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Sportpolitik

Jahresbericht der ZIS: Gewalt im Fussball auf hohem Niveau – in allen Belangen

Der Jahresbericht der Zentrale Informationsstelle Sporteinsätze (ZIS) der Fußballsaison 2018/2019 spricht von 22 Millionen Menschen, die Spiele der ersten bis dritten Liga besuchten.

COLOGNE, GERMANY - JANUARY 14: Police or Polizei watch the fans of Borussia Monchengladbach during the Bundesliga match between 1. FC Koeln and Borussia Moenchengladbach at RheinEnergieStadion on January 14, 2018 in Cologne, Germany. (Photo by Dean Mouhtaropoulos/Bongarts/Getty Images)
Foto: Dean Mouhtaropoulos/Bongarts/Getty Images

Auf einem abgelegenen Parkplatz in Gladbach-Neuwerk kommt es einem Polizeibericht zufolge zu einer wilden Massenschlägerei: Laut Augenzeugen war ein „Bus mit Borussia-Fans von Autos mit Kölner Kennzeichen abgedrängt worden“. Auf die Massenschlägerei folgen wilden Jagdszenen. Eine Person wird nachher verletzt ins Krankenhaus eingeliefert. Szenen, die aus einem Actionfilm stammen könnten, doch tatsächlich sind es wahre Vorkommnisse aus den Wochen vor dem Derby zwischen Borussia Mönchengladbach und dem 1. FC Köln. Einige Wochen später kommt es während der Begegnung im Stadion zudem kurz vor Schlusspfiff zu einem Böllerwurf, bei dem insgesamt zwölf Fotografen und Volunteers teilweise schwer verletzt werden. Nur zwei ausgewählte Beispiele, die unterstreichen, dass zwischen Fußball und Gewalt eine enge Verbindung besteht.

ZIS: 22 Millionen Menschen besuchten Spiele der ersten drei Ligen

Entsprechende Vorkommnisse werden in dem kürzlich erschienen Jahresbericht der Zentrale Informationsstelle Sporteinsätze (ZIS) der Fußballsaison 2018/2019 aufgeführt. Diese zentrale Koordinierungsstelle mit Sitz in Duisburg hat zum Ziel die stets sichtbaren Ereignisse in Form von gewalttätigen Störungen zu dokumentieren. Dabei stellt die Behörde den Informationsaustausch zwischen nationalen und internationalen Polizeibehörden her und ist der Ansprechpartner für sportliche Großereignisse. Sie ist also eine Sammelstelle zur Analyse und Bewertung von Daten, um anschließend in Kooperation mit Sportverbänden, Kommunen oder Vereinen die Sicherheit bei Fußballspielen entsprechend zu erhöhen.

Der eingangs erwähnte Bericht erscheint jährlich und soll dazu dienen, die erhobenen Daten regelmäßig vergleichen zu können. In dem Jahresbericht präsentieren die Beamten die von ihnen ermittelten aktuellen Zahlen zu sogenannten Störern im Fußball. Der Bericht erfasst die Zahl verletzter Personen, Strafverfahren, Tatorte oder die Anzahl vergebener Stadionverbote. Basis der Daten waren im vergangenen Jahr 1.151 Spiele von der ersten bis zur dritten Bundesliga sowie alle Partien der fünf Regionalligen, 1.530 Spiele. Darüber hinaus besuchten in etwa 22 Millionen Menschen die Partien der ersten drei Ligen, was einen Zuwachs von 4,5 Prozent im Vergleich zum Vorjahr bedeutet.

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Die Kernaussage gleich zu Beginn des Berichts lautet: Störungen und gewaltbereites Verhalten während Fußballveranstaltungen ist „auf einem saisonbedingt schwankenden, jedoch insgesamt weiterhin hohen Niveau“. Während die 1980er und 1990er Jahren von dem neuauftretenden Phänomen des sogenannten „Hooliganismus“ gezeichnet waren, einem geschlossenen gewaltsuchenden Personenkreis, der jüngerer und vorzugsweise männlich war, etabliert sich seit der Jahrtausendwende eine Ultrabewegung in den ersten vier Spielklassen. Der Bericht unterteilt die Ultrabewegung in Kategorien. Dabei findet das Selektieren nach drei Kategorien statt, wobei hier das Augenmerk auf der Einordnung B, der gewaltbereite/-geneigte „Fan“ und C, dem gewaltsuchenden „Fan“ liegt.

