Zu den Spielen unseres geliebten und glorifizierten ersten Fußballclubs Köln stellen wir in dieser Saison einem Fan der gegnerischen Mannschaft ein paar Fragen. Und weil Gegner ja immer irgendwie “auswärts” sind, egal ob der effzeh zu Hause oder auf fremdem Platz antritt, und weil die Sichtweise von “auswärts” kommt, heißt die Kategorie folgerichtig “Auswärtsspiel”. Für das Duell gegen Eintracht Frankfurt sprechen wir mit SGE-Fan Philipp, der uns über das manisch-depressive Wesen der “Adler”, einen Funkel-Liebling als Leistungsträger und die Sozialarbeiter der Liga spricht!
effzeh.com: Eines vorweg: Martin Lanig ist im Winter nach Zypern gewechselt. Wie soll die Eintracht durch die Saison kommen, so ganz ohne ihn?
Philipp: Ich werde für diese Haltung zwar oft ausgelacht, aber Lanig wird mir schon ein wenig fehlen. Er war in Frankfurt der Typ “stiller Bankdrücker”, also keiner der maulte oder zickte. Ähnlich wie Matze Lehmann, der ja bei euch endlich seinen Platz in der ersten Liga gefunden zu haben scheint. Auch solche Typen werden gebraucht und wenn Lanig spielte, wars meist halbwegs brauchbar. Es war allerdings auch immer sichtbar, dass er keinen Qualitätssprung mehr machen würde, letztendlich ist er immer besseres Zweitliganiveau geblieben. Und anstatt in die graue zweite Liga zu wechseln, legt er sich jetzt im Herbst der Karriere steuerbegünstigt an den zypriotischen Strand – alles richtig gemacht. Und der Mannschaftsbus muss nicht mehr so lange warten bis sich Lanig trocken geföhnt hat. Auch gut.
effzeh.com: Unter Thomas Schaaf sind eure Spiel zum Spektakel geworden. Verzweifelt man als Fan an der Defensivschwäche oder freut einen der schwungvollen Angriffsfußball?
Philipp: Man wird leicht manisch-depressiv dabei. Nicht nur von Woche zu Woche, sondern auch während der Spiele. Ein stetes Auf und Ab der Emotionen. In der einen Sekunde hat man im Kopf das Vereinsaustrittsschreiben schon formuliert, in der nächsten möchte man den alten Westermann-Schulatlas aus dem Keller holen, um die kommende Europareise zu planen.
Was die Eintracht in dieser Saison aufs Feld bringt, ist jedesmal unkalkulierbar, abhängig vom Mondstand oder was auch immer. Deshalb bin ich immer sehr vorsichtig, wenn es um eine Einschätzung des Potenzials der Mannschaft geht. Auf der einen Seite bleibt sie gegen Schalke, Gladbach, Wolfsburg und Leverkusen jedesmal verdient ungeschlagen. Auf der anderen Seite zerbröselt die Mannschaft innerhalb von Minuten gegen Mainz, Paderborn und Freiburg, Mannschaften, die quasi mit kaum fühlbarem Puls im Leichenkeller der Liga rumlagen und auch nicht durch plötzliche Taktikkniffe überlegen waren.
Problematisch ist halt, dass sich das Offensivspiel im wesentlichen über drei, vier Spieler definiert. Wenn Seferovic, Aigner und Meier (die zusammen 31 der 42 Tore verantworten) einen schlechten Tag haben oder schlicht vom Gegner aus dem Spiel genommen sind, dann helfen nur noch seltene Überraschungsmomente wie Piazons Freistoß in Hamburg. Und eine Mannschaft kann man eigentlich nicht allein mit dem Konzept aufs Feld schicken, vorne immer eins mehr zu schießen als hinten reinkommt. Diese defensive Unbedarftheit, die unausrottbar scheint, kostet reichlich Nerven.
effzeh.com: Auch im Hinspiel ging es Hin und Her inklusive eines unglücklichen Eigentors, das die Partie zu euren Gunsten entschied. Was bleibt aus deiner Sicht an Erkenntnisse hängen?
