Mitgliederversammlungen beim 1. FC Köln sind Großereignisse. Mitglieder, die unvorbereitet sind, treffen auf Mitglieder, die Gut-Böse-Schemata im Kopf haben, und genau wissen, welche Person sie wo einsortieren. Allerdings besaßen die Fronten in den vergangenen Jahren schärfere Konturen. Schließlich ist dies die erste Mitgliederversammlung, auf der sich der im Herbst 2019 gewählte Vorstand rechtfertigen muss – und mit ihm der Mitgliederrat, der ihn vorschlug. Aspekte, für die es sich zu rechtfertigen gilt, gibt es viele: Zwei Fastabstiege, finanzielle Löcher, aufmüpfige Geschäftsführer, anmaßende Spielerberater, vermurkste Infrastrukturprojekte, Geldverschwendung, fehlende Einbindung der Mitglieder und so weiter. Der Vorstand wird sich zahlreichen kritischen Fragen stellen müssen. Doch wird er das angemessen tun?
Das Format: Audienz statt Willensbildung
Der Vorstand hat mit Zustimmung des Mitgliederrats ein Format entworfen, das so aussieht: In der Halle sitzt die gehobene Gesellschaft, an den Computern das Fußvolk. Fragen durften bis zu 72 Stunden vorher schriftlich eingereicht werden. Ein Chat soll die Kommunikation während der Veranstaltung in die Arena gewährleisten. Abstimmungen erfolgen ebenfalls am Computer, laufen aber über einen externen Dienstleister – der demzufolge die Anonymität bei der Stimmabgabe aushebeln könnte. Wenn denn alles funktioniert. Der ähnlich professionell agierende FC Schalke 04 musste seine geplante Online-Versammlung am Wochenende wegen zahlreicher technischer Pannen abbrechen, bei Dynamo Dresden lief es ähnlich.
Mit der Kreation dieses Formats unterstreicht der 1. FC Köln, was ihm wirklich wichtig ist: Die Kundenbindung und die Vermittlung des Gefühls, dabei sein zu können. “Dabei sein” ist hier wörtlich zu verstehen. Denn es geht dem 1. FC Köln um Zustimmung, nicht um Mitbestimmung. Wie könnte er die besser erreichen als mit einem solchen Format? Es gibt ja nicht die Möglichkeit, dem eigenen Unmut Luft zu verschaffen (sieht man einmal von der Chatfunktion ab, die spätestens, wenn die Nachrichten zu unangenehm werden, in der Halle ignoriert werden könnte). Bewusste Manipulationen dürfte es natürlich nicht geben. Aber das Zustandekommen der Ergebnisse der Abstimmungen ist für die Mitglieder nicht nachvollziehbar. Vertrauen in die Kompetenzen des 1. FC Köln ist gut, Kontrolle besser. Dieses Prinzip gilt natürlich auch für die Vorstandsarbeit.
Der Vorstand: Käpt’n Bitburger und sein Siebenjahresplan
Seit 2019 steht Werner Wolf dem 1. FC Köln als Präsident vor, er glänzte in der bisherigen Zeit nicht mit Tatendrang. Er verlor rund drei Monate nach Amtsantritt seinen Vize Jürgen Sieger und warf kürzlich den Sportgeschäftsführer Horst Heldt raus, den er vor anderthalb Jahren eingestellt und noch vor einem Jahr mit einer fürstlichen Vertragsverlängerung ausgestattet hatte. Wolf intrigierte gegen den ehemaligen Mitgliederratsvorsitzenden Stefan Müller-Römer, schmiss im Sommer 2020 Medienchef Tobias Kaufmann raus, ohne bis heute für einen Nachfolger zu sorgen, und ließ sich mehrfach von Geschäftsführer Alexander Wehrle sowie den Abteilungsleitern im Geißbockheim in aller Öffentlichkeit vorführen. Sein Vize Eckhard Sauren soll für das Sportliche zuständig sein. Doch auch ihm gelang es nie, ein Konzept oder eine Linie vorzugeben – oder überhaupt zu vermitteln, was dieser Vorstand eigentlich will, außer im Amt zu sein.
