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Auswärtsspiel

“Normalerweise würden wir Meister werden”

Zum Interview im Rahmen des Spiels gegen den BVB trafen wir Jan-Henrik Gruszecki – einen Mann mit vielen Facetten

© effzeh.com
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Zu den Spielen unseres geliebten und glorifizierten ersten Fußballclubs Köln werden wir auch in dieser Saison einem Fan der gegnerischen Mannschaft ein paar Fragen stellen. Und weil Gegner ja immer irgendwie “auswärts” sind, egal ob der effzeh zu Hause oder auf fremdem Platz antritt, und weil die Sichtweise von “auswärts” kommt, heißt die Kategorie folgerichtig “Auswärtsspiel”. Wir sind nicht nur gespannt, wieviel effzeh in den Anhängern der anderen Bundesligisten steckt, sondern erwarten auch eine Einschätzung zur Situation der eigenen Mannschaft.

Der Hansdampf unter den BVB-Fans Jan-Henrik Gruszecki hat in etwa so viele Standbeine wie ein Tausendfüßer: neben seiner Leidenschaft für den BVB schreibt der Mitbegründer der Fangruppierung „The Unity“ über Fußball, macht Filme, aktiviert sich für Belange der Fußballfans und ist Geschäftsmann – nicht nur in Argentinien. Dass er trotzdem Zeit für ein Interview im Rahmen des Auswärtsspiels mit uns hatte, war höchstwahrscheinlich der einzige Sieg des effzeh an diesem Wochenende. Wir trafen ihn zu einem Gespräch über Fankultur in Argentinien, die soziale Kraft des Fußballs und Ambitionen in Europa. Überraschung: im Kader des effzeh steht ein Spieler, der einem Stammspieler beim BVB das Wasser reichen kann!

 

effzeh.com : Nachdem du 2001 an der Gründung von „The Unity“ beteiligt warst, hast du zwischen 2006 und 2012 in Südamerika gelebt. Wie verfolgt man da seine Lieblingsmannschaft?

Gruszecki: Ich habe natürlich alles mitbekommen und bin zu den wichtigen Spielen eingeflogen. Die anderen Spiele habe ich in einem schlechten Stream in irgendeinem Internetcafé in Südamerika verfolgt. Selbst 15.000 km entfernt war es morgens für mich das Erste, nach dem BVB zu schauen. Das hat sich nie geändert.

effzeh.com : Du hast dort vor Ort ja auch insbesondere die argentinische Fankultur erleben dürfen. Wodurch zeichnet diese sich aus?

Gruszecki: Die Argentinier haben grundsätzlich eine andere Mentalität als Europäer und von daher ist es schwierig, das zu beschreiben. Argentinier sind eben sehr emotional und das spiegelt sich vorrangig auf den Haupttribünen wider, wo die Stimmung aus den Kurven komplett aufgegriffen wird. Das kann ich mir in Deutschland nur schwer vorstellen. Allerdings gibt es dort auch Dinge, die nicht so positiv sind: manche Fanstrukturen sind mafiöser Natur, einige Capos sind Berufsfans und werden für ihre Arbeit bezahlt, das geht natürlich gar nicht. Vor allem war natürlich die besondere Atmosphäre in den Derbies beeindruckend, genauso wie die Identifikation zwischen Stadtviertel und Verein. Davon habe ich viel mit nach Deutschland mitbringen können, ohne jetzt die Fankultur des BVB in irgendeiner Form südamerikanischer zu machen (Anm. d. Verf.: Gruszeckis Beschäftigung mit der Beziehung zwischen Stadt und Verein findet Ausdruck in dem Film „Am Borsigplatz geboren“, der seit September als DVD erhältlich ist).

effzeh.com : Du legst viel Wert auf die soziale Komponente des Fußballs, wie äußert sich diese genau deiner Meinung nach?

© Gibmich-diekirsche.de

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Gruszecki: Der Fußball hat jenseits der Ultra-Bewegung die Kraft, verschiedenste Bevölkerungsgruppen zusammenzubringen und es zu ermöglichen, dass auf der Tribüne der Doktor neben einem 15jährigen Hauptschüler steht und beide ihre Qualitäten einbringen, voneinander lernen und miteinander umgehen. In der Ultra-Bewegung ist das natürlich besonders beeindruckend, da sich dort zeigt, was Menschen schaffen können, wenn man ihnen die Freiheiten gibt. Außer dem Fußball gibt es wohl kein kulturelles Phänomen, was diese Art von gesellschaftlichem Austausch ermöglicht.

 

“Wir nageln alles weg, das ist Wahnsinn”

 

effzeh.com : Fußball spielt in deinem Leben offenbar eine ziemlich wichtige Rolle. Wie viele Minuten am Tag denkst du denn nicht über Fußball nach?

