Über die vergangenen Tage ließ es sich ein wenig durchatmen in diesen stressigen Zeiten, die für den 1. FC Köln sogar bald noch etwas stressiger werden könnten. Nach dem 2:2 gegen Borussia Dortmund hatte der FC ein spielfreies Wochenende und entsandte einige Nationalspieler auf Reisen mit ihren jeweiligen Nationalmannschaften. Die Begleitumstände der nach wie vor herrschenden Pandemie machen das Leben auch für Fußballprofis nicht leichter, von Fans ganz zu schweigen: Bereits seit mehr als einem Jahr sind die FC-Anhänger dazu gezwungen, die Spiele ihrer Mannschaft am Fernseher zu verfolgen, auch Trainingseinheiten am Geißbockheim finden momentan unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Die Verbindung zum 1. FC Köln ist also zu einer rein digitalen geworden – und wie wir alle nach Monaten der Pandemie wissen, kann das Digitale zwar helfen, die unmittelbare Begegnung aber nicht ersetzen. Das macht die kommenden Wochen und Monate noch spannender.
Authentische Emotionen wie die Freude über den zwischenzeitlichen 2:1-Führungstreffer gegen den BVB, aber auch der Ärger über das Last-Minute-Ausgleichstor der Borussen verlieren in diesen Zeiten an Intensität – und niemand weiß, was nach einer insgesamt doch eher unterdurchschnittlichen Bundesliga-Saison mit bis dato mageren Ergebnissen in Köln-Müngersdorf los wäre, wenn Publikum ins Stadion dürfte. So aber kann der 1. FC Köln seine Arbeit weiterführen – immer noch unter den Augen der Öffentlichkeit, aber nicht mit dem unmittelbaren Feedback der Fans und Mitglieder. Zumindest noch.
Sportlich: Mit Gisdol zum Klassenerhalt?
Die Entscheidung der Verantwortlichen, Markus Gisdol auch für die restlichen acht Saisonspiele das Vertrauen zu schenken, stieß zum Beispiel nicht überall auf Gegenliebe, um es mal vorsichtig zu formulieren. Die Faktenlage zu den sportlichen Leistungen der Mannschaft ist seit längerem bekannt: Der FC oszilliert am Rande der Abstiegszone, Gisdol weist mit einem Punkteschnitt von 1,12 seit November 2019 keine wirklich brillante Bilanz auf und war bisher nicht in der Lage, ein langfristig erfolgversprechendes spielerisches Konzept zu vermitteln. Doch Geschäftsführung und Vorstand scheinen von ihrem Weg überzeugt, der Klassenerhalt ist für sie trotz oder wegen der gegebenen Umständen möglich. Ob sie damit Recht behalten werden, zeigen die nächsten acht Spiele – spätestens Ende Mai wird auch die Relegation abgeschlossen sein und der FC wird wissen, in welcher Liga er ab Sommer spielen darf.
Die derzeitige Ungewissheit macht die Planungen für die kommende Spielzeit aber nicht einfacher. Auch unter Pandemie-Bedingungen nehmen die Kader der nächsten Saison im Frühjahr Konturen an, erste Vorgespräche werden geführt, erste Kandidaten gesichtet. Dass der FC für den Moment an Markus Gisdol festhält, liefert dabei nur kurzfristige Planungssicherheit – Horst Heldt hatte es bisher vermieden, dem Fußballlehrer auch eine Arbeitsgarantie über den Sommer hinaus zu versprechen. Natürlich läuft Gisdols Vertrag noch bis 2023, aber langfristige sportliche Planungen, gerade in Bezug auf den Kader und die fußballerische Herangehensweise, sind so definitiv sehr schwierig. Der FC braucht Verstärkungen im Sommer, wenn er in der Bundesliga bleibt. Der FC braucht dann auch einen Trainer, mit dem das dritte Bundesligajahr in Folge angegangen werden soll. Bisher gibt es aber weder für das eine noch für das andere Klarheit.
Kaderplanung: Bekommt der 1. FC Köln Verstärkungen?
