Zugegeben: Das aktuelle Verteilungssystem für TV-Erlöse in den beiden deutschen Topligen ist nicht grundsätzlich falsch. Es ist transparent und nachvollziehbar. Vor allem aber ist es immerhin vorhanden. Das würde so manchem Club in der Türkei vermutlich schon völlig reichen. Denn dort verteilt der Verband die TV-Gelder nach eigenem Ermessen unter den Vereinen. Diese Nicht-Regelung ist aber glücklicherweise eher die internationale Ausnahme. Aber wieso ist das überhaupt wichtig?
Nachdem die DFL bei der Vergabe der Bundesliga-Fernsehrechte einen Rekorderlös erzielen konnte, ist eine Debatte wieder hoch gekocht, die eigentlich schon früher hätte etwas mehr Fahrt aufnehmen müssen. Denn der Zusammenschluss einiger renommierter Clubs fordert für die Bundesliga mit einer dritten Messgröße das, was in den europäischen Ligen, zu denen man hier finanziell gerne neidisch hinauf schaut, schon Normalität ist. Neben einem Anteil, der unter den Clubs gleichermaßen verteilt wird und einem, der den sportlichen Erfolg berücksichtigt, will das „Team Marktwert“ nun auch die Fanbasis oder eben die Einschaltquoten finanziell berücksichtigt wissen.
„Unser Vorschlag zielt auf eine gerechtere und moderne Verteilung. Wir glauben, dass sich dadurch alle Vereine künftig noch stärker um eine möglichst große und aktive Fangemeinde kümmern. Dafür schaffen wir einen zusätzlichen Anreiz“, sagt Alexander Wehrle. Zusammen mit seinen Kollegen aus Hamburg, Bremen, Frankfurt, Berlin und Stuttgart wirbt der Kölner Geschäftsführer schon länger für die kleine Revolution in Sachen TV-Geld-Verteilung.
Traditionsdebatte als Störfeuer
Erschwert wurde und wird die Überzeugungsarbeit durch rhetorische Störfeuer wie die ewige Debatte um „Traditionsvereine“, die mit dem Thema eigentlich recht wenig zu tun hat, aber eben ganz wunderbar zu den sechs Clubs passt, die sich da zusammengefunden haben. Sie alle sind genau das, was man gemeinhin unter dem Begriff versteht: Sehr populär, mit ruhmreicher Vergangenheit ausgestattet, aber zuletzt nur noch mäßig erfolgreich. Und so ließ Gladbach-Sportdirektor Max Eberl damals auch prompt wissen, er halte nichts davon, „auf Tradition Fernsehgeld zu bezahlen“. Auch der damals noch für Mainz tätige Christian Heidel fragte mit etwas viel Pathos: „Gute Arbeit in den letzten zehn Jahren gilt dann gar nichts mehr?“
Doch dass der Besitz angestaubter Pokale aus der fernen Vorzeit keine Leistung ist, für die man heute mehr Geld bekommen sollte, ist natürlich auch beim „Team Marktwert“ jedem klar. Die fehlgeleitete Debatte konnte diese kleine aber feine Detail trotzdem nicht mehr aufhalten. Vermutlich auch deshalb dürften die Revoluzzer nun den neuen TV-Deal dafür genutzt haben, ihre Sache nochmals in den Fokus zu rücken. „Damit fordern wir nur das, was in sämtlichen europäischen Topligen bereits üblich ist – nämlich eine gerechtere und zeitgemäße Verteilung der TV-Gelder“, ließ der Vorstand von Eintracht Frankfurt, Alex Hellmann, per Pressemitteilung bereits kurz nach Bekanntwerden der Rekordeinnahmen wissen. Und erneut forderte das „Team Marktwert“ die restlichen 30 Clubs der beiden Ligen auf, sich ihnen anzuschließen. Wieder gab es prompt Gegenwind. Und das sogar in merkwürdig scharfer Art und Weise.
Merkwürdig scharfer “kicker”-Kommentar
Dieses Mal kommt die Kritik aber merkwürdigerweise nicht von den Kollegen aus den eigenen Reihen, sondern – ohne offensichtlichen Grund – vom auflagenstärksten deutschen Fußball-Fachmagazin. „Ruft da jemand zu einer neuen Organisation neben der DFL auf?“, fragt sich einer der „kicker“-Chefredakteure nun in einem Kommentar zum Thema. „Was das Sextett fordert, ist absurd“, legt Rainer Franzke nach. „Da macht ein Sextett mobil, das in den vergangenen Jahren nicht gerade durch spektakulären sportlichen Erfolg aufgefallen ist“, wettert er weiter und fragt sich schlussendlich: „Vereine wie Augsburg und Mainz, die sich mit einem pfiffigen Management in der Bundesliga etabliert haben, sollen jetzt also herhalten für jene Vereine, die ihr Geschäft eben nicht so gut beherrscht haben?“ Da ist sie wieder, die gute alte Debatte über das unbestrittene sportliche Versagen der sogenannten Traditionsclubs in den letzten Jahren – die beliebten Gegenbeispiele aus Augsburg und Mainz gibt’s natürlich inklusive.