Nun soll der große Wurf her: Ein Siebenjahresplan! Das klingt weitsichtig, strategisch und überlegt. Oder? Ja – aber… Werner Wolf sprach bereits über Auszüge dieses Plans, die Mitglieder wurden via Mail über die Grundzüge informiert. Nach Einstein oder Nietzsche klang er dabei nicht: “Wir haben die Schnauze voll vom Fahrstuhl. Unsere Strategie wird zeigen, dass das möglich ist, wenn uns die Dinge gelingen.” Für dieses Gelingen braucht der Vorstand nach eigenem Bekunden neben einer nebulösen Strategie in erster Linie Geld. Angeblich fehlen jährlich 25 bis 30 Millionen Euro, um sich stabil in der Bundesliga zu etablieren. Sollte man mal dem SC Freiburg oder Union Berlin sagen, oder? Oder dem FC Schalke 04? Wie auch immer: Diese Logik erinnert an die Claus Horstmanns von 2005: “Mit einem Etat von 40 Millionen ist noch niemand abgestiegen!” Es kam bekanntlich anders.
Ähnliche Déjà-vus konnte man haben, als Wolf über Werte des 1. FC Köln sprach: „So lange ich mich erinnern kann, war Köln ein Ort, wo Vielfalt gelebt wird. Niemand soll diskriminiert werden, dagegen wehren wir uns.” Wohlgemerkt: Das stammt von einem Mann, der noch im Februar letzten Jahres den ehemaligen WerteUnion-Hardliner Ralf Höcker auf der Karnevalssitzung als Ehrengast einließ und im Februar diesen Jahres den jahrelangen BILD-Aktivisten Fritz Esser zum Medienchef küren wollte. Weiterhin führte er aus: “In den nächsten drei Jahren wollen wir […] unsere soziale Verantwortung wahrnehmen.”
“So lange ich mich erinnern kann, war Köln ein Ort, wo Vielfalt gelebt wird. Niemand soll diskriminiert werden, dagegen wehren wir uns.”
Was er und seine Kollegen darunter bislang verstanden? Armenspeisung an der Tafel. Ging es aber darum, Mieten für das Stadion einzubehalten (die der Steuerzahler ausgleichen muss) oder Fans das Geld für nutzlose Karten aus der Tasche zu ziehen, war dem Präsidium die soziale Verantwortung so nah wie Christoph Daum die geistige Bodenhaftung. Die Worte und Pläne des Vorstands scheinen also nichts als Wortgeklingel zu sein. Gerade Wolf wird in der Kölnarena einen überzeugenden Auftritt hinlegen müssen – nicht nur, um entlastet zu werden, sondern auch um seinen Wunschkandidaten für die Vizepräsidentschaft durchzubekommen.
Die Wahl Carsten Wettichs: Abstimmung über einen Bekannten
Mit Carsten Wettich stellt sich ein Bekannter zur Wahl: Lange war er stellvertretender Vorsitzender des Mitgliederrats, seit 2015 ist er im Gemeinsamen Ausschuss. Als Sieger im Dezember 2019 zurücktrat, entsandte der Mitgliederrat ihn als kommissarischen Vizepräsidenten in den Vorstand. Wettich gilt als fleißigstes und cleverstes Vorstandsmitglied – was angesichts der Gesamtbilanz des Vorstands nach diesen anderthalb Jahren allerdings wenig aussagt. Kürzlich versuchte Wettich, sich in Interviews mit dem Express, der Kölnischen Rundschau und dem Kölner Stadt-Anzeiger Profil zu verschaffen.
