Willst du den Charakter eines Menschen erkennen, so gib ihm Macht. So sprach Abraham Lincoln einst. Vielleicht sollte man aber ergänzen: Oder nimm sie ihm wieder weg. Jedenfalls: was auf großer, weltpolitischer Bühne richtig ist, kann auf kleiner vereinspolitischer Bühne nicht falsch sein. Die Geräusche der letzten Tage rund um den 1. FC Köln können das belegen.
Beim Traditionsclub vom Rhein steht am Sonntag die Mitgliederversammlung auf dem Programm. Und eigentlich sind die Vorzeichen klar: Die Reste des alten Vorstands räumen ihren Posten, der neue Vorstand wird gewählt und übernimmt die Geschäfte. Das ist zumindest die Erwartung, die man angesichts der vorherigen Beschlüsse der Clubgremien seriöserweise haben kann.
Denn bereits vor Jahresfrist waren mit der Mitgliederratswahl die Würfel – nicht ohne vorstandsseitige Wahlkampf-Schlammschlacht im Vorlauf – in dieser Frage schon gefallen: Der Mitgliederrat als dafür zuständiges Gremium wurde 2018 frisch gewählt und erledigte die ihm satzungsgemäß zufallende Aufgabe, ein Kandidatentrio für die Vorstandswahl zu suchen dann relativ zügig. Kurz nach dem vollbrachten Wiederaufstieg in die Bundesliga ließ man die Katze schließlich aus dem Sack – ohne dabei noch für eine große Überraschung zu sorgen.
Die Würfel sind 2018 gefallen
Für intensive Beobachter des Clubs war schon durch die Zusammenstellung des neuen Mitgliederrats früh klar, dass die amtierende Vorstände Werner Spinner, Toni Schumacher und Markus Ritterbach wohl keine Berücksichtigung mehr finden würden. Präsident Spinner ging in der Folge nach einem Machtduell mit Geschäftsführer Armin Veh sogar vorzeitig von Bord, die beiden verbliebenen Vizepräsidenten lieferten derweil keine Argumente, um die Entscheidung des Mitgliederrats noch einmal ändern zu können. Und so war es dann entschieden. Nun könnte man eigentlich eine ruhige Veranstaltung mit einer geordneten Machtübergabe erwarten. Na ja, eigentlich.
Denn in den letzten Tagen herrscht in Köln der Sturm vor der Ruhe. Und sei es nur einer im Wasserglas. Nicht nur, dass es Fanclubs des 1. FC Köln gibt, die in blinder Gefolgschaft zu „Markus und Tünn“ offene Briefe versenden, bei denen alle Germanist*innen sich rein sprachlich betrachtet bereits die Augen ausstechen möchten – über den Inhalt sei lieber direkt der Mantel des Schweigens gehüllt. Nein, auch so mancher Journalist greift den alten Buddies in diesen Tagen noch einmal kräftig unter die Arme.
Den Anfang machte dabei der kicker mit einem Artikel, der so undifferenziert ist, dass er zum einen zwingend als Meinungsstück hätte gekennzeichnet werden müssen und zum anderen schon fast einer gezielten Desinformation des Lesers gleichkommt. Ziel der Attacke: Das designierte Vorstandstrio Werner Wolf, Jürgen Sieger und Eckhard Sauren.
Kritik wegen Klamauk-Auftritt
Vor allem ein Auftritt von Wolf und Sieger bei einer Klamauk-Talkshow mit den Youtubern von „Zwei Kölsch“ wird von Frank Lußem gegen den neuen Vorstand ins Feld geführt. Die schwerwiegenden Vorwürfe lauten dabei, dass Wolf und Sieger bei einem albernen Fragespiel die sinnvollste von vier Antworten gewählt haben – und dass Jürgen Sieger, als Fangesänge angestimmt wurden, bei einem „Scheiß Leverkusen“ mit eingestimmt hatte. Wow. „Wer da war, weiß, dass das eine reine Spaßveranstaltung war. Es ist erstaunlich, was daraus vereinzelt gemacht wird”, stellte der Jurist gegenüber dem Kölner Stadt-Anzeiger mittlerweile klar.
Es ist nicht nur erstaunlich, sondern lächerlich. Doch auf dieser Basis wird die Kompetenz des ehemaligen Bitburger-Chefs Wolf, des international anerkannten M&A-Juristen Sieger und des erfolgreichen Dachfondsmanagers Sauren in Sachen Unternehmensführung angezweifelt und gleichwohl der Eindruck vermittelt, es sei ein großer Skandal, dass Vereinslegende Toni Schumacher (gelernter Kupferschmied und Torwart) von einer derart geballten Inkompetenz abgelöst werden solle. Die Fehler des amtierenden Vizepräsidenten werden dabei gänzlich ausgespart. Eine stichhaltige Begründung für all das liefert der Artikel freilich dann ebenfalls nicht.
Damit ist man beim kicker aber gewiss nicht allein. Auch das routinierteste Kampagnenblatt der Republik, die BILD-Zeitung, lässt es sich natürlich nicht nehmen und macht ihrem überaus bescheidenen Ruf weiter alle Ehre. Tönnies-Buddy Alfred Draxler höchstpersönlich hat die Edelfeder gezückt und sich mit deutlich mehr Heldenmut als Verstand für den amtierenden Vorstand in die sinnbildlichen Kugeln geworfen. Oder welche auf den neuen Vorstand abgeschossen. Wie man es nimmt.