Philipp: Zwei Mannschaften auf Augenhöhe. Mit dem feinen, entscheidenden Unterschied der individuellen Klasse von Alex Meier auf Seiten der Eintracht. Schon damals hat sich aber auch gezeigt, wie wankelmütig die Eintracht in dieser Saison ist. Plötzlich auf Platz fünf, keiner wußte wie es geschah! Und was passiert im folgenden Spiel gegen Paderborn? Ein anämisches 1-3.
effzeh.com: Auswärts ist eure Bilanz noch ausbaufähig, unsere Heimschwäche ist schon fast legendär. Worauf dürfen wir uns am Sonntag freuen?
Philipp: Der existenzielle Druck, einen Sieg zu holen ist natürlich auf Kölner Seite größer. Niederlage geht nicht, sonst ist blanker Abstiegskampf. Das sollte der Eintracht eigentlich in die Karten spielen. Für die Eintracht ist das Spiel am Sonntag aber auch von Bedeutung. Bei einem Sieg wirft man den Hut in den Ring um am Kampf um die Europaleague teilzunehmen, bei einer Niederlage kann man schonmal den Sommerurlaub planen. Da sich beide Mannschaften im Laufe der Saison als nicht immer sonderlich konzentriert erwiesen haben, wird der wohl der erste Fehler das Spiel prägen. Fällt das erste Tor früh, wird es nicht das einzige bleiben, weil das andere Team aufmacht. Von daher denke ich, dass eine von beiden Serien reißen wird, kein Unentschieden.
effzeh.com: Wichtiger Faktor ist in eurem Team definitiv Alex Meier, der auch im Hinspiel bereits doppelt traf und insgesamt 16 Saisontore auf dem Konto hat. Wie kommt es zu diesem Höhenflug?
Philipp: “Keep calm and trust in Alex Meier”! Alex ist 2004 zur Eintracht gekommen, die gerade mal wieder abgestiegen war. Ein schlaksiger, dünner No-Name vom HSV. Friedhelm Funkel hat ihn damals an den Main gelotst und ihm unverbrüchlich die Treue gehalten. Funkel war wahrscheinlich der Erste, der sein Potential erkannt hat.
Über lange Jahre hat man den “Buckel”, wie er zärtlich genannt wird, als “Funkelliebling” für alles Negative des damals sehr ergebnisorientierten Spielsystems verantwortlich gemacht und micht wundert es im Nachhinein, dass er nicht irgendwann vom Acker gemacht hat. Den Durchbruch in die Fanherzen hat er nach dem Abstieg 2011 geschafft, als er zusammen mit Pirmin Schwegler mit nach unten ging und die Mannschaft fast im Alleingang wieder hochschoß. Er hätte sicher auch gehen können und einen lockeren Vertrag in Hannover oder wo auch immer abstauben können. Wie es zum Beispiel Ochs und Russ damals machten. Aber nein, Alex hat gezeigt, dass er sich mitverantwortlich für den Abstieg fühlte und ist geblieben. Chapeau!
Über die Jahre hinweg hat er sich entwickelt. Manchmal vergisst man fast, dass er auf dem Feld ist. Aber dann kommt die eine Situation, in der er plötzlich da auftaucht, wo der Ball hinkommt. Er ist zwar fast zwei Meter groß, aber trotzdem kein Kopfballspieler. Dafür hat eine unglaubliche Schusstechnik mit der Innenseite des rechten Fußes. Das 2-1 gegen Hamburg ist für mich ein Weltklassetor, technisch anspruchsvoller als ein Fallrückzieher. Unter Bedrängniss aus 18 Metern milimetergenau neben den Pfosten. Sensationell! Alex ist angenehm unaufgeregt auf und neben dem Feld. Kein Ohrschrauberjubel, kein Fahren ohne Führerschein. Nix.
effzeh.com: Insgesamt spielt die Eintracht eine solide Saison, weder nach unten und nach oben scheint nichts anzubrennen. Ist das als Frankfurter eine entspannte Situation?
Philipp: Keineswegs. Die fehlende Kontinuität der Ergebnisse hat zumindest meinen Blick nicht von den hinteren Plätzen gelöst. Dies mag ein Trauma der Saison 10/11 sein, als die Eintracht zur Winterpause unter Michael Skibbe mit 26 Punkten auf einem entspannten Platz sieben stand, Theofanis Gekas nach Belieben traf und der damalige Mannschaftskapitän Patrick Ochs die Parole ausgab, sich “oben festbeißen” zu wollen. Was dann folgte, ist Legende, die Rückrunde der Schande: in den ersten acht Spielen kein Tor, Ligaminusrekord mit 8 Punkten in der gesamten Rückrunde und dann macht man sich am Ende auch noch zum Horst und reanimiert Christoph Daum, welcher der Eintracht ein mentales “drittes Bein” verleihen wollte.
