Das alles miteinberechnet: Den Spielern an diesem Samstag einen Vorwurf zu machen, fällt schwer. Gegen die betont konservativ agierenden Berliner zeigten die „Geißböcke“ im Grunde die Mängel, die die Mannschaft schon über weite Strecken der jüngeren Vergangenheit gezeigt hat. Es fehlt nicht an Willen, es fehlt nicht an Charakter, es fehlt leider an der entscheidenden Qualität. Wer in solchen Partie mit einer Offensivreihe aufläuft (oder auflaufen muss), der es dermaßen offensichtlich an Tempo fehlt, um gefährliche Situationen initiieren zu können, kann so viel wollen, wie er will. Wer darauf hoffen muss, dass ein knie-malader Sebastian Andersson sich in vorderster Front mehr als eine Stunde gegen den physisch starken Abwehrverbund der Berliner aufreiben kann, ohne einen einzigen Mittelstürmer als Ersatz auf der Bank zu haben, der muss vielleicht sogar mit einem Punkt gegen eine auf dem Zahnfleisch gehenden Hertha zufrieden sein.
Dass es der Mannschaft enorm schwerfällt, gegen konzentriert verteidigende Gegner Chancen herauszuspielen: Keine Neuigkeit. Dass es sowohl im Spielaufbau als auch im letzten Drittel an brauchbaren Optionen mangelt: Nichts Neues. Dass neben der Situation im Sturm auch dem Rest des Teams abseits der Standards die Torgefahr abgeht: Oft genug gesehen. So mag der Vorwurf des fehlenden Willens zwar der naheliegende zu sein, am Ende zielt er aber genauso daneben wie die Taktik des 1. FC Köln im Olympiastadion. „Hertha hat man die vergangenen Spiele angemerkt, sie haben sich viel zurückgezogen und uns den Ball überlassen. Es war schwer, die Lücken zu finden und auch schwer, die Mitte zu finden zwischen Risiko und Absicherung. Man hat gesehen, dass Hertha im Umschalten immer wieder gefährlich werden kann“, gab FC-Keeper Horn einen Einblick in die Gedankenspiele bei den „Geißböcken“ und zog deshalb ein halbwegs zufriedenes Fazit: „Zum Glück haben wir die Null gehalten und den Punkt mitgenommen.“
Balance weiter gesucht
Die Mitte finden zwischen Risiko und Absicherung: Es ist ein Thema, das den 1. FC Köln in dieser Saison schon öfters begleiten. Die Balance zwischen genug Durchschlagskraft für die Offensive, ohne die eigene Abwehrreihe zu entblößen: Die „Geißböcke“ haben sie bislang nicht gefunden und werden das vermutlich in den 90 bis 270 Minuten, die noch anstehen, auch nicht mehr tun. Wie schwierig diese Gratwanderung allerdings auch ist, das zeigte sogar die ansonsten ziemlich ereignislose Partie im Berliner Olympiastadion. Hertha BSC machte nicht viele Anstalten, offensiv gefährlich zu werden – aber wenn, dann gelang es der „Alten Dame“ durch Vorstöße über ihre dynamischen Außen wie Mathew Leckie, Nemanja Radonjic oder Jessic Ngankam, der unter der Woche auf Schalke noch für den enorm wichtigen Sieg der Hauptstädter gesorgt hatte.
“Ich wusste die Ergebnisse von den anderen Plätzen und konnte das richtig einschätzen. Der FC hat in dieser Saison viele Punkte hinten heraus verschenkt.”
Wie viel Respekt der FC gerade vor diesen Akteuren hatte, zeigte die Aufstellung, zeigte die taktische Ausrichtung, zeigte die Spielweise über die gesamte Begegnung. Es war praktisch in jeder Sekunde anzumerken, was Funkel auch nach der Partie bestätigte: Die berechtigte Sorge vor einer Niederlage war (zu?) groß, die Lust auf Erreichen einer besseren Ausgangslage zwar vorhanden, aber nicht dominant. „Ich glaube, dass das ein ganz wichtiger Punkt für uns war. Ich wusste die Ergebnisse von den anderen Plätzen und konnte das richtig einschätzen. Der FC hat in dieser Saison viele Punkte hinten heraus verschenkt“, rechtfertigte der FC-Trainer nach dem Abpfiff das fehlende Risiko in der Schlussphase. Durch den Zähler in der Hauptstadt haben die Kölner im Abstiegskampf eine Option hinzugewonnen: Sie könnten mit einem Sieg gegen Schalke Arminia Bielefeld auch dann überholen, wenn die Ostwestfalen in Stuttgart Unentschieden spielen.
Es braucht gegen Schalke mehr Mut
Die Situation ist jedenfalls nach dem torlosen Remis in Berlin klar: Der 1. FC Köln muss am kommenden Wochenende gewinnen, um eine Chance auf den Klassenerhalt zu haben. Dass Schalke kein Freilos mehr darstellt, das dürfte die Leistung der „Königsblauen“ gegen Frankfurt gezeigt haben. Dennoch: Können die „Geißböcke“ am 34. Spieltag keinen Sieg gegen ein sang- und klanglos abgestiegenes S04 einfahren, dann haben sie auch nichts in der Bundesliga zu suchen. Dafür muss allerdings mehr Mut auf den Platz gebracht werden, als das bei Hertha BSC der Fall war. Angst essen Seele auf? Diese Option darf es im Vergleich zum 33. Spieltag für den FC am kommenden Samstag nicht geben, soll letztlich der Verbleib in der höchsten deutschen Spielklasse zu Buche stehen. „Wir müssen bis zum Ende kämpfen“, sagt FC-Keeper Timo Horn: „Wir werden alles aus uns herausholen und hoffentlich die drei Punkte holen. Und ein bisschen Schützenhilfe wäre natürlich auch super.“
Am abschließenden Spieltag werden die Kölner Anhänger*innen also nicht nur auf das Spiel im Müngersdorfer Stadion schauen müssen, denn ein Sieg in der Partie gegen Schalke, die auch angesichts der nervlichen Anspannung für alle Beteiligten bei weitem kein Spaziergang werden dürfte, reicht den “Geißböcken” nicht aus. Die angesprochene Schützenhilfe, sie muss am kommenden Wochenende aus Stuttgart (im Heimspiel gegen Bielefeld) und ausgerechnet vom rheinischen Rivalen aus Mönchengladbach, die auswärts in Bremen antreten, kommen. Zum Glück für den FC geht es sowohl für die Schwaben als für die Borussia vom Niederrhein selbst noch um etwas, beide Teams kämpfen noch um das Erreichen der Europa Conference League. Dennoch: In der eigenen Hand hat es der 1. FC Köln im Abstiegskampf nicht mehr – und hätte, falls eine Last-Minute-Rettung nicht funktionieren sollte, einen Abstieg sich ganz allein selbst zuzuschreiben.