Es ist beileibe kein normaler Vorgang, eher sogar ein ziemlich ungewöhnlicher Schritt: Drei Spieltage vor Schluss trennt sich der 1. FC Köln als Spitzenreiter der 2. Bundesliga von Trainer Markus Anfang. Wer zuletzt lediglich einen kurzen Blick auf die Tabelle erhaschen konnte, wird sich vielleicht fragen, warum sich die „Geißböcke“ am Samstag zu diesem Schritt durchgerungen haben.
Trotz der Niederlage gegen Darmstadt 98, die zweite in Folge für den hochkarätig besetzten Aufstiegsfavoriten, thront der effzeh noch an der Spitze, hat die Rückkehr in die Bundesliga noch in der eigenen Hand. In Fußball-Deutschland ist die Verwunderung daher groß – was ist da nur wieder los am Geißbockheim? Sind die Ansprüche in Köln wieder so riesig, dass selbst ein Aufstieg nicht ausreicht? Sind sie wieder größenwahnsinnig geworden beim Chaosclub, beim Karnevalsverein?
Tabellenführung eins der wenigen Argumente pro Anfang
Keinesfalls, möchte man zurückbrüllen, auch wenn die Vereinsführung in der letzten Zeit beileibe kein Ruhmesblatt für den einst großen 1. FC Köln ist. Denn wer einzig allein die Tabellensituation heranzieht, der zeigt, dass er sich zuletzt eher weniger mit dem Club beschäftigt hat. Denn der Platz an der Sonne im Zweitliga-Schatten war wahrlich eines der wenigen Argumente, die Markus Anfang in seiner Zeit bei den „Geißböcken“ gesammelt hatte.
Dank eigener Siegesserien und dank der schwachen Konkurrenz um die Spitzenplätze in der 2. Bundesliga ist es dem effzeh in der Rückrunde gelungen, sich mehr oder minder souverän Richtung Tabellenführung zu verabschieden. So ist der Aufstieg trotz der zuletzt besorgniserregenden Auftritte, die die Anfang-Elf auf den Rasen gebracht hat, im Grunde nur noch Formsache. Ein einziger Erfolg dürfte dem ersten Bundesliga-Meister der Geschichte zur Rückkehr in die Beletage des deutschen Fußballs reichen.
Zu mehr allerdings auch nicht, das haben die Leistungen der Mannschaft nicht nur in den vergangenen Wochen gezeigt. Seit Saisonbeginn ringt der 1. FC Köln mit seiner Rolle in der 2. Bundesliga, bringt trotz des besten und teuersten Zweitliga-Kaders seiner Vereinsgeschichte keinerlei Sicherheit, Ruhe und Konstanz in seine Auftritte. Eine Weiterentwicklung des Teams ist selbst mit viel Wohlwollen nicht zu konstatieren, selbst eine Stabilisierung des Systems gelang Markus Anfang nur zeitweise.
Die berechtigte Kritik wurde zuletzt immer lauter
Ein System, das den effzeh allein aufgrund seiner individuellen Qualität an die Tabellenspitze gespült hat. Terodde, Cordoba, Modeste, Drexler, Schaub: Die Offensive der „Geißböcke“ sucht in der Liga ihresgleichen und ist dank ihrer Wucht auf Dauer selbst mit dem grausamsten Coaching nicht zum Misserfolg zu bringen. Aber das reicht bei weitem nicht aus, um den Ambitionen in Köln Stand zu halten, um den eigenen Job zu sichern.
Mit Blick auf die Herausforderung in der Bundesliga, mit den dort wartenden Gegnern musste einem zuletzt schummrig vor Sorgen um den 1. FC Köln werden. Der weiterhin völlig unrund zusammengestellte Kader rumpelte sich durch die 2. Bundesliga und hat es zuvorderst den noch häufiger patzenden Konkurrenten um den Aufstieg zu verdanken, dass sich das noch nicht rächte. Erstliga-Tauglichkeit deuteten die Leistungen von Kölner Spielern und dem Trainer zuletzt immer seltener an.
Kaum verwunderlich, dass die Kritik an Markus Anfang zuletzt immer lauter wurde: Gegen den HSV wurde er in der 2. Halbzeit von dessen Trainer Hannes Wolf klassisch ausgecoacht, seine fehlende Rotation in der Englischen Woche wurde ebenso angeführt wie die fehlenden Einsatzzeiten von talentierten Kickern wie Vincent Koziello und Salih Özcan, die er trotz zweifellos vorhandenen Qualitäten häufig links liegen ließ. Dass der effzeh-Coach auch die Mannschaft nicht mehr uneingeschränkt hinter sich wusste, wurde in der Ergebniskrise zunehmend offensichtlich.
