FC-Präsident Werner Spinner relativiert in einem Interview Menschenrechtsverletzungen im Reich der Mitte. Das ist nicht nur ein unglaublicher moralischer Fehltritt, sondern wirft auch ein erschütterndes Licht auf die geschäftlichen Verbindungen des Vereins mit den Chinesen. Ein Kommentar.
Auf der anderen Seite des Atlantiks treibt der Präsident der USA mehr als die Hälfte seiner Bevölkerung mit wahnwitzigen Aussagen zur Weißglut. Er bezeichnet Menschen als Tiere, ruft bei einer Rede vor Polizisten zur Gewalt auf und ist bereit, das Gesundheitssystem des Landes implodieren zu lassen, nur um zu beweisen, dass er Recht behalten kann. Der angerichtete gesellschaftspolitische Schaden dürfte nach seiner Ablösung jedenfalls kaum abzuschätzen sein. Doch moralisch mehr als fragwürdige Aussagen beschränken sich nun einmal nicht auf andere Länder – und auch nicht auf Politiker.
Der Präsident des 1.FC Köln, Werner Spinner, hat im geissblog Aussagen getätigt, die einen sprachlos zurücklassen. Auf die sinngemäße Frage, ob wirtschaftliche Erfolge Chinas nicht auf einem ausbeuterischen und gewissenlosen Trial and Error-Prinzip beruhen, antwortete Spinner folgendes: „China, wie Asien insgesamt, hat eine andere Kultur. Das muss man erst einmal verstehen. Dann kann man Diskussionen zum politischen Umgang mit Menschenrechten usw. anfangen. Vorher sollte man nicht anderen nachplappern, die sich gegebenenfalls noch nie mit China, seiner Historie und seiner Kultur, 7000 Jahre alt ist, auseinandergesetzt haben.“
Rechtfertigung für allerlei Untaten
Mit anderen Worten: Wer nicht mindestens einen dreiseitigen Aufsatz über zentralasiatische Geschichte halten kann, sollte einfach den Mund halten, wenn es um Menschenrechtsverletzungen im heutigen China geht. Nach dieser Logik könnte man auch antisemitische und rassistische Verfolgungen im Europa des 20. Jahrhunderts als kulturell bedingte Eigenschaften relativieren. Oder, um in der Moderne zu bleiben: Wenn du kein Referat über die Geschichte Tschetscheniens halten kannst, hast du gefälligst auch still zu sein, wenn die Verfolgung, Inhaftierung und Tötungen Homosexueller gerade zur Sprache kommen.
[interaction id=”5984570de61f184b3be90349″]
Auf die konkretere Nachfrage des geissblogs, ob Spinner angesichts der in China herrschenden Bedingungen nicht wenigstens verstehen könne, dass einige deswegen Fans Probleme mit derlei Kooperationen hätten, erwiderte Spinner: „Ich bin gerne bereit, den chinesischen Botschafter zu einer Podiumsdiskussion mit unseren Fans einzuladen. Aber das Problem ist, dass die meisten unserer Fans noch nie in China waren, geschweige denn sich intensiv mit der chinesischen Geschichte und Kultur auseinandergesetzt haben. Eine solche ideologische Diskussion ist schwer zu führen.“
Spinner in Beckenbauers Fußstapfen
Wie groß muss das offenbar nahezu bedingungslose Streben der Verantwortlichen nach Profit sein, um Zweifel an der zivilisatorischen Integrität der Verhandlungspartner des effzeh als eine schwer zu führende „ideologische Diskussion“ zu bezeichnen? Und ist es nicht besonders zynisch, im Anschluss daran die gesellschaftspolitische Verantwortung des Fußballs hervorzuheben? Benötigt Werner Spinner in Bezug auf China detailliertere Informationen über dortige Haftbedingungen, Zensur, Zwangsarbeit oder politische Unterdrückung, damit er die angestrebte Partnerschaft bewerten und die Zweifel vieler Anhänger daran verstehen kann?
Foto: Isaac Lawrence/AFP/Getty Images
Es stimmt gleichermaßen traurig und zornig, dass Werner Spinner, der sich vor knapp zwei Jahren noch sehr deutlich für die Aufnahme und Integration von Flüchtlingen stark machte und öffentlich dafür auch häufig Kritik einstecken musste, sich nun auf das Niveau von Franz Beckenbauer herabbegibt, der über die Zwangsarbeiter in Katar ebenfalls unvergessliche Sätze aussprach: „Ich habe noch nicht einen einzigen Sklaven in Katar gesehen. Die laufen alle frei rum. Weder in Ketten, noch gefesselt.“
Die Debatte ist mehr als überfällig
Nach Spinners Aussagen im geissblog sollten bei allen effzeh-Fans die Alarmglocken schrillen. Schon während der letzten Monate muteten die Äußerungen der Verantwortlichen über die Kooperation mit den Chinesen sehr glatt und abwiegelnd an. Das Interview mit Werner Spinner stellt ein neues Level in dieser Angelegenheit dar. Schon länger kursieren rund ums Geißbockheim Aussagen des obersten FC-Vertreters, die nicht nur die Anwesenden mit offenem Mund zurückließen. Eine offene Diskussion über die Probleme vieler Fans und Mitglieder, die Spinner als “Nachgeplappere” disqualifizieren möchte, ist offensichtlich überfällig. Spätestens bei der Mitgliederversammlung im September gilt es dies einzufordern.