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Meinung

Geisterspiele beim Re-Start der Bundesliga: Wenn nicht jetzt, wandern!

Der Re-Start der Bundesliga, er begeistert trotz toller Quoten längst nicht alle Fans. Wie erleben das Anhänger, die nach Jahren beim 1. FC Köln nun nicht mehr schauen? Ein Gastbeitrag.

COLOGNE, GERMANY - MAY 17: A protest banner against the restart of the Bundesliga seen near the RheinEnergieStadion on May 17, 2020 in Cologne, Germany. The Bundesliga and Second Bundesliga is the first professional league to resume the season after the nationwide lockdown due to the ongoing Coronavirus (COVID-19) pandemic. All matches until the end of the season will be played behind closed doors. (Photo by Lukas Schulze/Getty Images)
Foto: Lukas Schulze/Getty Images

Wie war er denn so für Euch, der erste Geister-Spilldaach? Wir gehen mal davon aus, dass es niemanden so richtig Spaß gemacht hat. Doch wie jeder einzelne mit der Lage umgeht, ist sicher unterschiedlich. Für manche mag das von allen Beteiligten gerne verbreitete „Endlich wieder Bundesliga“ gelten, für andere der Gegenpol „Schnauze voll“. Wir haben Maik Thesing um seine subjektive Sicht gebeten. Seine Tendenz: Kalter Entzug ist angesagt.

Ich bin einer von 62 Prozent. Einer von denen, die es für falsch halten, dass der Profifußball als einziger die Sonderrolle bekommt, vor dem 31. August Veranstaltungen durchführen zu dürfen. Warum, das soll jetzt mal egal sein, denn die Gründe sind vielfach genannt. Ich vermute nur, die Zahl wäre noch höher, würde man allein die Stadiongänger:innen befragen, also diejenigen, denen das Erlebnis genommen wird, das oft den ganzen Samstag ausmacht. Die sind es schließlich, die jetzt etwas mehr improvisieren müssen. Was tun, wenn das Bahnfahren, das in der Kneipe treffen, gemeinsames ins Stadion gehen und um 17.23 Uhr die Welle machen wegfällt?

All diese Menschen mussten sich vergangenen Sonntag irgendwie neu organisieren und haben sich das alle gut überlegt. Private Coronaparty zu acht auf der Couch? Auf keinen Fall! Sky buchen? Damit macht man die Abhängigkeit des Profifußballs vom Fernsehen ja noch größer. Das ist ja wie Feuer mit Benzin löschen – nee, geht auch nicht. Und für die ersten Spiele irgendwo bei Sendeplatz 427 die zweimal frei übertragenen Spiele suchen…

Siegburg statt Stadion, Sonne statt Sofa

Spätestens hier war mir persönlich klar, wohin es für mich am Sonntag ging: Siegburg-Seligenthal. Nicht etwa, um mit dem berühmtesten Bewohner Wolfgang Overath gemeinsam zu schmollen, sondern zur Talsperre. Einmal rum, 24 Kilometer, 700 Höhenmeter, den Toralarm extra ausgestellt – kalter, quälender Entzug, aber Sonne statt Sofa. Das Ergebnis gab es auf der Rückfahrt im Radio.

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Das mögen jetzt einige als nicht loyal empfinden. Von mir aus gerne. Beurteilt das aber vor dem Hintergrund, dass der Fußball gerade nur noch für das Fernsehen produziert. Wir Stadionbesucher sind ins zweite Glied gestellt. Auf uns wartet man nicht, bis alle wieder dabei sein können, obwohl man uns jahrelang das Credo „met Dir durch et Füer“ abgerungen hat. „Ävver mir net met Dir“, muss die Antwort wohl lauten und man hört das Geißbockheim fast sprechen. „Und wo wir gerade dabei sind: Wir hätten gerne Eure Eintrittsgelder als Spende und Eure Trikots für die fernsehgerechte Kulisse.“ Nee, Leute. Echt nicht. Sorry. Meine Kontonummer habt ihr ja.

Das Verhältnis Fan/Verein wird ja oft mit zwischenmenschlichen Beziehungen verglichen. Meist ist das abgedroschen, aber lassen wir das Gedankenspiel einmal zu: Wenn der Partner, mit dem Du zwischen Aachen bis Zwickau, Cork und Varna tolle Sachen erlebt hast, nach 27 Dauerkartenjahren lieber auf einer anderen Party tanzt und dort die Kohle einsammelt, für Dich aber „Abstand halten“ gilt, ist es Zeit für getrennte Schlafzimmer.

Einige werden nicht zurückkommen

Muss man denn auch immer an der Seite des Fußballs bleiben, wenn das Grundübel – die hauptsächliche Verteilung der meisten Einnahmen auf nur 30 Konten pro Verein – nicht angefasst wird, wenn die Umverteilung im System nicht funktioniert? 20% Gehaltsverzicht von April bis Juni, also 5% im Jahresgehalt, sind zwar eine Geste, aber nicht mehr. Die Branche verteilt auch im Krisen-Mai wieder ein paar Hundert Gehälter in der Größenordnung eines Vorstands eines Dax30-Konzerns, die ja sonst die erste Adresse sind, wenn Gehaltsungerechtigkeiten angeprangert werden. Solange dieser „Puffer“, den es in keiner anderen Corona-geschädigten Branche gibt, eine heilige Kuh ist, wird sich kaum was ändern können.

