Eigentlich, so dachten wohl einige rund um den 1. FC Köln im Dezember, sei die Mannschaft doch jetzt endlich in der Spur: Auswärtssiege in Dortmund und Mainz sowie ein Unentschieden zuhause gegen Wolfsburg vermittelten den Eindruck, dass es beim FC nach acht mehr oder minder erfolglosen Monaten endlich besser würde. Diese sieben Punkte ließen offensichtlich Vorstand, Geschäftsführung und Trainerteam derart durchatmen, dass alle Beteiligten bereitwillig die Augen davor verschlossen, dass die “Geißböcke” trotz dieser kurzen Serie weiterhin eine Bundesliga-Mannschaft mit mehr Schwächen als Stärken sind.
Kurzer Flashback: In Dortmund verteidigte der FC weitestgehend sauber, hatte Matchglück. Gegen Wolfsburg war es in allen Belangen eine akzeptable Leistung. In Mainz gewann die glücklichere von zwei unterdurchschnittlichen Mannschaften. Defensive Stabilität, zulasten der eigenen Offensive: Das war rund um das Geißbockheim das Credo der vergangenen Tage. Bis zum in aller Form verdienten und endgültig desillusionierenden 0:5 in Freiburg.
“So bleiben wir nicht in der Liga” vs. “Sie haben ihr Bestes gegeben”
Ja, Freiburg: Eine formstarke Mannschaft mit einem klar erkennbaren fußballerischen Plan, aber eben der SC Freiburg. Kein Schwergewicht der Bundesliga, einfach ein normales Team. Und für dieses normale Team reichten am vergangenen Samstag vielleicht 80 Prozent der eigenen Leistungsfähigkeit, um einen Kantersieg herauszuschießen. „Wir haben alles vermissen lassen, was man im Abstiegskampf braucht“, lautete daher das zutreffende Fazit von Geschäftsführer Horst Heldt, der am Tag danach den Medien Rede und Antwort stand. Er ergänzte, durchaus mit Sinn für die Realität: „So bleiben wir nicht in der Liga.“
Tags zuvor hatte Cheftrainer Markus Gisdol noch gesagt: „Sie haben ihr Bestes versucht. Es hat in dem Moment nicht gereicht.“ Während Heldt das Problem zumindest hier klar benennt, überrascht das Fazit von Gisdol schon etwas – und verdeutlicht vielleicht auch die zunehmende Spannung im Binnenverhältnis der beiden sportlich Verantwortlichen. Das intensive Verteidigen habe den 1. FC Köln in den letzten Wochen auf Kurs gebracht, betonte Heldt zudem – in Freiburg habe all dies gefehlt. Und dann sagte der frühere Stuttgarter und Schalker Sportchef: „Und das auf eine Weise, wie ich es hier noch nicht erlebt habe.“
An dieser Stelle wird die Frage erlaubt sein, ob Horst Heldt sich noch an das letzte Spiel der vergangenen Saison in Bremen erinnert? Als der 1. FC Köln bereits mit dem Klassenerhalt in der Tasche eine völlig indisponierte Leistung zeigte, mit 1:6 verlor und dadurch erheblich in den Wettbewerb der anderen Teams eingriff? An das 0:1 in Bielefeld zu Saisonbeginn, bei dem vielen schon Böses für den weiteren Saisonverlauf schwante? An Spiele gegen Bremen, Union Berlin und nicht zuletzt Leverkusen, in denen gegen fußballerisch sehr unterschiedliche Mannschaften immer dieselben Mängel offensichtlich waren?
Mehr Intensität, Strafversetzungen – aber Gisdol bleibt
Gewiss, ganz tatenlos möchte Horst Heldt zusammen mit seinem Trainer und Freund Gisdol diese Niederlage von Samstag nicht stehen lassen. Deswegen kündigte er an, dass diese Woche eine andere werden würde im Kölner Grüngürtel. „Wir werden uns nicht zum Kaffeetrinken treffen, das ist nicht möglich. Diese Woche wird eine andere sein.“ Zusätzlich verbannte der FC mit Frederik Sörensen, Christian Clemens und Robert Voloder drei Spieler in die U21, die ohnehin keine Chance auf Einsatzzeiten gehabt hätten. Doch dies scheint nicht viel mehr als eine öffentlichkeitswirksame Maßnahme zu sein, um dem Umfeld zu signalisieren: Wir tun doch was!?
