Die letzte Auswärtsreise der Saison ist für den effzeh eine ganz kurze: Über den Kölner Norden und den Rhein geht es nach Leverkusen. Aber ist das ein richtiges Derby?
Es ist jedes Jahr für Fans des 1. FC Köln dieselbe Leier: Bei einigen Spielen im Saisonverlauf des effzeh schlägt der Puls im Vorfeld etwas höher als sonst. Zugegeben: Ein Heimspiel gegen Ingolstadt bietet aus Fan-Sicht jetzt nicht unbedingt dieselbe Brisanz wie ein Duell gegen Borussia Dortmund. Es gibt aber auch einige Spiele, bei denen im Vorfeld von einem “Derby” gesprochen wird, obwohl niemand genau weiß, was damit eigentlich gemeint ist. “Es ist ein Derby, also ein Spiel mit ganz besonderen Vorzeichen!” – dieser Satz ist in der Vorberichterstattung dann sehr häufig zu hören. Doch was bedeutet das überhaupt, Derby? Woher kommt der Begriff und wie könnte eine allgemeingültige Definition davon aussehen?
Die digitale Wissensplattform Wikipedia, Ursprung und Lösung vieler Probleme in der Gegenwart, führt in ihrer englischsprachigen Version den Begriff “Derby” unter dem Themenfeld “Sportliche Rivalitäten”. Darunter versteht man einen intensiven Wettbewerb zwischen zwei Mannschaften oder Athleten, deren Aufeinandertreffen insbesondere bei den Fans für erhöhte Adrenalin-Spiegel sorgt.
Derby als ganz besonderes Erlebnis
Die Intensität von dieser Rivalität, so schreibt Wikipedia, schwankt dabei zwischen freundlichem Wetteifern bis hin zu ernsthafter Gewaltausübung. Aus einer anderen Perspektive betrachtet sind Derbys deswegen interessant, weil sie den Vermarktern die Möglichkeit bieten, ein “ganz besonderes Erlebnis” anzupreisen, was man sonst eigentlich selten zu sehen bekommt – Einschaltquoten und Zuschauerzahlen sind signifikant höher bei den großen Derbys dieser Welt wie beispielsweise Boca Juniors gegen River Plate.
Doch woher rührt nun eine Rivalität, wie begründet man das Vorhandensein eines Derbys? Neben der geographischen Nähe kann auch die gemeinsame Geschichte von zwei Vereinen dazu führen, dass sich eine Rivalität entwickelt – im deutschen Sprachgebrauch wird “Derby” allerdings nur für Aufeinandertreffen zwischen zwei Teams aus derselben Stadt oder Region verwendet. Die Herkunft des Begriffs lässt sich wohl am wahrscheinlichsten auf ein Pferderennen in England zurückführen: Im Jahr 1780 soll der Zwölfte Earl von Derby das Pferderennen eingeführt haben. Dementsprechend werden einige Pferderennen heutzutage ebenfalls als Derby bezeichnet.
Die Inflation des Derby-Begriffs
Zuträglich für die spätere Verbreitung des Begriffs war auch ein brutales Spiel in der Stadt Derby, an dem meist die gesamte Stadt beteiligt war – nicht selten kam es dabei auch zu schlimmen Verletzungen. Zwischen zwei Toren im Norden und Süden der Stadt wurde im wahrsten Sinne des Wortes um jeden Zentimeter gekämpft, was einen französischen Beobachter zu folgender Aussage verleitete: “Wenn die Engländer das als Spielen bezeichnen, wäre es unmöglich zu sagen, was sie als Kämpfen bezeichnen.” Oh, the British!
Durch die schwammige Substanz des Begriffs und dessen gleichzeitiger inflationärer Verwendung ist es ein wenig unklar geworden, was denn heutzutage als Derby gilt. Wenn Fernsehsender Spiele zwischen dem HSV und Bayern München zwingend als “Nord-Süd-Gipfel” bezeichnen müssen, zeugt das nur von pathologischem Hype. Ein Duell zwischen Mainz und Frankfurt wird schnell zum “Hessen-Derby”, obwohl Mainz die Landeshauptstadt von Rheinland-Pfalz ist, eine Partie zwischen Rostock und Cottbus trotz 350 Kilometer Entfernung zum “Ostderby” stilisiert. Die entscheidende Frage ist: Muss jedes Duell zwischen zwei Mannschaften, die nicht mehr als 100 Kilometer auseinanderliegen, automatisch ein Derby sein?