Der BILD-Mann fixiert sich dabei, ganz auf Redaktionslinie, auf die vermeintlich „anbiedernde“ Haltung des neuen Vorstands gegenüber den bösen Fans. „1. FC Köln im Griff der Ultras“ heißt das Machwerk Draxlers konsequenterweise. Neben großem Getöse, weil der neue Vorstand die sogenannte „Choreo-Klausel“ auf den Prüfstand stellen und so eventuell für die Rückkehr von Choreografien nach Müngersdorf sorgen will, geht es auch in diesem Artikel vor allem um das „Video der Schande“, wie man es beim Boulevardblatt nennt – erneut ist der Auftritt des Vorstandsduos bei „Zwei Kölsch“ gemeint.
Draxler und das “Video der Schande”
Vielleicht aber auch nur ein kurzer Zusammenschnitt der über einer Stunde langen Show, der Wolf und Sieger (anscheinend bewusst) nicht im besten Licht erstrahlen lässt. Diese Kurzform des Auftritts soll – so hört man es – in den letzten Tagen an einige Redaktionen versendet worden sein, Absender unbekannt. Zumindest bei BILD und kicker scheint das Interesse – ob nun mit Zusammenschnitt oder ohne – jedenfalls geweckt worden zu sein. „Wenn ich FC-Mitglied wäre, würde ich beide nicht wählen“, beendet Draxler seinen Kommentar dann auch passend.
Die tatsächliche Position des neuen Vorstands (mehr dazu hier…) wird in keinem der Artikel eingeholt – sie kommen abseits der Video-Zitate nicht zu Wort, sondern bekommen das „Ultra-Versteher“-Label aufgedrückt. Eine Methode, die übrigens auch der amtierende Vorstand in der Vergangenheit bereits gerne verwendet hatte: Wer kritisiert, gehört zu “den Ultras” und ist damit nicht „anti Gewalt“ – die inhaltliche Auseinandersetzung wird so flott abgewürgt. Das Ziel der Störfeuer in den letzten Tagen ist also klar: Die Wahl des neuen Vorstands soll irgendwie noch verhindert werden.
Mini-Kampagne ohne große Erfolgsaussicht
Besonders große Erfolgsaussicht kann diesem kruden Plan bei all dem künstlichen Wirbel jedoch nicht eingeräumt werden. Zum einen spielen sowohl der kicker als auch die BILD für die Meinungsbildung der Kölner Anhänger traditionell kaum eine Rolle – beide Blätter haben ihren Ruf weg. Zum anderen musste man angesichts der Spaltung innerhalb des Vereins ohnehin damit rechnen, dass der neue Vorstand nicht mit einer hundertprozentigen Mehrheit gewählt werden würde.
Schon seit Monaten zeigt sich, dass es Lager in der Fanschaft gibt, die mit Argumenten kaum zu erreichen sind und mehr oder weniger beleidigt in der „Tünn jehört zum FC“-Schmollecke hocken. Das ist in einer Demokratie so. Dass man die Stimmen derjenigen, die bei BILD-Artikeln zustimmend jubeln, ebenso wenig bekommen würde, wie die von denen, die die Artikel schreiben, war ohnehin klar. Das ist aber auch nicht schlimm. Das Status Quo hat sich kurz vor der Wahl nicht geändert. Es hat sich nur schon einmal gezeigt.
Ebenfalls gezeigt hat sich, warum der Führungswechsel beim 1. FC Köln dringend notwendig ist. Zwar lässt sich Markus Ritterbach und Toni Schumacher keine Beteiligung an der aktuellen Kampagne nachweisen. Läge den amtierenden Vizepräsidenten eine geordnete Übergabe und damit das Wohl des Clubs aber tatsächlich noch großartig am Herzen, könnten sie das unwürdige Schauspiel mit unterstützenden Worten für den neuen Vorstand im Sinne ihres Amtes und des Vereins ganz einfach unterbinden.
Führungswechsel dringend notwendig
Dass sie das nicht tun, ist aber nicht verboten. Es hebt allerdings noch einmal deutlich hervor, warum es für den 1. FC Köln von großer Bedeutung ist, dass selbst bei schönem Wetter genug Mitglieder in die Kölnarena kommen und für einen Machtwechsel am Geißbockheim sorgen. Dass Ritterbach und Schumacher bis heute ob ihrer Nicht-Berücksichtigung in trotzigem Gequengel verharren, unterstreicht schließlich nur noch mehr, warum einzig und allein die Wahl des vom Mitgliederrat vorgeschlagenen Vorstands am Sonntag im Sinne des Clubs und seiner Mitglieder sein kann. Die Lincoln-Probe haben die beiden Vizepräsidenten nicht bestanden.
Auch deshalb wird es nun Zeit. Denn wie sagte Schumachers Mutter der Legende zufolge einst? „Der 1. FC Köln, das ist ein feiner Verein.“ Ohne Eitelkeiten, persönliche Kampagnen und all die internen Intrigen der Gegenwart und jüngeren Vergangenheit kann er das ab Montag dann hoffentlich auch wieder werden. In Ruhe – ohne Sturm im Wasserglas.