Auf dem Weg nach vorne setzt Beierlorzer weniger auf ein starres System. Er gibt den Akteuren entsprechende Freiheiten, lässt den zweiten Angreifer neben Modeste und den Flügelspielern Raum zum Rochieren. So entsteht aus einer Grundordnung mit zwei Stürmern immer wieder ein 4-3-3 mit einem der beiden Außenbahnspielern in vorderster Front, während der andere sich etwas zurückzieht und mittiger postiert.
Im Normalfall orientiert sich der offensivere Flügelstürmer dann zu Anthony Modeste und agiert als zweiter Stürmer, während dann zumeist der zweite Angreifer den Raum zwischen Abwehr und Mittelfeld der Gegner zu besetzen sucht. Es wäre einfach, den effzeh als ein Team zu brandmarken, das lediglich lange Bälle schlägt, doch gerade dieses Offensivverhalten beweist Beierlorzer Mut zur Attacke. Er ermutigt seine Außenverteidiger, hoch zu stehen und früh zu stören. Das soll gerade bei einer offensiven Dreierreihe, die Richtung Mitte tendiert, die notwendige Breite ins Kölner Spiel bringen. So kann der effzeh mit fünf bis sieben Spielern angreifen – durchaus eine mutige Herangehensweise.
Ein Blick auf die FC-Defensive
Bereits sechs Gegentreffer musste der 1. FC Köln in den drei Partien hinnehmen. Etwas unglücklich, wie ein Blick auf die xGA-Daten zeigt: Mit einem Wert von 2,72 liegen die „Geißböcke“ bei den Expected Goals Against deutlich unter der eigentlichen Zahl der Gegentore, nur Bayern und Wolfsburg stehen in Sachen xGA nach drei Spieltagen noch besser da. Das liegt vor allem daran, dass der effzeh die Lufthoheit im eigenen Strafraum sein Eigen nennen kann: Bornauw als auch Rafael Czichos sind unter zehn besten Spielern, was die Quote der gewonnen Kopfballduelle im Sechzehner anbetrifft – Hector liegt knapp dahinter auf Rang elf.
Darüber hinaus will Beierlorzer sein Team den Gegner früh unter Druck setzen sehen: Gegen Freiburg und Wolfsburg ließen sie nur 6,3 beziehungsweise 5,86 Pässe pro Defensivaktion zu. Nur im Heimspiel gegen den BVB veränderte er die Herangehensweise, der spielstarke Titelkandidat brachte es auf 16,12 Pässe pro Kölner Defensivaktion. Gegen das passsichere Aufbauspiel der Dortmunder um Weltmeister Mats Hummels sollten die „Geißböcke“ nicht zu hoch pressen, um den pfeilschnellen Außenstürmern Jadon Sancho und Thorgan Hazard nicht zu viel Raum zu geben.
I broke down Achim Beierlorzer's tactics at @fckoeln which include:
⚽ Long passing
⚽ Crossing
⚽ Use of a target man
⚽ Various attacking and defensive shapes
⚽ Set-pieces and goal-kicksPlease have a read! https://t.co/BgJqGyp2g8
— David Seymour (@DavidSeymour_) September 10, 2019
Lässt man diese Partie außen vor und würde nur die Begegnungen in Freiburg und in Wolfsburg in Betracht ziehen, wäre der effzeh das zweitaggressivste Pressingteam der gesamten Bundesliga. Das zeigt sich auch in der taktischen Ausrichtung der Beierlorzer-Schützlinge: Beide Stürmer und die Flügelspieler sollen bereits früh den Spielaufbau des Gegners stören und dessen Defensive unter Druck setzen. Während der vordere Angreifer hierbei ballorientiert presst, konzentrieren sich die drei weiteren Spieler zuvorderst darauf, die entsprechenden Räume zuzustellen.
Anspruchsvolle Rollen auf außen
Beierlorzer ermutigt seine Flügelspieler geradezu, in diesem frühem Stadium bereits mit dem Anlaufen zu starten, aber sich bei gegnerischem Ballbesitz in anderen Bereichen des Platzes zurückfallen zu lassen. Gerade in der eigenen Hälfte sollen so zwei dicht gestaffelte Viererkette das eigene Tor verteidigen. Während sich die Abwehrreihe dabei eng zusammenzieht und diese Ausrichtung auch bei langen Bällen hinter die Ketten nicht verändert, sorgen die Flügelspieler im Mittelfeld für die entsprechende Breite im Defensivverhalten.
