Man kann es sich gut vorstellen: Es ist der Morgen des 5. August, ein herrlicher Tag, an dem der Himmel über Köln in ein blaues Kleid gehüllt ist und die Luft nach Sommer schmeckt. Spieler XY, Teil des Profikaders des 1. FC Köln, lenkt sein Gefährt in Richtung Militärring um die Vorbereitung auf die Saison 2020/21 aufzunehmen. Er ist ausgeruht und gut erholt nach fünfeinhalb Wochen ohne Fußball, deswegen auch voller Elan und bereit für neue Taten. Möglicherweise wird er einige Takte von „Do bes die Stadt“ pfeifen, heiter und frohgelaunt mit Vorfreude darauf, die Kollegen nach den vielen Urlaubstagen wiederzusehen, ein Schwätzchen zu halten, Ferienerlebnisse auszutauschen.
Als er dann beschwingt und schwungvoll in die Franz-Kremer-Allee einbiegt, versucht er sich daran zu erinnern, was die Verantwortlichen dem Team kurz vor dem Urlaub mitgeteilt hatten. Und plötzlich könnte es ihn durchzucken wie ein elektrischer Schlag: Von einem neuerlichen Gehaltsverzicht war damals die Rede, man will ihnen wieder ans Portemonnaie!
Motivierter Trainingsstart trotz Gehaltsverzicht?
Bevor er sein Auto auf dem Parkplatz am Geißbockheim abstellt, fällt ihm ein, was in den Gazetten der Stadt zu lesen war. Die Verträge mit den sportlich Verantwortlichen seien inzwischen bis 2023 verlängert worden, im Falle des Trainers soll dies mit einer Verbesserung seiner Bezüge verbunden gewesen sein. Er wird sich auf den Weg zum Spielertrakt machen, vielleicht nicht mehr ganz so beschwingt, dafür aber mit ernsterer Miene, sich mental wappnend für das, was jetzt kommen mag.
Andere Bundesligisten wie z.B. Borussia Dortmund haben dies anders gehandhabt. Die Gespräche mit den BVB-Profis über einen Gehaltsverzicht bis zum Ende des Jahres wurden einige Zeit vor der Sommerpause erfolgreich abgeschlossen. Die Vorbereitung auf die neue Saison kann für die Kicker in Schwarzgelb unbelastet beginnen, ein möglicherweise zähes Gezerre um Prozentzahlen ist für sie Geschichte. Den Profis des 1. FC Köln steht dies noch bevor.
Man kann sich deutlich bessere Voraussetzungen für einen freudvollen Start in eine gelungene Saisonvorbereitung vorstellen.
Mit dieser Vorbereitung startet Gisdols Team später als die meisten Mitkonkurrenten. Dies mag verwundern, offenbarten die FC-Profis doch vor allem nach der Coronapause bedenkliche konditionelle Defizite. So nimmt man auch in der Laufstatistik aller Bundesligisten den letzten Tabellenplatz ein, Spitzenreiter Leverkusen lief über 200km mehr als Gisdols Mannen.
Warum ein später Start in die Vorbereitung?
Markus Gisdol begründete den späten Start so: „Wir müssen jetzt auch richtig mutig sein mit der Art der Pause, die wir wählen, und vielleicht eine Woche länger Pause machen als andere Mannschaften.“ (Kölnische Rundschau, 17.7.2020). Auch bei wiederholtem Lesen dieser Aussage will sich deren tieferer Sinn dem interessierten Leser kaum erschließen, zumal die Sommervorbereitung die einzige Möglichkeit darstellt, eine bundesligataugliche Ausdauer und Fitness zubauen, da die Winterpause in der nächsten Saison de facto wegfällt.
Horst Heldt hingegen begründet den verspäteten Start in die Vorbereitung mit einer mentalen Erschöpfung seiner Spieler (Kölner Stadtanzeiger, 30.7.2020), der man durch die lange Urlaubsphase entgegenwirken wolle. Zugleich offenbart er einen bemerkenswerten Ansatz der Trainingsbegleitung: Es erfülle ihn mit Zuversicht, wenn er die Fitness-Fortschritte seiner Akteure beobachte – makroskopisch, via Instagram.
Das Mannschaftstraining beginnt am 8. August, bis zum ersten Pflichtspiel im Pokal (11. – 14. September) stehen fünf Wochen für die Arbeit an Kondition, Taktik und Technik zur Verfügung. Allerdings nicht für alle FC-Spieler.
