Schaut man sich jedoch die Zustände in Frankreich an, fällt auf, dass dort an einem ganz normalen Spieltag Dinge passieren, die in Deutschland wohl wüste Empörungsstürme hervorrufen würden. Anfang Februar, am 24. Spieltag in der Ligue 1, vollzogen sich an den Standorten in Straßburg und Marseille bemerkenswerte Entwicklungen in Bezug auf Repressionen gegen Fußball-Fans, was von Jérôme Latta für die Zeitung “Le Monde” festgehalten wurde.
Ein voller Auswärtsblock gehört in Frankreich zur Seltenheit
Beim Spiel zwischen Straßburg und Bordeaux waren Ultras der Gäste im Vorfeld durch Reise- und Betretungsverbote davon abgehalten worden, das Spiel aus der Gästekurve heraus zu verfolgen. Allerdings waren Teile der betreffenden Ultras letztendlich dennoch im Stadion anzutreffen, Im “Stade de Meinau” waren sie außerhalb des Gästebereichs zu finden, nachdem sie sich vorher in Kooperation mit heimischen Ultras Karten gesichert hatten. Gemeinsam wurden dann nach Anpfiff der Partie fünf Minuten Stimmungsboykott durchgeführt.
Im Anschluss daran wurden die Bordeaux-Ultras allerdings durch Ordner und Polizeikräfte aus dem Stadion geführt – “ohne großes Aufsehen und ruhig”, wie es Präfektur und Verein in Straßburg verkündeten. Die Delinquenten jedoch gaben an, durch Schlagstöcke und Handschellen aus dem Stadion entfernt worden zu sein. Einige von ihnen wurden später 18 Stunden in Polizeigewahrsam gehalten. Die Gruppierung “Ultramarines 1987” bezeichnete ihre Aktion als “zivilen Ungehorsam”, mit dem bezweckt werden sollte, dass Reise- und Betretungsverbote “komplett unverantwortlich” seien.
Reiseverbote auch bei den prestigeträchtigsten Duellen
Doch an jenem Wochenende war es nicht nur in Straßburg interessant: Beim Spiel zwischen Marseille und Metz wurde am Vorabend um 23 Uhr von der Disziplinarkommission der Ligue 1 festgelegt, dass Teilbereiche des “Stade Vélodrome” wegen Pyro-Vorfällen in der Vergangenheit geschlossen werden würden. In der französischen Öffentlichkeit wurden diese beiden Vorfälle natürlich auch breit diskutiert – Pierre Ménès, bekannter und meinungsstarker Experte, sprach in der Sendung “Canal Football Club” von einem “offenkundigen Scheitern der Strafmaßnahmen im französischen Fußball”.
Scheiße, das ist kein Fußball. Fußball, das bedeutet Choreographien zu haben und Fangesänge, eine Atmosphäre zu schaffen. Jeder schaut neidisch nach Deutschland und England, aber bei uns werden die Fans aus dem Stadion gejagt.
Metz-Trainer Frédéric Hantz sagte: “Man hat den Eindruck, dass alle Fans im Stadion verboten werden würden, wenn man es denn könnte. Das ist ein Eingeständnis von Schwäche und Inkompetenz der Behörden”. Benoît Costil, Torwart von Bordeaux, ereiferte sich wie folgt: “Scheiße, das ist kein Fußball. Fußball, das bedeutet Choreographien zu haben und Fangesänge, eine Atmosphäre zu schaffen. Jeder schaut neidisch nach Deutschland und England, aber bei uns werden die Fans aus dem Stadion gejagt.”
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Weitere Beispiele gefällig? Bitteschön: Am 25. Februar fanden am 27. Spieltag zwei traditionsreiche Duelle in der Ligue 1 statt. Nachmittags standen sich im Derby de Rhône-Alpes Olympique Lyon und Saint-Étienne gegenüber – am Abend kam es zum französischen Classico zwischen PSG und Olympique Marseille. Beide Aufeinandertreffen würden ja eigentlich als Musterbeispiel dessen dienen, was sich die LFP auch in Bezug auf internationale Vermarktung als Idealvorstellung überlegt haben müsste. Doch durch die Reiseverbote durften Auswärtsfahrer ihre Mannschaft nicht bei den prestigeträchtigen Duellen unterstützen – man stelle sich das in Deutschland vor, Dortmund-Fans, die ihre Mannschaft nicht beim Spiel in München begleiten dürfen oder Kölner, die nicht zum Derby in Mönchengladbach reisen dürfen.
Platzsturm in Lille: Unschön, aber leider eine logische Konsequenz
Und auch am vergangenen Wochenende war der Aufruhr wieder groß: Nach dem Heimspiel des OSC Lille gegen Montpellier (es endete 1:1) stürmten etwa 200 bis 300 Fans des abstiegsbedrohten Vereins aus dem Norden das Feld. Berichten zufolge soll es sogar zu tätlichen Angriffen gegenüber Lille-Spielern gekommen sein. Weiterhin war auch folgender Gesang zu hören: “Si on descend, on vous descend.”
Dieses zugegenermaßen geschmacklose Wortspiel bedeutet auf Deutsch nichts Anderes als das berühmt-berüchtigte “Wenn ihr absteigt, schlagen wir euch tot”, was im deutschen Fußball auch nicht ganz unbekannt ist. Man muss es an dieser Stelle noch einmal sagen, bevor es vergessen wird: Physische Gewalt ist durch nichts rechtfertigen und absolut zu verdammen. Doch der Platzsturm in Lille kommt beileibe nicht überraschend. Warum ist das so?
Vor einigen Jahren noch war der Verein aus der Metropole im französischen Norden noch Meister, eine aufregende Mannschaft um Eden Hazard spielte erfrischenden Fußball und durfte sich sogar in der Champions League versuchen. Mittlerweile jedoch ist die Situation eine andere: Trotz des neuen Stadions “Pierre-Mauroy” hat der Verein es nicht geschafft, sich langfristig in der Spitzengruppe der Ligue 1 zu etablieren, ganz im Gegenteil: Aktuell steht die von Christophe Galtier trainierte Mannschaft auf dem vorletzten Tabellenrang und ist vom Abstieg bedroht.
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