Ein offener und transparenter Weg, um die eigene finanzielle Lage zum Thema zu machen – beim 1. FC Köln stellte Wehrle mit monatelanger Verspätung in einer Videokonferenz Ende März die Zahlen vor, die trotz vieler Maßnahmen (Kurzarbeit, Gehaltsverzicht, Dauerkartenrückerstattung) besorgniserregend sind. Hier sei an das heute schon legendäre Vereinsstatement als Reaktion auf die öffentlich Schlammschlacht um interne Mails von Mitgliederratschef Stefan Müller-Römer aus dem September erinnert, in dem es hieß: „Ein möglicher Vorwurf, die Geschäftsführung habe eine wie auch immer geartete Mitverantwortung für die finanzielle Lage, entbehrt jeder Grundlage.“
“Ein möglicher Vorwurf, die Geschäftsführung habe eine wie auch immer geartete Mitverantwortung für die finanzielle Lage, entbehrt jeder Grundlage.”
Sachverhalte zielgerichtet an die Adressaten kommunizieren – das wäre eigentlich die Aufgabe einer Direktorin/eines Direktors für Medien und Kommunikation. Doch hier besteht seit Februar eine Vakanz beim FC, nachdem die Interimslösung Jürgen Homeyer nach dem Fiasko um die Auswahl von Fritz Esser von seinen Aufgaben entbunden worden war. Im August hatte sich der FC von Mediendirektor Tobias Kaufmann getrennt, den Wehrle eigentlich gerne behalten hätte. Nun verantwortet Pressesprecherin Lil Zercher diesen Bereich, eine langfristige Lösung zeichnet sich nicht ab. Hier agiert die FC-Vereinsführung abermals unglücklich und ohne die nötige Konsequenz.
Fehlt es dem Vorstand am Bezug zur Basis?
Ähnliches gilt für das Verhältnis des Vereins mit seinen hunderttausenden Fans und Mitgliedern. Diese Gruppe ist zwar sehr heterogen, Gespräche mit führenden Köpfen aus der aktiven Szene zeigen aber: Eine wirkliche Arbeitsebene besteht nicht, die seit Jahren existierenden Gräben haben sich in den zurückliegenden Jahren sogar noch vergrößert – zwischen Verein und Geschäftsführung, aber auch zwischen Verein und Ultras, Ultras und „Normalos“, eigentlich in jede erdenkliche Richtung.
Mitglieder und Fans, die dem vorherigen Vorstand um Werner Spinner, Markus Ritterbach und Toni Schumacher kritisch gegenüber eingestellt waren, freuten sich über den Amtsantritt von Wolf und Co. im Jahr 2019. Mittlerweile haben sich frühere Unterstützer aber längst enttäuscht abgewandt von den Führungsfiguren am Geißbockheim. Dem Vorstand fehle es am Bezug zur Basis, heißt es zum Beispiel von Seiten der aktiven Fanszene, der Vorstand wisse gar nicht, was die Leute in der Kurve bewegt.
Ideen wie der virtuelle Mitgliederstammtisch oder auch die AG Fandialog seien zwar richtig, das Agieren des Vorstands in solchen Veranstaltungen scheint aber relativ frei von Empathie zu sein. Eine Diskussion über wichtige Themenkomplexe, die zum Beispiel die Initiative „Unser Fußball“ immer wieder in die Öffentlichkeit bringt, hat bisher auf diesen Plattformen nicht stattgefunden. Ähnliches gilt für die zukunftsweisende Frage, ob und wie lange der 1. FC Köln weiterhin ein mitgliedergeführter Verein sein möchte, in dem Anhänger*innen ein Mitspracherecht haben und demokratische Werte gelebt werden.
Frankfurt und Dortmund zeigen, dass es anders geht
Dass es eben auch anders geht, zeigen große Traditionsvereine wie Borussia Dortmund oder Eintracht Frankfurt. Beim BVB ist ein ehemaliger Ultra Berater der Geschäftsführung, der Austausch auf diese Weise in gewisser Form institutionalisiert. Bei Eintracht Frankfurt ist seit Jahren Peter Fischer Präsident, ein streitbarer Mann, der aber keinen Hehl daraus macht, dass er das wahre Herz des Vereins in der Kurve sieht. Ein schlechtes Verhältnis zur eigenen aktiven Fanszene zu haben ist dementsprechend nicht gottgegeben, auch dagegen können Verein und Geschäftsführung etwas unternehmen – wenn sie es denn wollen.
— Südkurve 1. FC Köln e.V. (@SuedkurveKoeln) March 30, 2021
Geschäftsführer Wehrle hatte gegen Saisonende immerhin versucht, für das Heimspiel gegen Schalke und das Relegationsspiel gegen Kiel zumindest einen kleinen Teil von Fans ins Müngersdorfer Stadion zu bekommen. Inzidenz und Maßnahmen zum Infektionsschutz gaben es nicht her, was nachvollziehbar war. Dass der Verein sich aber bis dato immer noch nicht zum aus Sicht vieler Fans überzogenen Polizeieinsatz auf der Jahnwiese beim Spiel gegen Schalke geäußert hat, stößt vielen immer noch sauer auf. Die Beziehung zwischen der Abteilung Fanbetreuung um Rainer Mendel und der aktiven Szene ist schon seit längerem nicht mehr zu reparieren, weswegen es eigentlich hier auch einer Veränderung bedürfte. Ende März forderte die Südkurve Köln in einem Statement genau das, passiert ist bisher herzlich wenig.
Vorstand setzt weiterhin auf Wehrle
Veränderungen wurden von vielen auch auf der Ebene der Geschäftsführung gefordert, weswegen die Trennung von Sportgeschäftsführer Heldt direkt nach dem Klassenerhalt überfällig erschien. Sein Kollege Wehrle soll dem Vernehmen nach zwischendurch mit einem Engagement beim VfB Stuttgart oder der DFL geliebäugelt haben. Werner Wolf schob den Avancen der Schwaben Mitte Mai allerdings einen Riegel vor, der FC-Präsident hofft laut Kölner Stadt-Anzeiger darauf, dass Wehrle seinen Vertrag bis 2023 erfüllt. Offenbar soll Wehrle den FC aus der misslichen Lage, in die er ihn selbst (auch ohne Corona) gebracht hat, auch wieder herausführen.
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