Zahl der „Gewalttäter Sport“ bleibt konstant

Jene Kategorisierungen bilden die Grundlage der gemeldeten, sogenannten „Störer“ von insgesamt 13.374 Personen in den ersten drei Ligen. Diese Personenanzahl der „Gewalttäter Sport“ befindet sich seit Jahren auf einem einheitlichen Niveau. Ein Blick auf die Anzahl der Verletzten zeichnet ein trügerisches Bild und benennt zugleich eine vereinsabhängige Entwicklung. Die Gesamtanzahl der Verletzten ist um 7 Prozent gesunken ist (insgesamt 1.127), wobei innerhalb der 2. Bundesliga ein enormer Anstieg an Gewalttaten gemessen an eingeleiteten Strafverfahren erkenntlich wird. Während in der 1. Bundesliga ein Rückgang von neun Prozent vorliegt, nehmen die Straftaten in der 2. Bundesliga um 25 Prozent zu. Gründe dafür sind – laut der Verfasser – die Abstiege des Hamburger SV und des 1. FC Köln sowie der Aufstieg des 1. FC Magdeburg. Obwohl der Abhandlung eine objektive Sichtweise mit statistisch erworbenen Daten zu Grunde liegt, werden also einige Vereine bzw. Szenen explizit genannt.

Blickt man einmal auf die eingeleiteten Strafverfahren nach Verstößen gegen das Sprengstoffgesetz, beispielsweise beim Einsatz von pyrotechnischen Gegenständen – so konnte der außerordentliche Anstieg von nahezu 50 Prozent in den Spielzeiten 2016/17 und 2017/18 nicht bestätigt werden. Ferner reduzierte sich die Anzahl um 25 Prozent, wobei die Tendenz jedoch nicht als Indiz für eine Trendwende bezeichnet wird.

Weniger Stadionverbote in den Regionalligen

Foto: roteboecke.com

Ein Blick auf die freiheitsentziehenden/-beschränkenden Maßnahmen legt zudem eine weitere Entwicklung offen: Während zu Zeiten des „Hooliganismus“ insbesondere Jugendliche und Heranwachsende die größte Gruppierung mit Gewaltpotenzial darstellten, ist mittlerweile die Altersgruppe der 21-25-Jährigen am auffälligsten. An dieser Stelle ist auch ein Verweis an die ausgesprochenen Stadionverbote angebracht, die im Gegensatz zum Vorjahr insgesamt um 31 Prozent sanken. Was erst mal gut klingt, wirkt auf den zweiten Blick weniger positiv: Zwar wurden nur 189 örtlich begrenzte Stadionverbote (vormals 622) ausgesprochen, so stieg die Anzahl ausgesprochener bundesweiter Stadionverbote jedoch von 499 auf 568. Ferner wird der deutliche Rückgang damit begründet, dass die Umsetzung der Stadionverbote nur „nach intensiver Einzelfallprüfung“ ausgesprochen werden, wie es im Bericht heißt. Angemerkt sei hier auch eine äußerst positive Entwicklung innerhalb der Regionalligen, in denen nahezu durchweg eine positive Entwicklung zu vermerken ist.

Stadion wird als Bühne genutzt, Drittortauseinandersetzungen oft unbemerkt

Die Tatorte entsprechender Gewaltdelikte begrenzen sich nicht auf das Stadion oder die umliegende Nähe, wenngleich die Nähe des Stadions in den meisten Fällen als „Bühne“ genutzt wird: Es besteht jedoch ein hohes Dunkelfeld bei Drittortauseinandersetzungen. Dabei handelt es sich um verabredete Auseinandersetzungen einzelner Fanlager, die „teilweise (weit abgesetzt)“ von Stadien stattfänden, so die Polizei im Bericht. Zusätzlich erfassten die Beamten einige Vorfälle im Bereich der Transitsachverhalte, betreffend „Sicherheitsstörungen auf Reisewegen“. Das jüngste Beispiel aus der Regionalliga: Rund 120 sogenannte Problemfans von RW Essen hatten nach der Regionalligapartie beim SV Bergisch Gladbach auf der Rückreise in einer Regionalbahn tätliche Angriffe auf Teilnehmer einer Kurden-Demonstration in Köln verübt. Dabei wurden bis zu 50 Strafanzeigen gestellt. In den letzten Wochen hatte es bereits vermehrt derartige Aktionen von Essener Fans gegeben, wenngleich die Motivationen variierten, wie der WDR berichtet.

