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Meinung

Strafe wegen Schmähgesängen: Das Antiseptikum der Seelenräuber

Strafen für beleidigende Gesänge? Längst kein Schreckgespenst aus der Zukunft mehr. Schließlich braucht ein Hochglanzprodukt eine schöne Fassade und keine Seele. Ein Kommentar.

Foto: PATRIK STOLLARZ/AFP/Getty Images

Bestrafung für beleidigende Gesänge? Längst kein Schreckgespenst aus der Zukunft mehr. Schließlich braucht ein Hochglanzprodukt eine schöne Fassade und keine Seele. Ein Kommentar.

Diese Liebe zum Fußball, sie kam hornby’esk plötzlich, unerklärlich und unkritisch. Es war manchmal laut, es war häufig anarchisch, es war ganz oft rauh und angepasst. Ich war mit Haut und Haar Teil des großes Ganzen. Feuerte mein Team lautstark an, jubelte ekstatisch über Tore, weinte hemmunglos nach Niederlage und beschimpfte Gegner, Schiedsrichter und den Verband. Auf das Übelste. Olaf Thon? Reiner Calmund? Andreas Köpke? Ulf Kirsten? Oliver Kahn? Uli Hoeneß? Marko Marin? Sie alle (und noch viele mehr) bekamen den heiligen Zorn zu spüren. Schmähgesänge? Das gehört schließlich seit dem Kartoffelkrieg 1814, als das Tote Meer noch krank war, zum Fußball dazu.

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Für den DFB offensichtlich nicht mehr. Auf der Jagd nach dem bestmöglich vermarktbaren Hochglanzprodukt, antiseptisch, familiengerecht und fernsehtauglich, sind nun auch beleidigende Gesänge ins Visier der Sittenhüter geraten. Nach Borussia Dortmund wurde der 1. FC Köln ebenfalls wegen dieses Delikts zur Kasse gebeten – beide wenig überraschend für Sprechchöre bei Spielen gegen die TSG 1899 Hoffenheim. Auch wenn der DFB sich zum Inhalt ausschweigt, braucht es wenig Fantasie zu erraten, dass damit Andeutungen über den beruflichen Werdegang der Mutter des Hoffenheimer Mäzens gemeint sein dürfte. Nachdem dies jahrelang zwar öffentlich gerügt wurde, soll nun das DFB-Sportgericht die verbal ausfälligen Anhänger zur Räson bringen.

Der DFB als moralische Instanz

Zurück bleiben Fragen – und ganz viel Wut: Wieso wird so offensichtlich ein einzelner Funktionär bei beleidigenden Gesängen verteidigt, während Generationen von Bundesliga-Akteuren dies mehr oder minder über sich ergehen lassen mussten? Was sind überhaupt beleidigende Gesänge, wo verläuft die Grenze? Darf ich verbal noch Stein auf Stein auf die Elf vom Niederrhein werfen? Ist das weniger schlimm als „Scheiße 04“ oder „BVB Hurensöhne“? Muss sich der 1. FC Köln als „Scheiße vom Dom“ bezeichnen lassen, jeder Kölner als Sohn einer herzensguten Frau titulieren lassen? Oder gilt diese Vorschrift gar nicht für Duelle zwischen normalen Verein, sondern einzig und allein für Spiele gegen Hoffenheim? Und wieso maßt sich ein Verband, der die Besen, die vor der eigenen Tür kehren sollen, gerne nach ganz hinten in den Schuppen verbannt, das moralische Hoheitsrecht über die Fankurven an?

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Die Begeisterung für den Fußball, die Liebe zum Verein, sie speist sich auch aus dem Erlebnis im Stadion. Dazu gehört auch: Die Tribünen sind (neben den Kommentarspalten auf Facebook) wohl die einzig gelebten Ort des „Wir“ gegen „Die“ in dieser Konsensdemokratie. Das ist nicht immer schön, das ist nicht immer passend, das ist nicht immer niveauvoll – das ist aber Realität. Es ist immer noch Fußball, das Stadion kein Ponyhof. Da geht es auch verbal ordentlich zur Sache, Blutgrätsche statt Diskussionszirkel. So gern der DFB eine „Heile-Heile-Gänschen-Welt“ im glatt polierten Unterhaltungszirkus hätte, auf den Tribünen nur noch unmündiges Klatschvieh mit tadellosem Benehmen (muh!). Auch wenn diese dann häufiger doch nicht mehr so prall gefüllt sind wie erwartet. Wie unverständlich!

Seelenlos durch die Nacht

Vor 10 Jahren hatten viele gelacht, als beim Ringen um einen Kompromiss in Sachen Pyrotechnik gesagt wurde: „Wenn die Bengalos erloschen sind, geht es an die Spruchbänder. Und dann dürft ihr nur noch singen, was gefällt“ … das Lachen ist mir mittlerweile im Halse stecken geblieben. Aber kein Problem: Ist ja klinisch rein und hochglanzpoliert. Ein Hochglanzprodukt braucht eben eine schöne Fassade mit tollem Äußerem – und keine Seele.

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