Der 1. FC Köln hat im DFB-Pokal am Dienstagabend eine Gelegenheit genutzt, sich gegen einen Viertligisten zu blamieren. Mal wieder. In Völklingen unterlagen die Domstädter völlig verdient dem 1. FC Saarbrücken: Nachdem die Mannschaft von Trainer Achim Beierlorzer zwischenzeitlich sogar einen 0:2-Rückstand egalisiert hatte, kassierte sie prompt kurz vor Schluss den dritten Gegentreffer – und verabschiedete sich damit frühzeitig aus dem Pokalwettbewerb, den der Verein in seiner Geschichte viermal gewinnen konnte. Mal wieder.
Wer bei den “Geißböcken” an der Seitenlinie steht, spielt hinsichtlich solch trauriger Tiefschläge bereits seit Jahren schon keine große Rolle mehr. Spätestens mit dem ersten Abstieg der Vereinsgeschichte im Jahr 1998 begann beim 1. FC Köln der Wandel vom stolzen ersten Bundesliga-Meister hin zum im ganzen Land gerne – wenn auch meist mitfühlend – belächelten „Chaosclub“, auch wenn man das in der gerne mal von sich selbst besoffenen Stadt am Rhein erst spät gemerkt hat. Trainer kamen, Trainer gingen. Noch mehr Spieler kamen, noch mehr gingen. Der 1. FC Köln stieg wieder auf, der 1. FC Köln stieg wieder ab.
Zu groß für die 2. Bundesliga, zu schlecht für die Bundesliga
Unterm Strich und mit ein bisschen sachlicher Distanz betrachtet, hat sich bei den „Geißböcken“ seit dem ersten Abstieg nur wenig an der sportlichen Lage geändert. Der Verein ist zu groß für die 2. Bundesliga und zu schlecht für die Bundesliga. Während auf dem Platz also trotz Lukas Podolski, Anthony Modeste und Europa League in den letzten beiden Jahrzehnten praktisch Stillstand herrschte, hat sich der Club neben dem Platz durchaus verändert. Folklore und den in Köln somit zwangsläufigen Hang zum Karnevalistischen machen den Verein seit seiner Gründung im Jahr 1948 bereits aus. Die Kölner haben einen Geißbock im Wappen – und im Stadion stehen. Das lässt sich also kaum bestreiten.
“Der 1. FC Köln ist erst zum Chaos- und dann zum Karnevalsverein geworden.”
Der 1. FC Köln wurde aber weder gegründet noch betrieben, um eine karnevalistische Wochenendkirmes zu sein. „Wollen Sie mit mir Deutscher Meister werden?“ fragte Franz Kremer, der erste Präsident des Clubs, einst. In Köln denkt man gerne an die Vereinsikone und die Titel aus der Vergangenheit zurück, während man der aktuellen Mannschaft beim Absteigen zuschaut. Mal wieder. Das macht der Kölner heutzutage übrigens mit unbändiger Treue: Das Müngersdorfer
Stadion ist so gut wie immer voll – ob gegen Bayern oder Bielefeld. Ironischerweise war das in den “guten alten Zeiten“ oftmals gar nicht der Fall. Der 1. FC Köln ist sozusagen erst zum Chaos- und dann zum Karnevalsverein geworden.
Chronisch beliebt, chronisch klamm: Der Fahrstuhlclub der Herzen
Die Transformation lässt sich chronologisch nachempfinden: Nach dem ersten Abstieg geriet der Club über Jahre hinweg ins Schlingern. Die Verantwortlichen standen stets unter Druck, die historischen Fehler wieder auszubügeln. Gleichzeitig unterstützten die Fans den Verein fast schon aus Trotz: Fahrstuhlclub mag man ja sein. Aber dann muss man der Welt eben abseits des Rasens zeigen, dass der 1. FC Köln niemals klein sein wird. So ungefähr. In dieser Phase lebte der Club von Emotionen, von diesem historischen Gewicht, das der 1. FC Köln im deutschen Fußball nun einmal besitzt, den großen Erinnerungen und daraus resultierenden Träumen, mehr noch als von dem Zahlungsmittel, das für normale Fußballvereine am wichtigsten ist: Geld.