Dies gelang ihm nur mäßig, er blieb in seinen Zurückweisungen Volker Struths vage, anstatt diesen zurechtzuweisen. Er behauptete, viele könnten besser reden als er, aber nur wenige könnten es besser machen, ohne einen Beleg dafür zu liefern. Er wiederholte das Märchen von den fehlenden 25 bis 30 Millionen Euro zur Etablierung in der oberen Tabellenhälfte. Wettich mochte mit anderen Aussagen richtig liegen, doch es drängt sich die Frage auf: Warum sollte dieser Vorstand nach Wettichs Wahl bessere Ergebnisse zustande bringen als vorher? Auf diese Frage gab er bislang keine zufriedenstellende Antwort.
“Er arbeitet hart, bringt Themen zum Abschluss und wenn er etwas vorlegt, dann hat das Hand und Fuß. Er bringt vieles mit, um den Vorstand bis 2022 sinnvoll zu ergänzen.”
Auch die Mitgliederratsvorsitzenden Ho-Yeon Kim und Christian Hoheisel gaben diese nicht. Kim antwortete etwa Express-Redakteur Alexander Haubrichs auf die fragende Steilvorlage, weshalb die Mitglieder Wettich wählen sollten, so: “Es wäre falsch, wenn die Wahl von Carsten Wettich als Denkzettel-Abstimmung für den Vorstand genutzt wird. Carsten und ich ticken in vielen Dingen ähnlich, auch wenn wir unterschiedliche Schwerpunkte haben. Er arbeitet hart, bringt Themen zum Abschluss und wenn er etwas vorlegt, dann hat das Hand und Fuß. Er bringt vieles mit, um den Vorstand bis 2022 sinnvoll zu ergänzen. Ich kann nur dazu aufrufen, Carsten bis zum Ende der Amtszeit das Vertrauen zu schenken.”
Eine gute Begründung für Wettichs Wahl klingt – leider – anders. Es gibt sie auch nicht. Es spricht nämlich nichts dafür, dass der Vorstand danach besser arbeiten wird als davor. Übrigens: Sollte Wettich nicht gewählt werden, würde er zurücktreten. Der Mitgliederrat müsste dann ein anderes Mitglied in den Vorstand entsenden. Wolf und Sauren kündigten bereits an, dann weiter im Amt bleiben zu wollen. Das Horrorszenario, wonach eine Nichtwahl Wettichs zwangsläufig zu einer Übernahme des 1. FC Köln durch die Fußballfamilie um Volker Struth, Reiner Calmund und co. führen würde, ist daher in erster Linie Wahlwerbung für Wettich. Es sollte kein Mitglied bei der Stimmabgabe beeinflussen.
Das Drumherum: Struth und die Fußballfamilie attackieren den 1. FC Köln
Dass diese Gefahr überhaupt heraufbeschworen werden kann, liegt an den Ausfällen des Spielerberaters Volker Struth und anderen Mitgliedern der Fußballfamilie gegenüber Personen und Strukturen des 1. FC Köln. Horst Heldt und Friedhelm Funkel trompeteten diese bereits in jedes offene Mikrofon, Struth legte anschließend nach. Er fiel zwar schon in den letzten Jahren oft mit niveaulosem Gepolter auf, aber vor einigen Wochen übertraf er sich. Neben zahlreichen Anmaßungen gab er zu Protokoll: “Ich halte es für grundsätzlich schwierig, dass Mitglieder den Verein führen.”
“Ich halte es für grundsätzlich schwierig, dass Mitglieder den Verein führen.”
Dies war, wenn man so will, der ehrlichste und zutreffendste Satz, den Struth von sich gab. Denn “einfache” Mitglieder kommen nicht aus der Fußballfamilie und könnten, bitte halten Sie jetzt die Luft an, hinterfragen, ob man eigentlich jedem Volker Struth und jedem Marco Höger und jedem Mark Uth Millionensummen für deren Aktivitäten zahlen und dafür deren Hybris tolerieren muss. Familienmitglieder wie Horst Heldt oder Friedhelm Funkel stellen ihre Kumpels dagegen nie in Frage – zumindest solange sie mitverdienen. Wie familiär diese Verflechtungen sind? Funkels Ehefrau Anja leitet die Stiftung von Volker Struths Beraterfirma. Auch das ist bestimmt nur ein Zufall.
