Dass das natürlich extrem zu kurz greift, sollte offensichtlich sein. Markus Anfangs Äußerungen deuteten in jedem Fall darauf hin, dass er in der täglichen Arbeit mit der Mannschaft dafür sorgen will, dass diese die notwendigen Räume auf dem Spielfeld bestmöglich besetzt und ausnutzt. In den letzten Jahren hat sich unter Taktik-Experten und auch beim DFB der Begriff der “Raumkontrolle” etabliert, der viel über die Qualität einer Fußballmannschaft aussagt. Entwickelt wurde das Konzept des Positionsspiels, das eine möglichst gute Raumkontrolle offensiv wie defensiv schaffen soll, vom niederländischen Fußball-Genie Johan Cruyff. Seine Weiterentwicklung fand es unter Pep Guardiola. Christofer Clemens, Chefanalytiker des DFB, erzählte Christoph Biermann in dessen Buch “Matchplan” (hier entlang zur Rezension): “Der moderne Fußball wird über Raumkontrolle entschieden. Die Mannschaft, die zum richtigen Zeitpunkt den richtigen Raum kontrolliert, gewinnt wahrscheinlich das Spiel.”
Anfangs Spielidee basiert auf dem Besetzen von Räumen
Der Begriff der “Raumkontrolle” stammt, wie sollte es auch anders sein, aus Köln – er wurde von Daniel Memmert, Chef des Instituts für Kognitions- und Sportspielforschung an der SpoHo geschaffen. In einer Analyse zur Bundesliga-Saison 2014/2015 kam er zu dem Schluss: “Bei allen Pässen zwischen und innerhalb von Defensivzone und Mittelfeld weisen siegreiche Teams deutliche Vorteile im Positionsspiel auf, ebenso bei Vertikalpässen in der Angriffszone, Im Schnitt stehen ihnen weniger Gegenspieler gegenüber.” Das Ganze erinnert in seinem Duktus schon stark an das Konzept des Packing und zeigt auf, dass Raumbesetzung eine neue Dimension ist, in der Fußballtrainer denken. Wie genau das bei Anfang aussieht, ist natürlich nicht bekannt, denn der Coach wird sein Betriebsgeheimnis wohl kaum preisgeben. Dass er allerdings eher in Räumen statt in Zahlenabfolgen denkt, machte er bereits zu Beginn seiner Zeit beim effzeh klar.
Denn damit man den Raum kontrollieren kann, muss man ihn erstmal einteilen, um eine allgemeingültige Grundlage zu haben. Bei Cruyff wurde das Feld durch drei vertikale und sechs horizontale Linien in 18 Zonen eingeteilt, was je nach Lesart dann noch weiter verkompliziert werden kann (wie beispielsweise bei Guardiola). Daraus ergeben sich dann in der taktischen Arbeit gewisse Regeln und Abläufe. Aus dieser Festlegung entspringt im Grunde genommen das Gerüst für die Maßnahmen in der Offensive (mit Ball) und in der Defensive (ohne Ball).
Dominanz ausstrahlen: Zuletzt keine Stärke des 1. FC Köln
Foto: Thomas Starke/Bongarts/Getty Images
Die Fragen, die in diesem Zusammenhang beantwortet werden müssen, heißen unter anderem: Welche Zonen sollen immer besetzt sein? Wie viele Spieler dürfen sich gleichzeitig in einer vertikalen Linie aufhalten? Wo wird situativ gepresst, wo eher auf Manndeckung gestellt? Wie positionieren sich die Spieler im Spielaufbau? Gerade der letzte Aspekt bot für viele Fans des 1. FC Köln bei den beiden vergangenen Testspielen Anlass zum Stirnrunzeln: Zuvor war man es nicht gewohnt, dass die Außenverteidiger sich im Spielaufbau in den Halbräumen positionierten. Daraus ergab sich dann mehrfach eine 2-3-Stellung, die aus den beiden Innenverteidigern sowie den beiden Außenverteidigern und einem Sechser in der zweiten Linie bestand. Eröffnet wurde das Spiel dann auf Außen meistens mit einem Pass des Innenverteidigers auf den äußeren Mittelfeldspieler.
Man merkt es bereits, die taktische Arbeit ist beim 1. FC Köln ein wenig anders, ein wenig komplexer als in den vergangenen Jahren. Markus Anfang verfolgt einen klaren Plan, mit dem er beim effzeh Fußball spielen lassen möchte. Dieser Plan unterscheidet sich in wesentlichen Punkten von dem, was man seit 2013 in der Domstadt sehen konnte. Peter Stögers Spielidee fußte eher auf defensiver Kompaktheit und schnellem Umschaltspiel, während Anfang von Beginn an Dominanz ausstrahlen möchte. Dass es dementsprechend nach zwei Wochen hier und da noch hakt, sollte kein Grund für Beunruhigung sein.
Lernprozesse brauchen eben ihre Zeit
Es wird auch am ersten Spieltag der neuen Saison noch nicht so sein, dass die Mannschaft alle Regeln und Abläufe so verinnerlicht hat, dass man in der zweiten Bundesliga alles locker weghauen wird, dazu ist der Fußball zu komplex. Dies sollte jedoch auch nicht als allgemeingültige Entschuldigung verwendet werden, weil der Kader des 1. FC Köln noch nicht auf allen Positionen so besetzt ist, dass man von einem ausgewogenen Team sprechen kann – eher eine Baustelle für Armin Veh, der sich darum kümmern müsste, einen Spieler für die linke Außenbahn zu verpflichten.
Aber es ist eben auch so, dass Fußballer Lernprozesse durchlaufen müssen, davon wird man aktuell eben Zeuge. Denn genauso wie im körperlichen Bereich gibt es auch im kognitiven Lernen Momente, in denen man überfordert ist und weniger Leistung bringt – wenn allerdings vorher viele intensive Reize gesetzt wurde, ist der Trainingseffekt irgendwann feststellbar. Und das sollte nach diesem Wochenende die wichtigste Erkenntnis unabhängig von den Ergebnissen sein.