Kein Blick auf Amateur-Ligen

Eines wird in dem vorliegenden Bericht jedoch gänzlich ausgelassen: Wie sieht die Entwicklung in den Ligen jenseits der Regionalliga aus? Insbesondere der mediale Diskurs weist darauf hin, dass das Gewaltpotenzial in den unteren Ligen, und damit weitaus größten Bestandteil des deutschen Fußballs, merklich zugenommen hat. Ein Appell eines der mittlerweile zahlreichen Berichte über derartige Gewaltausbrüche auf den Plätzen der Kreisliga bringt die Thematik auf den Punkt: „Es kann jetzt nicht einfach so weitergehen“, stellt ein Kommentator der Rheinische Post fest.

Eine bedenkliche Entwicklung, wenn man sich einmal vor Augen führt, dass mittlerweile Hundertschaften der Polizei bei Kreisligabegegnungen eingesetzt werden. Oftmals sind die Auslöser für derartige Maßnahmen in politischen Motiven begründet, wie in der Partie zwischen SG Erfttal (das Team tritt auch unter dem Namen Anadolu 98 auf) und dem erst vor kurzer Zeit gegründeten Verein Mesopotamia aus Grevenbroich. Dabei kam es zu Auseinandersetzungen zwischen türkischen und kurdischen Anhängern, wie unter anderem der Express berichtet.

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Die derzeitige, politisch äußerst angespannte Lage, war auch Inhalt von Fangesängen oder Jubelfeiern wie der umstrittene Salut-Jubel im Zuge der türkischen Militäroffensive in Nord-Syrien. Derartige Meldungen nehmen zu und werden oftmals mit entsprechenden Videomaterial unterfüttert. Das Gewaltpotenzial ist allgegenwärtig und zieht sich von der zehnten bis hin zur ersten Liga.

Fußball, Gewalt und Polizei sind immer ein Thema

Kumuliert betrachtet zeigen die Ergebnisse, dass die Triade aus Fußball, Gewalt und Polizei unter bestimmten Gesichtspunkten stets miteinander verknüpft sind. Die ZIS-Daten verdeutlichen unwiderruflich, dass das Gewaltpotenzial während Fußballveranstaltungen eine ewige Konstante bildet und fiktiv betrachtet einer vulkanischen Eruption gleicht. Um es anders auszudrücken: Die Gewalt kann, bedingt durch brisante Aufeinandertreffen oder Derbys, stets ausbrechen und ist ein stiller Begleiter während der Fußballevents.

Um dieser Entwicklung vorbeugen zu können wird die polizeiliche Präsenz in den Stadien merklich größer. Während der Derbys zwischen dem effzeh und Gladbach zeichnet sich überwiegend in unmittelbarer Stadionnähe aber auch innerhalb der Innenstädte ein im wahrsten Sinne des Wortes kriegerisches Bild: Die Straßen versinken in einem Meer aus Einsatzwagen, Wasserwerfern oder Pferdestaffeln. Fans der Gastmannschaften werden mit Polizeieskorte durch die Stadt gelotst und erinnern dabei eher einem Gefangenentransport zu einem Hochsicherheitsgefängnis als friedliche Zuschauer einer Sportveranstaltung, in der es um Fairness, Wettbewerb und Respekt geht. Zuletzt kann man die enorme Arbeitsbelastung der Bundespolizei bei Fußballveranstaltungen mit Hilfe der hier geleisteten Arbeitsstunden innerhalb der letzten Saison ablesen: 2,2 Millionen (!). Aufgrund dessen hat der Landesjustizminister Peter Biesenbach abermals eine Beteiligung der Vereine an den Einsatzkosten bei sogenannten Hochrisikospielen gefordert.

Gewalt muss auch im Amateursport thematisiert werden

Zukünftig muss das Thema Gewalt nicht nur im professionellen Fußball behandelt werden, sondern gleichwohl in den Amateurligen thematisiert werden. Die Fußballplätze in der Region werden oft Schauplatz von hässlichen Szenen, was jedoch in der Betrachtungsweise und Konfliktbewältigung zu wenig Beachtung findet. Erst auf einer gesunden Basis der breiten Masse können derartige Ausschreitungen auch im Spitzensport nachhaltig verringert werden. Der Bericht hat zudem offengelegt, dass mittlerweile nicht nur noch eine junge Altersklasse der „Störer“ vorliegt, sondern die Ausprägung auch auf ältere Menschen zutrifft. Wir stehen also vor einer gesellschaftlichen Querschnittsaufgabe, in der so viele Menschen wie möglich einbezogen werden sollten.

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