlorzer und effzeh-Sportdirektor Frank Aehlig. Man kennt sich, man schätzt sich: Ein gerade in Köln omnipräsentes Prinzip, das in diesem Fall nicht zwingend schlecht sein muss.
Spagat zwischen eigener Philosophie und den Kölner Ansprüchen entscheidend
Doch dass Köln allgemein und ganz besonders sein Fußballverein nicht immer nach den Regeln der Branche funktionieren, das wird Beierlorzer bereits bewusst sein. Köln ist nicht Regensburg: Einen eher idyllischen Fußball-Standort mit deutlich weniger Druck und deutlich weniger Öffentlichkeit tauscht der 51-Jährige gegen eine der schwierigsten Aufgaben in Deutschland ein. Wie schnell sich der Gymnasiallehrer an diese Herausforderung anpassen kann, dürfte entscheidend für den Verlauf seiner Amtszeit in Köln sein.
Die ersten öffentlichen Äußerungen des neuen starken Manns an der Seitenlinie deuten darauf hin, dass er um diese Problematik weiß. Keine radikalen Änderungen kündigt Beierlorzer an – doch ob diese nicht vielleicht sogar angebracht seien nach den letzten zwei Jahren, muss offen diskutiert werden. Pragmatisch statt dogmatisch: Dieses Motto scheint dem 1. FC Köln auf den Leib geschneidert zu sein. Den Spagat zwischen seiner eigenen Philosophie und den Anforderungen dieses verrückten Vereins hinzubekommen, das ist die Herkulesaufgabe, die Achim Beierlorzer bevorsteht.
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