Vom 31. August bis zum 6. September steht eine Länderspielwoche an, in der Markus Gisdol wohl auf Stützen des Teams wie Hector, Bornauw, Kainz und Katterbach verzichten muss, auch Thielmann, Voloder und Lemperle kommen für Berufungen in DFB-Teams in Frage. Hätte man das wissen und bei der Terminplanung berücksichtigen können? Man hätte.
Die UEFA hat diese Termine am 17. Juni 2020 veröffentlicht, anderthalb Wochen vor Ende der Saison 2019/20. Nimmt einen dies als FC-Fan nicht schon wunder genug, so lässt einen die Terminierung des „Härtetests“ der Vorbereitung gegen den niederländischen Erstligisten FC Utrecht noch mehr rätseln: am 5. September, genau dann, wenn sich Korsettstangen des Teams höchstwahrscheinlich auf Länderspielreise befinden.
Auf dem Trainingsplatz wird Spieler XY viele bekannte Gesichter wiedertreffen, die meisten Akteure der abgelaufenen Saison und eine Reihe von Leihspielern, die der Verein wie einige weitere Großverdiener zu veräußern sucht.
Heldts Transferdilemma
Horst Heldt sieht sich einer Mammutaufgabe gegenüber, einem Dilemma, das nicht er, sondern seine beiden Vorgänger im Amt zu verantworten haben. Es ehrt ihn, dass er nicht versucht, die Schuld dafür auf die vormals sportlich Verantwortlichen abzuwälzen. Neuzugänge? Fehlanzeige. Heldt muss erst Spieler von der Gehaltsliste bekommen, um dringend notwendige Transfers tätigen zu können. Unter diesen Voraussetzungen ist es nachvollziehbar, dass er den Klassenerhalt zum Ziel der Saison 2021 erklärt (Express, 18.6.2020).
Im Kampf um diesen Klassenerhalt ist es oft entscheidend, einen guten und sicheren Rückhalt in personam des Torhüters zu besitzen. Timo Horn war dies in der abgelaufenen Saison eher nicht. So weisen die Zahlen von StatsBomb, einem führenden Unternehmen für europäische Fußballstatistiken, ihn für die Saison 2019/20 mit einem Wert von – 12.7 als schlechtesten Torhüter der fünf Topligen Europas aus. Dieser Wert besagt, dass Horn über 12 Tore mehr kassiert hat als es angesichts der auf sein Tor abgefeuerten Schüsse normal gewesen wäre.
Trotzdem stellt Heldt dem Kölner Keeper eine Stammplatzgarantie aus, wenn er sagt, dass Horn die Nummer eins des FC sei und dies auch in der kommenden Saison bleibe (Express, 1.7.2020). Diese Aussage stößt bei vielen FC-Fans auf Unverständnis angesichts der wenig erbaulichen Leistungen des Keepers. Die Stammplatzgarantie erschwert zudem Heldts Suche nach einem Nachfolger für Thomas Kessler, der seine Fußballschuhe an den Nagel gehängt hat.
Welcher ambitionierte Torhüter wird schon den Weg ans Geißbockheim suchen in der Gewissheit, in der neuen Saison einen Stammplatz auf der Ersatzbank zu haben?
Droht der nächste Unfall?
Toni Schumacher, neben Bodo Illgner wohl der beste Keeper, der je das Torwarttrikot des 1.FC Köln übergestreift hat, bezeichnete auf der Mitgliederversammlung des Jahres 2018 den damaligen Abstieg des 1. FC Köln als einen Unfall. Seine Aussage wurde aus der Retrospektiven getroffen, der Abstieg war nicht verhindert worden.
Beim Gedanken an die bevorstehende Saison wird man dagegen an ein Grundmuster so mancher griechischen Tragödie erinnert: Alle sehen das Unheil – oder mit Schumachers Worten: den Unfall – kommen, nur der tragische Held tut das nicht und rennt in sein Verderben.
Möglich, dass dem 1. FC Köln ein Schicksal wie in der Spielzeit 2017/18 erspart bleibt, Wunder soll es ja bekanntlich immer wieder geben. Darauf bauen sollte man jedoch tunlichst nicht. Und angesichts der Parameter der Vorbereitung auf die kommende Saison scheinen Zweifel an einem erfolgreich bestandenen Abstiegskampf mehr als angebracht.