„Der Fußball muss sterben, damit der Fußball leben kann“

…ist ein Satz, der in der Chatgruppe mit meinen Leuten kursiert. Klingt schon hart nach Che Guevara und bewaffneter Revolution, aber es hat halt diesen Kern Wahrheit. Wenn ich mich so umhöre, vernimmt man mal mehr, mal weniger deutlich den Wunsch, dass radikales Gesundschrumpfen angesagt ist, weil es sonst mit der Nachhaltigkeit nie klappt. Und es sind viele, bei denen die Waage zwischen den eigenen Prinzipien und Vereinsliebe gerade kippt. Manche werden auch nicht zurückkommen. Ob der Schaden dadurch vielleicht sogar größer ist als ein Ausbleiben der letzten Rate der Fernsehgelder? Man weiß es nicht.

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Gibt es so etwas wie einen massenhaften Liebesentzug im Fußball überhaupt? Das beste Beispiel bildet die so genannte #DieMannschaft: Man nervt die Fans so lange mit hohen Ticketpreisen, dem Coca-Cola-Klub und kuriosen Marketing, bis erst die Stadien leer bleiben und sich dann die Sponsoren reihenweise durch die Tür machen – obwohl es in den letzten 14 Jahren sportlich ziemlich gut lief. Ist das im Vereinsfußball denkbar? Vermutliche, aber man ahnt schon: Es ist ein langer Weg bis tatsächlich eine emotionale Distanz da ist.

In Sachen Fußball & Kommerz Risikogruppe Vorerkrankung

Dass das Business krank ist, wussten wir alle vorher. Nur jetzt bekommt es so schön kompakt auf den Tablett serviert, was man scheibchenweise immer noch geschluckt hat. Jahrelang habe ich mir Gedanken gemacht, was bei mir den Bruch mit dem Fußball herbeiführen könnte – und jahrelang dachte ich, es sei der Teil-Verkauf des FCs, denn nicht „50 plus 1“ sondern „100 minus 0“ ist für mich die einzig akzeptable Formel – ich könnte auch nicht Fan eines 20-prozentigen Werksvereins sein. Vermutlich waren wir zum Zeitpunkt der China-Reisen von Spinner und Wehrle schon ziemlich nah dran, ävver et hätt noch immer joot jejange. Und dann kommt dieser dämliche Virus und zeigt, wo die Abkürzung ist.

Foto: privat

Okay, er hatte es einfach, denn bei dem Thema bin ich „Risikogruppe Vorerkrankung“. Wer den dezent dreckigen Fußball in den 80ern und 90ern erlebt hat, hat an den klinisch-durchgestylten Events von heute ohnehin weniger Spaß. Vor drei Jahren bin ich mal gefragt worden, warum ich noch hingehe, wenn ich doch über alles motzen würde? „Ähm, ja, also, hmm, ich geh dahin… weil ich da immer hingehe.“ Keine schlüssige Antwort, nicht wahr? Aber ich habe auch keine besseren Gründe mehr. Letztendlich war auf dem gemeinsamen Weg irgendwann die Phase der Empörung vorbei, ich will ja nicht als Fußball-Wutbürger enden. Sarkasmus und Galgenhumor waren zuletzt die Grundhaltung. Anders kann man so was wie die E-„Sport“-Liga auch nicht ertragen.

Den FC von der Festplatte löschen? Nicht möglich!

Ob es ein Zurück gibt? Keine Ahnung. War also das Spiel gegen Schalke, 40 Jahre, vier Monate und neun Tage nach meinem ersten Mal im Müngersdorfer, das letzte Mal? Wenn ich jetzt entscheiden müsste: Ja, denn es ist mir fast alles, was gerade passiert, zuwider. Und wenn es in ein paar Monaten wieder richtigen Fußball gibt? Weiß nicht. Hängt davon ab, wie sich die Lage sortiert, ob der Fußball sich nicht nur reumütig gibt, sondern auch was ändert, oder wie wichtig mir dann das Randgeschehen ist.

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Denn, ehrlich gesagt, das Quatschen mit 20 Leute, das Begrüßen von 50 anderen und die Freude, dass 300 weitere, die man mehr oder weniger kennt, auch wieder beim Spiel sind, ist nicht erst seit gestern die Hauptsache. Den FC völlig von der Festplatte zu löschen, ist nicht möglich. Man kann nicht mehr nicht über was nachdenken, das täglich da war. Aber ich gehe ohnehin gerne zu den Handballdamen in den Bunker Raderthal. Und tatsächlich kann ich jedem Amateurkick viel abgewinnen – aus zwei Metern Entfernung ist das Spiel mindestens so dynamisch wie Bundesliga aus 20 Metern durch ein Netz – und habe auch einen Amateur-Verein als zweite Heimat.

Wie lange der Fußball also ohne uns weitermacht, wissen wir alle noch nicht. Es ist ihm auch ziemlich wurscht, was ich, der angenervte Typ aus S1, mit meinen paar Auswärtsspielen im Jahr eine Neben-Neben-Figur der Fanszene, denkt. Ich und alle anderen warten dann mal (mit Hoffen oder Bangen) darauf, dass die Blase platzt. Nun hat sie etwas Schonfrist bekommen und dehnt sich noch weiter aus. Die Frage ist nur, ob ich mir das Platzen aus der Nähe oder aus sicherer Entfernung anschauen möchte.

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