Von daher: Nein, ich bin keineswegs entspannt. Als kürzlich Marco Russ verlautbarte , oben angreifen zu wollen, verfielen viele Eintrachtfans deswegen in Schockstarre, die noch ein wenig nachhält. Nach oben hin wiederum ist es gerade in diesem Jahr ärgerlich, dass die Mannschaft just immer dann auseinander fällt, wenn man tatsächlich die eigene Position in der Tabelle festigen bzw oben einrücken könnte. Faktisch ist es derzeit doch so, dass außer Bayern und Wolfsburg keine Mannschaft kontinuierlich siegt oder zumindest punktet. Das sorgt derzeit dafür, dass eine kleine Serie aus einem Abstiegskandidaten einen Europapokalaspiranten machen kann, siehe Bremen aktuell. Und solch engen Verhältnisse muss man doch nutzen!
effzeh.com: Fantechnisch dürfte es ein ungleiches Duell werden. Der effzeh hadert mit den Ultras und vice versa. Wie schaut man als SGE-Fan auf die Lage in Köln?
Philipp: Das Thema Ultras ist auch in Frankfurt ein nicht immer unproblematisches, ich erinnere an den Platzsturm nach dem Rückrundenspiel gegen den effzeh oder die “Randalemeisterschaft 2011” wenig später in Dortmund. Aktuell hat man wohl eine halbwegs konfliktfreie Koexistenz zwischen Vereinsführung und Fans gefunden, die dann in wahnsinnig gute Choreos mündet. Das geht nicht, ohne dass man miteinander spricht und sich kompromissbereit zeigt. Keine Pyros (oder wenigstens weniger und seltenener), keine strukturierte Randale im Stadion, dafür Gestaltungsfreiheit und Gehör im Verein.
Die Kölner Situation ist aus der Ferne nicht leicht zu beurteilen, von daher will ich da nicht in irgendeine Richtung mit dem Finger zeigen. Allerdings bin ich wahrscheinlich mittlerweile auch zu alt, um zu verstehen, was man sich von Platzstürmen und ähnlichen Dingen für Egoschübe verspricht, vor allem vor dem Hintergrund des Schadens, der auf den Verein zurückfällt.
effzeh.com: Was verbindest du allgemein mit dem effzeh? Gibt es Spiele, an die du dich besonders erinnerst?
Philipp: Der effzeh ist für mich bis dato ein Verein mit chronischem Messias-Syndrom und Minderwertigkeitskomplex gewesen und von daher durchaus spiegelbildlich zur Eintracht. In einem gewissen Rahmen sozusagen die jecke Variante der Eintracht. Ständig gefühlt kurz davor, mit einem Befreiungsschlag den großen Sprung nach Vorne zu machen, der dann aber in einem Rückwärtsstolpern in Liga 2 endet. Und jedesmal wird die Hoffnung auf Besserung auf einem Messias begründet, sei es nun Poldi oder Christoph Daum. Dabei bleibt oft das Gesamtkonstrukt der Mannschaft außer Acht und es entsteht eine Unwucht. Die derzeitige ruhige und sachliche Führung durch Stöger und Schmadtke weiß zu gefallen. Sie planen den Champions League-Sieg erst für frühestens 2017, schaffen es mit Horn, Vogt und vor allem Hector (vorübergehend?) ein Gerüst zusammenzuhalten, das ausbaufähig ist. Gut so!
Realistisch muss man aber sagen, und das gilt für effzeh wie Eintracht gleichermaßen, dass die gefühlte sportliche Bedeutung und der daraus abgeleitete Anspruch auf Erfolg aus einer Zeit stammt, die für immer vergangen ist. Die Champions League als sich selbst erhaltender Fleischtopf hat den Abstand so groß werden lassen, dass selbst eine mögliche, selbstgezüchtete “goldene Generation” eigener Nachwuchsspieler nur vorübergehend wäre.
effzeh.com : Zum Abschluss dein Tipp!
Philipp: Sicher nicht 0-0. Da die Eintracht in den Rückrunde den Sozialarbeiter der Liga spielt und dadurch Freiburg und Mainz wieder auf die Beine half, sagt der Realist in mir ein 2-1 für den effzeh erwarten. Der Optimist natürlich andersherum.