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Fankultur

Die Geschehnisse in Frankfurt: Ein multiperspektivischer Augenzeugenbericht

1:1 in Frankfurt, doch drumherum passiert eine Menge. Wir schildern die Geschehnisse aus mehreren Perspektiven.

Eigentlich weiß doch niemand von uns so genau, wie der Punkt aus Frankfurt einzuschätzen ist. Unter den aktuellen Bedingungen, auch was die Qualität in der Offensive in dieser Partie angeht, muss das Unentschieden genau so akzeptiert werden. Aber im Nachgang der Partie gerät die sportliche Situation mit all ihren Fragestellungen in den Hintergrund. Wieder einmal war es offensichtlich nötig, von Seiten der Polizei eine Eskalation zu provozieren. Ein Bericht aus zwei Perspektiven.

In der ersten Perspektive fing alles locker an. Auf der Anfahrt in unserem Fanbus besserte sich das Wetter fast minütlich, von wolkenbedecktem Himmel hin zu strahlendem Sonnenschein und angenehmen Temperaturen. Auf der Anfahrt zum Stadion gerieten wir in einen Stau, wurden aber sehr freundlich von einem hilfsbereiten Motorradpolizisten auf die beste Möglichkeit, aus der Situation zu kommen, hingewiesen. Leider fühlte sich keiner an der Zufahrt zum Parkplatz dazu verpflichtet, den Verkehr zu regeln und somit sowohl für Nutzer des Parkplatzes als auch für Fahrzeuge, die geradeaus weiter wollten, ein schnelleres Vorkommen zu ermöglichen. Wie sich später herausstellen sollte, war dies eher das kleinste Problem heute.

Da fehlen doch Einige

Parkplatz, kaltes Kölsch, Sonnenschein, Freunde treffen, der Weg zum Stadion, Einlass bis in den Block – für uns alles ohne Probleme bis dahin. Schnell wird im Block aber klar, dass die Szene noch nicht vor Ort ist. Es kursieren Gerüchte. Sie kommen, aber sie kommen etwas verspätet. Gleichzeitig erreicht uns die Info, dass die Kölner Ultras auf dem Weg aus der Innenstadt zum Stadion unnötig aufgehalten wurden. Es fängt an zu kribbeln. Und tatsächlich, etwa 15 Minuten nach Spielbeginn kommen die ersten Banner, Trommeln und Fahnen.

Auch aus der zweiten Perspektive war die Anreise unproblematisch, der Einlass ins Stadion in den neutralen Bereichen ohne besondere Vorkommnisse. Im Frankfurter Stadion gibt es auf Haupt- und Gegentribünen bis weit hinein in die Kurve eine mittlere Ebene, die sich zwischen Unter- und Oberrang befindet und nur einigen Reihen Platz bietet. Auf der Haupttribüne sind dort die Plätze der Logen, im Kurven- und Gegenbereich aber sind auch ganz gewöhnliche Plätze zu finden. Sie bieten eine eingeschränkte Sicht aufs Spielfeld, aber eine sehr aufschlussreiche in den Kölner Fanblock hinein. Hier sind Kölner und Frankfurter gemischt, man tauscht sich aus. Unsere zweite Perspektive kommt genau von dort. Auch hier fällt auf: der Kölner Block ist zu Spielbeginn leiser als gewöhnlich. „Da fehlen die relevanten Gruppen“, heißt es auch hier schnell.

Dann passiert plötzlich etwas

Dann gibt es auf einmal Bewegung. Direkt unter uns stehen die Kinder im Block, 20 Kids um die 10 Jahre alt, haben sich mit Blick aufs Spielfeld links des Eingangs gesammelt. Leicht erhöht hinter ihnen befinden sich die Rollifahrer. Erst, direkt am Block, die Kölner samt Betreuenden, dann weiter in Richtung Gegentribüne auch einige Frankfurter Rollis. Dort nehmen wir die erste hektische Bewegung wahr. Ein Trupp schwer geschützter Polizeibeamter bahnt sich den Weg hinter den Rollis entlang. Sie wollen zum Eingang in den Kölner Fanblock. Vorneweg ein sehr großer Polizist mit Stabkamera, die stetig in den Eingang hinein filmt. Doch noch kommt keiner. Die Stimmung ist nervös, es wird gerufen, vielleicht geschubst? Dann sind Polizisten zu erkennen, die von außen in den Block hineinschubsen. Ihr Ziel ist eine Kölner Fangruppe, die sich rechts neben dem Eingang befindet und die mit dem Rücken zum Spielfeld nach draußen agiert, von uns sieht es aus, als rufen sie den Beamten Dinge zu, als beschweren sie sich über deren Einsatz vor dem Block, der für uns nicht zu erkennen ist. Dann sprüht einer der Beamten deutlich sichtbar Pfefferspray in die innenstehende Kölner Gruppe. Erst danach strömen die ersten Gruppen von außen in den Block.