Das Spielsystem verlangt viel von den Außenpositionen – und sie sind enorm wichtig für die Mannschaft, ob im laufintensiven Pressing oder in der eigentlichen Abwehrarbeit. Grundsätzlich sind sie nicht nur in den verschiedenden Phasen des Defensivverhaltens enorm wichtig, sondern auch im Umschaltspiel nach eigenem Ballgewinn. Dann sollen die Flügelspieler möglichst schnell die beiden Stürmer unterstützen und in die Tiefe des Raumes durchstarten. Diese überfallartigen Angriffe einzuleiten und zu begleiten: Eine äußerst anspruchsvolle Aufgabe für die beiden Flügelspieler beim 1. FC Köln.
Der wichtige zweite Pfosten bei Ecken
Nach drei Spieltagen ist es gerade bei den Freistößen noch zu früh, einen wie auch immer gearteten Variantenreichtum im Spiel der „Geißböcke“ zu erkennen. Doch besonders bei Eckbällen lassen sich in den vergangenen beiden Partien bereits Muster erkennen: Vor den Eckstößen der Kölner sollten die Gegner gewarnt sein, 26,4 Prozent aller Versuche endete mit einem Torabschluss. Bis auf eine Ausnahme zeichnete Birger Verstraete gegen Dortmund und in Freiburg für die Kölner Ecken verantwortlich. Zumeist versucht er den Ball Richtung Fünfmeterraum zu bringen – wie der effzeh diese Hereingabe attackiert, wechselt von Ausführung zu Ausführung.
Der Schwerpunkt der Beierlorzer-Schützlinge liegt hierbei darauf, möglichst viele Spieler in die Zone rund um den Fünfmeterraum zu bringen – egal, ob einlaufend oder bereits dort platziert. Eine Konstante allerdings in den verschiedensten Variationen der Standards ist ein Spieler am zweiten Pfosten, der zur Stelle sein soll, wenn der Ball bis dort durchrutscht oder gar dorthin verlängert wird. Erfolgreiches Paradebeispiel für diese Strategie ist der Führungstreffer gegen Borussia Dortmund: Skhiri verlängert Verstraetes Eckball, am zweiten Pfosten nickt Drexler zum 1:0 ein.
Bei diesem Treffer zeigte sich auch darüber hinaus die von Beierlorzer bevorzugte Herangehensweise an einen Eckball: Vier Spieler beanspruchen am Fünfmeterraum in Nähe des ersten Pfostens die Aufmerksamkeit der gegnerischen Defensive inklusive des Torwarts, während am zweiten Pfosten ein Angreifer auf die Hereingabe lauert. Von der Strafraumgrenze kommt noch ein weiterer Spieler hinzu, der mit einem Lauf zum ersten Pfosten für weitere Verwirrung sorgt. Nutznießer ist dann weiter hinter der freistehende Angreifer am zweiten Pfosten.
Variationen und Konstanten beim Abstoß
Beim Abstoß zeigt sich derweil ein anderes, interessantes Muster: Wie Timo Horn das Spiel initiiert, hängt sehr von der Spielausrichtung des Gegners ab. In Freiburg, als der Gegner wenig Wert auf hohes Pressing legte, wurden alle neun Abschläge lang geschlagen. Gegen den pressenden BVB allerdings wurde jeder Abstoß kurz ausgeführt. Beierlorzer wollte so den Gegner locken, um dann mit langen Bällen die hochstehende Abwehrreihe zu überspielen.
Eine gleichbleibende Ausrichtung ist jedoch bei jedem Abstoß zu verzeichnen: Die beiden Innenverteidiger stehen in weitem Abstand im eigenen Strafraum, während sich Jonas Hector fast an der Seitenlinie der linken Außenbahn als Passoption anbietet. Rechtsverteidiger Kingsley Ehizibue dagegen rückt nach innen ein. Den sich so bietenden Raum im Zentrum nutzt einer der beiden Sechser (für gewöhnlich Verstraete), um sich für den Spielaufbau anzubieten.
Fazit
Vor dem 1. FC Köln und Achim Beierlorzer liegt noch viel Arbeit, soll das Saisonziel Klassenerhalt erfüllt werden. Der neue Trainer hat ein Team vorgefunden, das in der vergangenen Spielzeit als Zweitliga-Meister souverän mit sechs Punkten Vorsprung aufgestiegen ist. Dennoch veränderte Beierlorzer das Spielsystem in einigen Bereichen radikal – vielleicht unter dem Eindruck, dass es die Mannschaft in der Bundesliga mit dem Ballbesitzfußball aus dem Vorjahr sehr schwer haben würde.
Es wird interessant zu sehen sein, wie sich die „Geißböcke“ in den kommenden Monaten entwickeln werden und ob das Team bei dieser Philosophie bleibt. Der effzeh besitzt unbestreitbar einige Stärken, auf die Beierlorzer auch bewusst setzt. Allerdings sind auch unübersehbare Schwächen vorhanden, die die Kölner angehen müssen, um auch in der kommenden Saison erstklassig zu sein.
Im englischen Original von David Seymour für totalfootballanalysis.com