Bereits bei Schalke hatte Heldt Spieler suspendiert (Kevin-Prince Boateng, Sidney Sam, auch Marco Höger), auch Markus Gisdol kennt die Verbannung von Profis in die berühmte “Trainingsgruppe 2”. In Hoffenheim traf es damals Eren Derdiyok, Tim Wiese, Matthieu Delpierre und andere. Durch die Wiederholung wollen beide nun sicherstellen, dass sich in Köln keiner der Spieler seiner Pfründe mehr sicher sein kann. Ob diese Maßnahme die Trainingsqualität erhöht und andere Spieler sich damit mehr in der Verantwortung sehen, darf allerdings bezweifelt werden.
Auch nach 15 Spieltagen: Keine fußballerische Identität beim 1. FC Köln
Hinzu kommt, sollte die Berichterstattung von DuMont den Tatsachen entsprechen, dass am Sonntag nach der Niederlage der Mannschaftsrat (!) zu einer Krisensitzung mit Geschäftsführung und Trainerteam bat. Kapitän Jonas Hector sei mit seinen Stellvertretern Timo Horn und Marco Höger bei Heldt im Büro vorstellig geworden, um sich über das Spiel in Freiburg auszutauschen. Den Kopf des Trainers hätten sie dabei allerdings nicht gefordert, beteuerte Heldt. Er sprach Gisdol auch gleichzeitig eine Garantie dafür aus, am kommenden Samstag gegen Hertha BSC auf der Bank zu sitzen. „Wir halten an ihm fest, so lange wir überzeugt sind.“
Die Niederlage gegen Freiburg hatten für den FC-Sportgeschäftsführer nichts mit taktischen Vorgaben oder Systemfragen zu tun, hieß es – vielmehr mit der Einstellung der Spieler. Nach 15 Spieltagen ist die Schonfrist in einer Saison eigentlich vorbei, bis dahin sollte schon klar sein, mit welcher fußballerischen Idee eine Mannschaft ihre Ziele zu erreichen versucht. Doch beim 1. FC Köln ist dies anders. Die Formation changiert zwischen Vierer- und Fünferkette, das einzig sichtbare offensive Mittel sind lange Bälle und Standardsituationen. Ansonsten verteidigt der FC sein eigenes Tor. Die Debatte über die richtige Einstellung der Spieler ist daher tatsächlich eher ermüdend.
Wie will der 1. FC Köln dieses Mal den “Turnaround” schaffen?
Die Frage ist nun, wann Markus Gisdol den Rückhalt seiner Spieler verliert, wenn dies gar nicht schon geschehen ist. Denn auch Fußballprofis sind eigentlich wie Kinder, die aus Spaß spielen – denn sie wollen gewinnen. Aus der Lust am Gewinnen entsteht die Freude am Spiel, doch beim FC ist das nicht erkennbar. Die Spieler werden offenbar nicht mit den richtigen Grundlagen versorgt, um auf dem Spielfeld gute Entscheidungen zu treffen. Klar ist: Der Trainer kann für sie die Entscheidungen auf dem Spielfeld nicht treffen, das müssen sie schon selber tun. Ein Trainer schafft dafür die Grundlagen, gibt Spielprinzipien vor und automatisiert diese durch Trainingsinhalte.
Diese Trainingswoche würde für die Spieler intensiv werden, kündigte Horst Heldt an. Nur über Intensität, nur über emotionale Ansprache, nur über Motivation in Notsituationen ist aber kein nachhaltiger sportlicher Erfolg möglich. Vielleicht ringt sich die Mannschaft zu einem Punktgewinn oder mehr gegen Hertha durch, wer weiß. Die vergangenen Wochen haben allerdings gezeigt, dass Formanstiege meist nicht von langer Dauer und die Planlosigkeit mit mehr Spielen sichtbarer wurde.
Drohen bei einem Abstieg schlimmere Konsequenzen als 2012?
Aber die Verantwortlichen am Geißbockheim können sich auch glücklich schätzen: Momentan sind keine Fans in den Stadien, die ihre Kritik äußern würden. Die Menschen kämpfen abseits der Bundesliga um ihre Existenz, die Coronapandemie fordert ihre Energie in anderen Bereichen. Dass parallel dazu der 1. FC Köln immer weiter Richtung 2. Bundesliga heruntergewirtschaftet wird, hinterlässt bei vielen mittlerweile nicht mehr als ein Achselzucken. Die finanzielle Lage des Vereins ist verheerend, das ist bereits seit Monaten bekannt. Ein weiterer Abstieg, sollte es soweit kommen, würde den 1. FC Köln womöglich gar in eine schlimmere Situation als 2012 bringen – Stichwort schwarze Wand.
