Bei den Anhängern von St. Pauli, die sich selbst definiert in einer politischen Fanszene organisieren, fallen solche Äußerungen natürlich auf fruchtbaren Boden. Das Spannungsfeld zwischen Ultra-Subkultur und linker Maxime wird beispielsweise bei der Gruppierung “Ultra St. Pauli” gelebt. Neben dem Support der eigenen Mannschaft geht es für diese Gruppe auch darum, “einen linken Anspruch in die Praxis umzusetzen, Diskriminierungsformen, wie sie im Fußballstadion alltäglich sind, nicht hinzunehmen: Gegen Rassismus, Sexismus und Homophobie aktiv vorzugehen, sowie antifaschistisches Engagement auch außerhalb des Stadions zu zeigen.”
Stadion am Millerntor: Sensibel ausgebaut – mit Stehplätzen
Nicht zuletzt aufgrund dieser Politisierung war St. Pauli der erste Verein in Deutschland, der sich klar gegen Sexismus und Rassismus positionierte und dies auch in seine Stadionordnung aufnahm. Das “Millerntor” genießt den Ruf eines besonderen Stadions in Deutschland, was einerseits an seiner Verwurzelung im Stadtteil, andererseits aber auch an seiner einzigartigen Stimmung liegt.
Mit mehr als 16.000 Stehplätzen hat man sich auch nach dem graduellen und sehr sensibel vorgenommenen Ausbau den Charakter bewahrt und somit auf Mehreinnahmen verzichtet – in dem Wissen, dass die eigene Fanszene das wohl nicht verziehen hätte. Ein großer Vorteil ist auch, dass das Stadion dem Verein gehört, damit hat man vielen Mitbewerbern auch etwas voraus.
Foto: Stuart Franklin/Bongarts/Getty Images
Apropos Fanszene: Diese greift mittlerweile sogar in das operative Geschäft ein, denn nahezu alle wichtigen Positionen sind von Leuten besetzt, die vor dieser Tätigkeit bereits Fan von St. Pauli waren. Sei es im Aufsichtsrat, im Präsidium, im Bereich Sicherheit oder Finanzen – für die wichtigen Rollen im Verein konnte bislang immer jemand mit Fansozialisation gefunden werden. Gerade deswegen, so beschreibt es Christoph Ruf in einem Kapitel über St. Pauli in seinem Buch “Fieberwahn”, sei der Kiezclub so erfolgreich. Denn neben der Außendarstellung und ja, auch ein wenig der Folklore, funktioniere der Verein vernünftig.
Auch St. Pauli ist kein Paradies
Im Jahr 2018 kann dies in der 2. Bundesliga jedoch nicht funktionieren, wenn die wirtschaftlichen Kennzahlen nicht stimmen. Bei St. Pauli ist das jedenfalls nicht der Fall, denn seit Jahren wird regelmäßig Gewinn erwirtschaftet. Auch die Eigenkapitalquote ist erstaunlich hoch. Und dennoch: Auch bei St. Pauli sind die Zustände weniger paradiesisch, als man sich es vorstellen mag.
Denn gerade im Bereich Merchandise ist von der antikapitalistischen Stimmung wenig zu spüren. Die eigens dafür gegründete GmbH erwirtschaftete 2015/2016 einen Umsatz in Höhe von acht Millionen Euro und lag damit auch Rang sechs aller Fußballvereine in Deutschland. Hier arbeitet man mit einem US-amerikanischen Sportartikelhersteller zusammen, der auch Jagd-Equipment liefert und mit Kevin Plank einen Boss hat, der Donald Trump großartig findet.
Darin verdeutlicht sich allerdings nur, dass der hehre Anspruch von St. Pauli, sich gegen den Turbokapitalismus zu richten, im Spannungsfeld zwischen Folklore und Marketing eigentlich nicht umsetzen lässt.
Das soll allerdings den Gesamteindruck nicht schmälern: Die Beteiligung der Fans ist außergewöhnlich hoch, dazu die soziale Komponente und das Einstehen für linke Werte. Bei aller berechtigten Kritik an St. Pauli kann man dementsprechend trotzdem den Hut vor diesem Verein ziehen, der sich selbst treu bleibt und den Kampf gegen Windmühlen (auch aus Köln) weiterführt.