Die „Geißböcke“ waren chronisch beliebt, aber eben auch chronisch klamm. Die logische Folge vieler schlechter Entscheidungen – ein Chaosverein eben. Sportlich kam man kaum vom Fleck. Danach wurde es erst richtig interessant: Nach dem Abgang von Vereinslegende Wolfgang Overath und dem Amtsantritt von Werner Spinner als Präsident des Clubs gelang es, das Chaos zunächst mit Bescheidenheit und Sachlichkeit erfolgreich zu bekämpfen. Das Spektakel rückte in den Hintergrund, die Erwartungen wurden runter gefahren, das Spiel unter dem pragmatischen Peter Stöger dementsprechend zweckmäßiger. Kölsches Catenaccio statt Kamikaze. Und siehe da: Der 1. FC Köln entwickelte sich plötzlich positiv. Die „Geißböcke“ stiegen auf, spielten solide und schafften dann mit der ersten Europapokal-Qualifikation seit 25 Jahren einen echten Coup.
Irrationale Treue, irrationale Träume
In all dem großen Trubel, den die bevorstehende Rückkehr auf Europas Bühnen bei dem so emotionalen Club und in der so emotionalen Stadt auslöste, zerlegte sich das gerade erfolgreich aufgestellte Kartenhaus beim 1. FC Köln dann prompt in seine Einzelteile. Der Abgang zentraler Figuren folgte ebenso wie der dramatischste Abstieg der Vereinsgeschichte. Während dieser Episode schaffte der Chaosverein 1. FC Köln zunächst erste, kurze Schritte im Gewand eines seriösen Fußballvereins, strandete dann aber doch als Karnevalsverein mit sportlichem Totalschaden. Seit 2015 ist der effzeh das übrigens auch offiziell. Also ein Karnevalsverein. Ein sportlicher Totalschaden, würden böse Zungen behaupten, ist er schon länger.
Spätestens als der Erfolg zurück nach Müngersdorf kam, hat man am Geißbockheim Eins und Eins zusammengezählt und kapiert, dass die irrationale Treue der Kölner Fans nicht nur romantisch ist, sondern auch andere Potenziale bietet. Und so dachte man beim 1. FC Köln plötzlich über Stadionausbau oder -neubau nach, streckte seine Fühler nach China und sonst wohin aus und machte nebenbei den Slogan „Spürbar anders“, dessen Seele ironischerweise die rational betrachtet oft fast schon widersinnige Unterstützung der effzeh-Fans für ihren Verein ist, immer mehr zu einer „Brand“ mit einer „Storyline“. Eine Geschichte, die man Menschen erzählt, um ihnen hässliche T-Shirts anzudrehen.
“Durch et Füer” und mehr: Dreimal Abstieg alaaf!
Dazu passte auch, dass der Verein sich parallel immer weniger für Fanbelange zu
interessieren schien: Die Beziehung zur aktiven Fanszene ging komplett in die Brüche. Choreografien, einst ein Markenzeichen der Kölner Südkurve, gibt es in Müngersdorf schon lange nicht mehr zu sehen. Der Club lieferte sich einen trotzigen Streit mit den Ultra-Gruppen um die Verantwortlichkeit bei den Choreos. Gleichzeitig bedienten die „Geißböcke“ selbst noch im ärgsten Misserfolg schonungslos den kölschen Drang nach schunkelnder Folklore. Wenn et sin muss, durch et Füer. Für die Moderation des peinlichsten Abstiegs seit Anbeginn der Zeiten heimste die Kölner Kommunikationsabteilung einen Branchenpreis ein. Dreimol Abstieg alaaf!