Damals gingen die Fans bereitwillig mit in die 2. Bundesliga, unterstützten dort ein Team im Wiederaufbau über zwei Jahre. Gleichzeitig konnten sie eine Fananleihe zeichnen und den Verein finanziell unterstützen. Ob nach der emotionalen Entfremdung zwischen Fans und dem Profifußball, speziell dem 1. FC Köln, eine solche Bereitschaft wieder so deutlich ausgeprägt wäre? Darüber lässt sich zum jetzigen Zeitpunkt nur spekulieren. Aber mit jeder weiteren Woche, die der FC den Abstiegsrängen näherrückt, sollten eigentlich umso mehr die Alarmglocken schrillen.
Zehn Millionen Euro für Andersson und Limnios
Was wäre die Lösung? Bietet der Trainermarkt derzeit eine Alternative für Markus Gisdol? Diese Frage lässt sich auch nicht genau beantworten, ist aber auch nicht sonderlich relevant. In einem System voller gegenseitiger Abhängigkeiten und uneingeschränkter Loyalität würde eine Entlassung Gisdols im Normalfall weitere personelle Veränderungen nach sich ziehen. Ein Scheitern des Trainers würde gleichbedeutend mit einem Scheitern der Geschäftsführung stehen, weil die Verpflichtung von Gisdol im November 2019 und die vorzeitige Vertragsverlängerung im zurückliegenden Sommer vorrangig auf Heldt zurückging. Seitdem hatten beide Zeit, den Kader nach ihren Vorstellungen zu gestalten – alleine im Sommer 2020 wurden dafür mehr als 15 Millionen Euro investiert. Für einen Verein in finanziell angespannter Lage jede Menge Geld.
Und dann hilft es auch nicht, dass Sebastian Andersson (größter Kostenpunkt mit etwa sieben Millionen Euro) bisher aufgrund anhaltender Knieprobleme seine Leistungsfähigkeit noch nicht vollends unter Beweis stellen konnte und nun gar wochenlang ausfällt. Auch die drei Millionen Euro für Dimitrios Limnios sind aktuell noch keine lohnende Investition. Zehn Millionen Euro, null Ertrag: Das ist kein gutes Zeugnis. Vor wenigen Tagen sagte Horst Heldt noch zu anstehenden Transfers im Winter, dass er “keinen Amazon-Warenkorb” und “nur bestimmte Rahmenbedingungen” zur Verfügung hätte. Angesichts dieser Bilanz ist das vielleicht sogar besser so und bewahrt vor weiteren Flops.
Die Furcht vor dem kompletten Kollaps
Die Auswirkungen dieser Investments sind bisher noch nicht sichtbar, die sportliche Not wird immer größer – das erhöht freilich den Handlungsdruck auf die Verantwortlichen. Der Vorstand des 1. FC Köln, immerhin verantwortlich für Einbestellung und Kontrolle der Geschäftsführung, ist in diesen Tagen kaum präsent. Zur Erinnerung: Bei der nächsten Mitgliederversammlung, die womöglich im März als Hybridveranstaltung stattfinden soll, wünschen sich Vorstand und Mitgliederrat eine Bestätigung des im Dezember 2019 nachgerückten Vizepräsidenten Dr. Carsten Wettich. Eine Abstimmung über ihn würde automatisch auch eine Abstimmung über den Gesamtvorstand sein und da erscheint es fraglich, ob die jüngsten Entwicklungen in Sachen Sport, Finanzen oder auch Vereinspolitik generell dafür ausreichen, Wettich problemlos im Amt zu bestätigen.
Es herrscht also wieder einmal Krisenstimmung am Geißbockheim, alle Jahre wieder. Nicht nur die Angst vor dem Abstieg, sondern auch die Furcht vor einem kompletten Kollaps des Vereins in einer unverschuldeten Pandemiesituation wabern über dem Geißbockheim. Viel wird von den Leistungen der Mannschaft abhängen, viel wird über die Personalie Markus Gisdol diskutiert werden. Doch eine Trennung von ihm alleine würde nicht automatisch alles besser machen. Auch Alexander Wehrle würde sich in einem solchen Fall nicht verstecken können: Die Verpflichtung von Heldt entstand unter seiner Federführung, eine erneute Trennung wäre nach der Geschichte rund um Armin Veh das nächste Fiasko.
Die Wohlfühloase des Geißbockheims verrichtet seit Jahren offenbar völlig entrückt von äußeren Einflüssen ihre Arbeit. Verantwortliche berufen sich darauf, dass das Alleinstellungsmerkmal des Vereins die Fans seien, die trotz sportlich schwieriger Phasen immer für ein ausverkauftes Müngersdorfer Stadion sorgen würden – außer eben während einer Pandemie. Dann jedoch ist der 1. FC Köln ein völlig gewöhnlicher, gar langweiliger und nicht wirklich liebenswürdiger Verein. Bleibt nur zu hoffen, dass ihm der erneute Gang in die 2. Bundesliga und damit womöglich in die völlige Bedeutungslosigkeit erspart bleibt.