Doch die Situation ist noch nicht vorbei. Noch immer fehlen die Trommeln, es geht in Richtung Minute 15 der Partie. Es gibt noch einmal eine unübersichtliche Situation im Eingangsbereich. Es wird gerangelt, erneut setzen die Frankfurter Beamten Pfefferspray ein. Von unserer erhöhten Position sieht es nicht sonderlich gezielt aus. Danach beruhigt die Lage sich allmählich und der noch fehlende Rest der Szene kommt endlich unter Applaus im Block an.

Beißender Geruch

Perspektivwechsel, rein in den Block. Fast zeitgleich, mit einer leichter Verzögerung, nehme ich dieses beißende Gefühl in der Nase und den Atemwegen wahr. Zu meinem Glück stehe ich aber an einem Ort, der nur bedingt betroffen ist. Andere hat es deutlich schlimmer getroffen. Wenn auch weiterhin Gerüchte die Runde machen, schaffe ich es doch, mich auf das Spiel und den jetzt kräftigen Support zu konzentrieren. Erst nach dem Spiel, mit den Schilderungen einiger Freunde, wird mir klar, dass heute wieder mal offensichtlich ein Exempel statuiert werden sollte. Einige konnten das Spiel keine einzige Minute verfolgen, weil sie mit dem Auswischen ihrer Augen beschäftigt waren. Andere kamen humpelnd auf den Parkplatz, weil sie bei der Situation am Einlass die Treppe hinuntergeschubst wurden. Schon auf dem Weg zum Parkplatz mussten wir Schlangenlinien durch die Gruppen von Bereitschaftspolizei laufen. Kurios unter diesen Umständen der Hinweis der Frankfurter Polizei auf Twitter, „vor allem in Engstellen, die Ruhe zu bewahren“.

Offensichtlich sollten die Lämmer zur Schlachtbank geführt werden. Denn ebenso offensichtlich hatte man bei der Provokation am Einlass genügend Material gesammelt, um einzelne Fans zur erkennungsdienstlichen Erfassung heraus zu ziehen. Hier noch einmal der Blick von oben: die Kamera, direkt im Eingangsbereich in Händen des vorne und erhöht stehenden Polizisten, ist während der gesamten Zeit auf den Eingang gerichtet. Von innen wohlgemerkt. Außer den Kölnern ist da also auch der Sprayeinsatz auf dem Material… Zudem filmen die Beamten auch lange nach Beruhigung der Situation intensiv weiter – aus sicherer Entfernung aus Block 24. Dort, auf der Gegentribüne, stehen sie weiter hinter den Frankfurter Rollifahrern und filmen immer wieder voll unten in den Block rein, ohne dass dort irgendetwas passieren würde.

Im Nachhinein ist die Taktik der Gruppe 48 der Bereitschaftspolizei klar. Zurück auf den Parkplatz, nach dem Spiel. Aus dem Nichts schnappen sich fünf Polizisten ein Mitglied des Fanclub Wilder Süden vor dem zur Abfahrt bereit stehenden Bus, werfen ihn und eine zufällige Passantin auf den Boden und führen ihn im Laufschritt ab. Ja, er war auffällig geworden in der Situation am Einlass. Er hat lautstark die Maßnahmen der Ordnungshüter kritisiert und es gab wohl auch ein Handgemenge mit Polizist*innen. Aber die Situation am Bus war nicht so unübersichtlich, dass man ihn nicht auch mit weniger drastischen Maßnahmen hätte fassen können. Es gab keine Fluchtmöglichkeit und er ließ sich ohne Gegenwehr festnehmen. Die unbeteiligte Dame ist jetzt leider die Hauptleidtragende der Situation. Da hilft auch die Argumentation der zur Rede stehenden Mitglieder der Gruppe 48 nicht, dass die Maßnahme wegen Fluchtgefahr nicht übertrieben war. Auch dies einfach nur eine Demonstration von Macht.

Uns ist absolut bewusst, dass es immer zwei Seiten der Geschichte gibt. Wurde am Einlass gedrängelt oder aufgehalten? Wurden die Fans in der Stadt zu Recht oder durch Willkür aufgehalten?  Ist ein heftiger Zugriff notwendig oder nicht? Was wir für uns aber sicher wissen und das aus verschiedenen, unabgesprochenen Perspektiven: die Maßnahmen der Polizei rund um das Spiel Eintracht Frankfurt gegen den 1. FC Köln waren übertrieben. Möge jeder für sich die Qualität der Machtüberschreitung festlegen, aber: Offensichtlich sollte an diesem Sonntag mal wieder ein Exempel statuiert werden, was jeden Bürger, vor allem jeden Fußballfan, erwartet, wenn er sich nicht der Polizeigewalt fügt. Ohne Sinn und Verstand. Auf Aufklärung werden wir vermutlich wieder vergeblich warten.

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