Volker Struth dürfte in den letzten zwanzig Jahren eine achtstellige Summe vom 1. FC Köln an Honoraren kassiert haben. Dass aber ein solcher Mensch es nahezu unwidersprochen wagen darf, den gesamten Verein anzupöbeln, weist auf ein Problem hin: Die Führungs- und Entscheidungsschwäche eines Präsidiums, das weder willens, noch in der Lage zu sein scheint, den Filz im Geißbockheim oder Geier wie Struth effektiv zu bekämpfen.
Die Anträge: Antidemokratische Attacken
Da der Vorstand seinen Antrag zur Änderung der Satzung zurückziehen dürfte, stehen vor allem zwei weitere Anträge im Fokus. Sie zielen teilweise darauf ab, das demokratische Gleichgewicht in der Vereinsstruktur zu demolieren. Rüdiger Thormann fordert beispielsweise, dass Mitgliederversammlungen ab 50.000 Vereinsmitgliedern grundsätzlich virtuell durchgeführt werden müsse. Demokratische Willensbildung? Diskussionen in der Halle? Für Thormann unwichtig. Sein Antrag läuft darauf hinaus, dass Mitglieder noch weniger mitbestimmen sollen als ohnehin schon. Die Vorstellung, sie könnten dies vom eigenen Rechner aus tun, ist eine Fata Morgana – wie das angekündigte Format zeigt.
Aggressiver ist der Antrag von Helmut Brechot mit fünf Kollegen. Sie wollen, dass der Mitgliederrat nicht mehr den Vorstand vorschlagen darf, sondern alle in einem Casting auf der Mitgliederversammlung gegeneinander antreten sollen. Was sie als Basisdemokratie verkaufen wollen, liefe erstens auf absurde Wahlkämpfe hinaus und bedeutete zweitens, dass sich der Vorstand gegenüber niemandem mehr rechtfertigen müsste. Denn wieso sollte er sich von einem Aufsichtsgremium kontrollieren lassen, dem das einzige Druckmittel (die Weigerung, den Vorstand erneut zu nominieren) abgenommen wurde?
Denn genau das ist der Mitgliederrat: Ein Aufsichtsgremium. Er ist kein Sammelbecken für Brötchenschmierer und Vereinsmeier. Früher hieß er Verwaltungsrat, in anderen Vereinen heißt er Aufsichtsrat. Brechot und co. scheinen das nicht zu verstehen. Und sie scheinen genauso wenig zu verstehen, dass sie die Axt an die demokratische Kontrolle und Mitbestimmung legen, die sie vorgeblich stärken wollen. Käme diese Satzungsänderung durch, wären einige Mitgliederversammlungen Karnevalspartys mit wochenlangem Schaulaufen, bei denen letztlich der mit dem größten Kölschglas die Wahl gewinnen würde.
Das Fazit: Der Boden für eine große Shitshow ist bereitet
Fasst man das alles zusammen, ergibt sich eine klares Bild: Das Großereignis am Donnerstag könnte zu einer gigantischen Shitshow werden. Ein überforderter Vorstand trifft auf unzufriedene Mitglieder, geldgierige Aasgeier kreisen bereits über dem Verein und es gibt keine Klarheit darüber, wie der Verein bei technischen Problemen reagieren wird. Der Elferrat in der Kölnarena sollte genug zu tun haben – aber wer weiß schon, ob er das auch alles tun will? Es gibt nur eine Konstante: Langweilig wird es beim 1. FC Köln nicht. Auch ohne Shitshow dürfte es ein extrem interessanter Abend werden. Und sei es nur, um bei einem technischen Debakel live dabei zu sein.