Gruszecki: (Lacht.)Das musst du meine Freundin fragen. Vielleicht ist es zu viel, aber eigentlich genau richtig. Ich denke natürlich an nichts anderes, zwischenzeitlich bleibt dann eben nicht viel, außer, dass ich daran denken muss, das Katzenklo sauberzumachen.

effzeh.com : Kommen wir auf die Situation des BVB zu sprechen. Wie fällt dein Fazit nach sechs Monaten unter Thomas Tuchel aus?

Gruszecki: Viel mehr ist nicht möglich, Tuchel hat den zweitbesten Punkteschnitt aller Zeiten. Wir haben einige Spiele leider nicht gewonnen, aber grundsätzlich nageln wir alles weg, das ist schon Wahnsinn. Normalerweise wirst du mit einer solchen Leistung auch Meister, wir haben aber leider das Pech, dass die Bayern uns da noch einen Schritt voraus sind, wie man beim 1:5 gesehen hat. Wir spielen eine unfassbar gute Saison und werden garantiert kein Meister, das ist schon bitter. International muss sich die Mannschaft schon noch ein wenig steigern, um das große Ziel zu erreichen, 50 Jahre nach dem Gewinn des Europapokals der Pokalsieger auch die Europa League zu gewinnen. Damit hätte der BVB alle wichtigen europäischen Pokale gewonnen und würde in die Riege der ganz, ganz Großen aufsteigen.

effzeh.com : Wie viele Gedanken machst du dir über die wirklich sportlichen Belange? Sprich Taktik und Spielweise der Mannschaft?

© schwatzgelb.de

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Gruszecki: Ich bin da ein absoluter Nerd, ich schaue mir die Spiele noch mehrfach unter taktischer Perspektive an. Ich bin auch auf den einschlägigen Taktik-Blogs aktiv und tausche mich dort aus, das gehört für mich zum Fansein dazu.

 

“Die Qualität im Kader ist enorm”

 

effzeh.com: Wie beurteilst du die Rolle von Adnan Januzaj, der bislang noch kaum in Erscheinung getreten ist?

Gruszecki: Das ist schwer zu sagen. Ich versuche es mal diplomatisch: er hat definitiv noch Luft nach oben. Er muss noch an sich arbeiten, um wirklich ein gestandener Profi werden zu können. Es ist natürlich schade, dass er seine Qualitäten bislang noch nicht hat einbringen können, da er ein wirklich entscheidendes Element in das Spiel des BVB sein könnte. Ähnlich ist es bei Joo-Ho Park. Bei der Beurteilung der beiden muss man einfach sagen, dass sie qualitativ unheimlich gute Spieler vor sich haben und dementsprechend die Bewertung schwieriger ausfällt. Normalerweise würden beide bei fast allen anderen Bundesligisten spielen.

effzeh.com : Es gibt auch noch einen Spieler im Kader des BVB, zu dem die Beziehung der Fans jetzt nicht allzu überragend ist…Ich rede von Ilkay Gündogan.

Gruszecki:  Das ging uns natürlich allen auf den Sack, das Theater hat einfach genervt. Ich verlange da mehr Respekt von einem Spieler gegenüber seinem Verein, da er den Verein lange hingehalten hat. Sportlich ist es natürlich gut, dass er da ist, da er eine extrem gute Saison spielt. Zu Anfang der Saison hat er aber einen Denkzettel bekommen, als er bei der Saisoneröffnung ausgepfiffen wurde. Danach ist das Verhältnis sehr professionell gewesen. Sportlich hat er allerdings geliefert.

effzeh.com : Was muss morgen passieren, damit der effzeh nicht verliert?

Gruszecki: Der Torwart muss in Topform sein und einen Sahnetag erwischen, denn mittlerweile schaffen wir es, selbst gegen tiefstehende Gegner viele Torchancen herauszuspielen. Dortmunder Abschlusspech und ein starker Anthony Modeste, den ich sehr schätze, könnten dem BVB allerdings schon Probleme bereiten. Insgesamt ist der BVB aber schwer zu besiegen und ich sehe einzig auf der Torwartposition Vorteile für den effzeh, da ich Horn stärker einschätze als Bürki.

effzeh.com : Was ist deine Meinung zur Fanfreundschaft zwischen den Desperados und den Boyz?

Gruszecki: Ich persönlich finde das sehr gut, da ich Anfang des Jahrtausends auch selber viel mit dem effzeh mitgefahren bin und dort noch viele Freunde habe. Wir sind dem effzeh immer noch dankbar für den Sieg gegen Leverkusen im Jahr 2011 (Anm. d. Verf.: dadurch wurde der BVB Meister) und ich bin immer wieder gerne in Köln.

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