Anfang fremdelte mit dem Club, das Team mit ihm
Das „Bessermacher“-System, wie es Dominick Drexler nannte – es fruchtete beim 1. FC Köln nicht auf Dauer. Ein System, das nicht zum Kader passte. Oder ein Kader, der nicht zum System passte. Einen Plan B schien es für die Spiele selten zu geben. Anfang drehte zwar an den Schrauben, doch schon bei der Umstellung auf Doppelspitze und Dreierkette rumorte es in Team und Club. Hatte effzeh-Sportgeschäftsführer Armin Veh, weiterhin noch mehr Trainer als Vereinsstratege, etwa korrigierend eingegriffen?
Die Glaubwürdigkeit des Übungsleiters war beschädigt – sein Ansehen in der Mannschaft war es dort schon längst. Wichtige Spieler im Team kamen mit dem Auftreten des Kielers Erfolgsgaranten nicht zurecht, seine Ansprache fand nicht den richtigen Ton für die mental angeschlagene und mitunter sogar zur Bequemlichkeit neigende Truppe, seine Analysen nach den Spielen hatten meist eine recht exklusive Sicht auf die Dinge.
Auch in der Öffentlichkeit lief es für Anfang nur unwesentlich besser: Ausgerechnet er, der gebürtige Kölner, fremdelte mit den effzeh-Fans, schien nie so recht im größten und wichtigsten Fußball-Job seiner Heimatstadt angekommen zu sein. In der wohl lockersten Stadt des Landes präsentierte sich Anfang komplett distanziert. Akribisch, engagiert, ehrgeizig, aber halt niemals auf einer Wellenlänge mit diesem komplizierten Club, mit diesem leidenschaftlichen Anhang und dieser chaotischen Umgebung.
Es passte einfach nicht zwischen Anfang und dem 1. FC Köln
Die Beziehung zwischen dem 1. FC Köln und Markus Anfang – es passte letztlich einfach nicht. Auf dem Papier schien die Verpflichtung des einstigen Bundesliga-Profis das perfekte „Match“ zu sein: Der kölsche Jung, der in der Fremde Erfolg hatte. Der Systemtrainer, der mit seiner offensiven Spielweise für Begeisterung sorgte. Der Verein, der nach dem bittersten Absturz der Vereinsgeschichte nach einem Neuanfang und neuen Helden gierte. Der in der 2. Bundesliga nicht nur erfolgreich, sondern auch attraktiv spielen wollte.
Doch was von den Voraussetzungen wie eine romantische Traumhochzeit anmutete, wurde im Alltag schnell auf das Niveau eines One-Night-Stands zurechtgestutzt. Die bittere Diagnose für alle Beteiligten: Der 1. FC Köln und seine derzeitige Situation waren eine Nummer zu groß für Markus Anfang. Der Aufgabe, den suboptimal geführten Club an der Seitenlinie zu neuem Glanz zu verhelfen, war der Heimersdorfer nicht gewachsen. Viel zu gewinnen gab es für ihn allerdings dabei auch nicht: Mit dieser Mannschaft aufzusteigen war einfach Pflicht, doch die B-Note stimmte letztlich nicht.
Die Konsequenz: Der effzeh zieht drei Spieltage vor Schluss die Reißleine. Spät, aber nicht zu spät – auch, um den sicher geglaubten Aufstieg nicht noch aus der Hand zu geben. Viel braucht es nicht mehr, um die Rückkehr in die Bundesliga einzutüten. Doch selbst das schien der Verein Anfang, dem es wahrlich nicht an Feuer und Hingabe für die Aufgabe mangelte, nicht mehr zuzutrauen. So reagiert der Spitzenreiter aus akuten Sorgen um das gesetzte Saisonziel – allerdings auch, um Spätfolgen für die nähere sportliche Zukunft zu vermeiden.
Ein verschenktes Jahr liegt hinter dem 1. FC Köln
Es mag wie eine Kurzschlussreaktion aus Panik anmuten, es ist sie vielleicht auch – das ist dem 1. FC Köln schließlich immer zuzutrauen. Markus Anfang hätte es verdient gehabt, zumindest diese Spielzeit noch zu Ende bringen zu dürfen. Doch die besorgniserregenden Auftritte in den letzten Wochen nahmen ihm auch das letzte schlagende Argument für eine Weiterbeschäftigung aus der Hand. Die Stimmung rund um den Club, der in der vergangenen Saison sportlich unwürdig, aber auf den Rängen erstklassig abstieg – sie war beim Darmstadt-Spiel endgültig auf dem Nullpunkt angekommen.
Von einer Aufstiegseuphorie kann schon länger keine Rede sein, nun wirkt die Atmosphäre eher wie bei einem Abstieg denn bei einer Rückkehr in die Bundesliga. Hinter den „Geißböcken“ liegt ein sportlich verschenktes Jahr, das ab Sommer sich noch bitter rächen könnte. Damit diese Hypothek, die der effzeh mit in die neue Saison nehmen wird, nicht noch größer wird, mussten die Verantwortlichen handeln.