Nur sind diese vermeintlichen Argumente gegen das „Team Marktwert“ heute noch genauso absurd wie damals – auch wenn der „kicker“ sie nun verbreitet. Der Vorwurf, die neue Regelung würde das „Leistungsprinzip konterkarieren“, wie Franzke sich echauffiert, bricht nämlich in sich zusammen, wenn man erst einmal definiert hat, um welche Art von Leistung es überhaupt geht. Denn auch wenn man sich das nach jahrelanger Arbeit beim Fachmagazin vielleicht nicht mehr vorstellen kann, geht es hier eben nicht um Tore, Vorlagen, Zweikämpfe, Punkte oder Titel. Aber glücklicherweise ist es wenigstens ähnlich einfach zu verstehen “aufm Platz”: Die DFL hat als Zentralvermarkter die Bundesliga-Fernsehrechte in Vertretung für die zugehörigen Clubs verkauft. Der Preis, den Sender und Medienunternehmen dafür zu zahlen bereit waren, hing davon ab, wie viel Geld die Käufer mit dem Produkt danach glauben verdienen zu können. Im Klartext: Umso höher die Einschaltquoten der gekauften Sendung, desto höher später die Abo- und Werbeeinnahmen für die Sender. Und da ist sie auch schon, die Leistung, um die es hier eigentlich geht: Der Anteil am Bundesliga-Gesamtmarktwert.
Mehr als sportliche Leistungen
So beeindruckend die sportlichen Leistungen von Mainz oder Augsburg auch sein mögen, so wecken die Partien zwischen diesen beiden Teams dennoch nicht annähernd das Interesse, was bei Aufeinandertreffen von Werder und dem HSV oder Köln und Gladbach entsteht. Eben deshalb haben sie einen geringeren Wert auf dem TV-Markt. Das bedeutet im Umkehrschluss aber auch: Für hohe TV-Erlöse sind manche Vereine verantwortlicher als andere. Sie bekommen dafür aber im aktuellen System keinerlei monetäre Vorteile. Das möchte das „Team Marktwert“ ändern – mehr nicht. Und das haben zu wollen, was einem zusteht, ist gerade in einer Bundesliga, die mit RB Leipzig nach Wolfsburg und Leverkusen nun das nächste sportliche Ziehkind eines Großunternehmens bekommt, keinesfalls „absurd“, sondern schlichtweg notwendig. Auch wenn man das beim „kicker“ offenbar nicht verstehen will.
Denn auch der Chefredakteur vergisst das gerne, wenn er sich in seinem Kommentar zu allem Überfluss auch noch zum Robin Hood aufschwingt. „Den vermeintlich Großen auf Kosten der vermeintlich Kleinen mehr Geld zu geben, wäre unsozial und keinesfalls gesellschaftskonform“, schießt Franzke also weiter. Blöd nur, wenn es gar nicht mehr so einfach ist, zu benennen, wer eigentlich die Kleinen und die Großen in der Liga sind. Der 1. FC Köln mag zwar mehr Mitglieder haben als Hoffenheim, Wolfsburg und Leverkusen zusammen, Transfers mit Volumen von 20 oder sogar 36 Millionen Euro haben aber weder die Kölner noch die Berliner, Bremer, Hamburger oder Stuttgarter in ihrer Vereinsgeschichte jemals tätigen können. Doch wenn die quotenstärkeren Clubs gegenüber ihren Konkurrenten, die weder über große TV-Relevanz noch über eine große Fanbasis verfügen, finanziell dermaßen unterlegen sind, ist das nicht nur ein sportliches Problem für die Bundesliga.
Sollten die sogenannten “Traditionsvereine”, die mit ihren Reichweiten maßgeblichen Anteil am Marktwert der TV-Lizenzen haben, auch in Zukunft nicht mehr mithalten können und sich vermehrt in die zweite Liga verabschieden müssen, könnte sich die DFL neuerliche Rekorderlöse in die Haare schmieren. Denn man mag sich vielleicht den Meistertitel in so kurzer Zeit erkaufen können, dass Red-Bull-Boss Dietrich Mateschitz noch vital genug ist, um den Triumph zu genießen. Doch die Faszination und den Marktwert einer ganzen Liga mit seiner Fanbasis und Popularität zu tragen, geht – dafür genügt der Blick zum nächstgelegenen Werksverein – glücklicherweise nicht ganz so schnell. Und niemand bezahlt Milliarden für die Rechte am Spiel Wolfsburg gegen Leverkusen.