Diese Entwicklung dürfte nicht zuletzt am Führungsvakuum, das im Vorstand des 1. FC Köln herrschte, gelegen haben. Das Präsidium um Werner Spinner, Toni Schumacher und Markus Ritterbach hatte sich intern ebenso zerlegt, wie das zuvor bei der sportlichen Leitung der Kölner um Jörg Schmadtke und Peter Stöger geschehen war. Unter dem geschwächten Vorstand blieb zunächst nur Finanz-Geschäftsführer Alexander Wehrle über. Der Diplom-Verwaltungswissenschaftler ist in der Domstadt überaus beliebt und gilt in der Branche als absoluter Fachmann auf seinem Gebiet – das sind die Finanzen. Ob bei Stadionausbau oder in China: Wehrle war stets involviert und nach Spinners Abgang zunächst die Leitfigur in der Geschäftsstelle.
Der 1. FC Köln muss sich entscheiden
Der umtriebige Schwabe dürfte auch bei aktuellen Marketingprojekten wie der Dokumentation „24/7 FC“ seinen Segen gegeben haben. Die mehrteilige Eigenproduktion des Clubs unterstreicht die Entwicklung beispielhaft ohnehin großartig: Der 1. FC Köln ist schließlich immer noch ein Aufsteiger. Es bedarf schon ordentlich Chuzpe, einen selbstproduzierten Imagefilm über eine Spielzeit zu drehen, in der man sportlich – Aufsteiger! – nur wenig Hoffnung auf großartige Erfolge haben darf. Wenn wir schon versagen, dann wenigstens in HD und für 13,99 Euro zum Miterleben. Dreimol Abstieg alaaf?
Damit wir uns nicht falsch verstehen: Natürlich kann man so eine Dokumentation machen – ist doch ein, zwar vom Club betreuter, aber netter Eindruck. „24/7 FC“ ist nur ein Symptom, wie die Moderation des Abstiegs, Stadionträume oder irgendwelche China-Expansionen. Der Verein hat seine Lektion schlichtweg bis heute nicht gelernt – das zeigt sich auch an Kleinigkeiten. Der 1. FC Köln muss sich entscheiden. Dass die derzeitig überbordende Identifikation als Karnevalsverein, als Marke, als Entertainment den Club auf den Weg zu einem seriösen, bodenständigen und vielleicht sogar erfolgreichen Fußballverein führen wird, erscheint unwahrscheinlich.
„Wollen Sie sich mit uns auf Fußball konzentrieren?“
Das neugewählte Präsidium um Werner Wolf und die Vizepräsidenten Jürgen Sieger und Eckhard Sauren wird den Verein also nicht nur einfach weiterführen, sondern ihm auch eine Philosophie vorgeben müssen. Eine Rückbesinnung auf die glorreiche Vergangenheit ist dabei nicht notwendig. Vielleicht reicht es bereits, sich an dem Pragmatismus und der Bescheidenheit zu orientieren, die zwischen dem vorletzten Abstieg und der Europapokal-Qualifikation vor allem anfangs authentisch ausgefüllte Kultur des Clubs waren.
Der 1. FC Köln mag zwar mehr Mitglieder, eine bessere Stadionauslastung und höhere Einschaltquoten haben als viele andere Vereine in Deutschland oder Europa, das ist schön. Vielleicht ist er sogar in irgendeiner unwichtigen Marketingkennzahl Deutscher Meister. Auf dem grünen Rasen macht ihn das aber trotzdem nicht besser als Clubs mit weniger Budget und kleineren Stadien. In Völklingen hatten sie nicht einmal ordentliches Flutlicht – und haben dennoch gewonnen. Das Mainzer Stadion ist von außen ein Möbelhaus – auch das hat die Rheinhessen nicht gehindert, die „Geißböcke“ drinnen zu schlagen.
Der 1. FC Köln braucht keine großen Zukunftsvisionen, keine Luftschlösser, kein neues Stadion und keine Hochglanz-Dokumentationen und vermutlich braucht er auch nicht mal wieder einen neuen Trainer. Vielleicht braucht der große Traditionsclub einfach nur ein Management, das fragt: „Wollen Sie sich mit uns auf Fußball konzentrieren?“