15 Kilometer Luftlinie entfernt
Dieselbe Frage lässt sich, wie sollte es auch anders sein, natürlich auch auf den Auswärtsauftritt des effzeh am kommenden Samstag in Leverkusen anwenden. Betrachtet man alleine die geographische Distanz zwischen beiden Stadien, erkennt man die absolute Nähe zwischen beiden Vereinen – nur 15 Kilometer Luftlinie liegen zwischen Müngersdorf und der BayArena. Legt man also den Maßstab an, muss man ein Spiel zwischen dem effzeh und Bayer automatisch als Derby bezeichnen. Doch ist es überhaupt so einfach? Gehört zu der oben angesprochenen Rivalität nicht etwas mehr?
Ein entscheidender Aspekt in dieser Debatte sind, wie so oft, die Fans. Wenn beide Fanlager aus historischen Gesichtspunkten aneinander oder miteinander gewachsen sind, ist der Derby-Begriff sicherlich vertretbar. Die Duelle zwischen Borussia Mönchengladbach und dem 1. FC Köln in den 1960er und 1970er Jahren waren damals sogar brisanter als heute, weil es sogar um Titel ging. Bereits seit 1961 zuvor begegneten sich Fohlen und Geißböcke regelmäßig in der Oberliga West, damals meist mit dem besseren Ende für den effzeh.
Fans als Rivalitätsverstärker
Richtig regelmäßig wurden die Aufeinandertreffen mit Leverkusen erst in den 1980er Jahren. Der zeitliche Unterschied in der Entwicklung der Rivalität ist das eine – die Unterstützung der Fans das andere. Die Rivalität gegen Mönchengladbach speist sich in erster Linie natürlich auch aus dem großen Fanaufkommen der Fohlen: Die Art und Weise der Unterstützung trägt dann dazu bei, wie intensiv eine Rivalität wahrgenommen wird – und ob daraus wirklich ein heißes Derby wie Schalke gegen Dortmund wird.
Für viele Kölner ist das Nachbarschaftsduell gegen Leverkusen gewöhnlich nicht das Spiel das Jahres. Zu wenig Berührungspunkte gibt es mit den wenigen Anhängern der “Werkself” im Rheinland, zu oft waren beide Klubs sportlich in anderen Sphären unterwegs, zu anders nehmen sich die Rivalen wahr. Ein Rivale auf Augenhöhe, das war Bayer ganz lange nicht. Auch daraus resultiert der Unterschied in der Wahrnehmung im Vergleich zum rheinischen Derby gegen Borussia Mönchengladbach. Doch für viele Fans, die Mitte bis Ende der neunziger Jahre beim effzeh sozialisiert wurden, ist die Partie gegen den Kölner Vorort mehr und mehr zum Derby avanciert.
Geringe Distanz, große Superlative
Halten wir fest: Jeder soll für sich selbst entscheiden, ob das Spiel gegen Leverkusen ein Derby ist oder nicht – es geht uns nicht um Belehrungen oder eine Deutungshoheit. Ob Lokalduell, Derby, rheinischer Clasico – wie das Spiel bezeichnet wird, ist uns grundsätzlich egal, wir können es eh nicht ändern. Die Frage muss jedoch erlaubt sein, ob es immer wieder einen neuen Superlativ braucht, um ein Spiel anzupreisen. Die sportliche Bedeutung der Partie könnte ohnehin kaum größer sein, deswegen müssen auf der medialen Klaviatur nicht unbedingt auch noch die Derby-Töne gespielt werden. Ja, die Distanz zwischen Leverkusen und Köln ist gering, der Wert der sportlichen Rivalität vergleichsweise allerdings auch.