Was allerdings klar ist: Im Sommer wird es zu einiger Bewegung im Kader kommen. Die Leihspieler Marius Wolf und Elvis Rexhbecaj, die in dieser Saison zu den Stammkräften zählen, werden den FC mit ziemlicher Sicherheit verlassen. Emmanuel Dennis wird nach Belgien zurückkehren, Ron-Robert Zieler wird wohl ebenfalls gehen. Salih Özcans Zukunft ist Stand heute noch nicht klar, sein Vertrag läuft aus. Daneben gibt es nach Saisonende auch jede Menge Rückkehrer zu verzeichnen: Anthony Modeste, Kingsley Schindler, Tomas Ostrak, Louis Schaub, Marcel Risse, Niklas Hauptmann, Vincent Koziello und Lasse Sobiech besitzen alle ein mindestens noch ein Jahr gültiges Arbeitspapier beim 1. FC Köln und werden im Sommer wieder am Geißbockheim aufschlagen – auch wenn der Großteil von ihnen keine sportliche Zukunft dort haben wird. Bezahlt werden sie vom FC trotzdem.
Der Verein wird sich also gleichzeitig verstärken, aber auch den Kader reduzieren müssen. Als wäre diese Aufgabe nicht schon schwer genug, kommt die Corona-Pandemie als weiterer Einflussfaktor noch zusätzlich mit ins Spiel. Experten gehen davon aus, dass viele Vereine Spieler aus der zweiten Reihe abgeben werden, um die Gehaltszahlungen zu verringern. Im Best-Case-Szenario könnten auf diese Weise einige Spieler für den FC verfügbar werden, die sonst nicht im Beuteschema lägen. Das größere Problem daran aber ist ein anderes: Der 1. FC Köln wird im Sommer zwingend Transfereinnahmen erzielen müssen, um wirtschaftlich handlungsfähig zu bleiben. Nachdem der Verein in den Transfersommern 2018, 2019 und 2020 immer einen riskanten Vorgriff auf die jeweilige kommende Spielzeit getätigt hatte, dürften die Ausgaben im Sommer nicht ganz so hoch ausfallen. Der FC muss sich einem Sparkurs unterziehen, aber gleichzeitig a) eine Mannschaft zusammenstellen, die sich in der Bundesliga halten kann oder b) eine Mannschaft zusammenstellen, die in die Bundesliga aufsteigen kann. Keine leichten Voraussetzungen.
Finanzen: Mehr als 60 Millionen fehlen dem FC
Denn wie es um die finanzielle Lage des FC bestellt ist, erfuhr die Öffentlichkeit an diesem Mittwoch: Dort stellte Geschäftsführer Alexander Wehrle mit reichlich Verspätung die Bilanz der Saison 2019/2020 vor. Vor der Pandemie fehlten schon 15 Millionen Euro, die Einnahmeausfälle danach machten es nicht besser. Insgesamt beläuft sich der Verlust auf 23,8 Millionen Euro. Die finanziellen Wagnisse aus dem Sommer 2019 (insbesondere die Verpflichtungen von Ellyes Skhiri und Sebastiaan Bornauw) verschärften sich durch die Verluste, die das Coronavirus zu verantworten hat. Und damit nicht genug: Für die aktuell laufende Saison 2020/2021 wird seitens des FC mit Einnahmeausfällen jenseits der 40 Millionen Euro zu rechnen sein. Das Eigenkapital des Vereins ist fast weg, mit Krediten, Landesbürgschaften und Genussscheinen möchte Wehrle die finanzielle Sicherheit gewährleisten. Finanziell steht es also auch schlecht um den FC.
Die nächsten Wochen werden aber nicht nur aus sportlicher und finanzieller Sicht interessant. Mitte Juni steht die Mitgliederversammlung auf dem Programm, die von vielen Mitgliedern sehnsüchtig erwartet wird. Dann wird sich die Möglichkeit bieten, über die dann fast zwei Jahre des Vorstandsteams um Werner Wolf und Eckhard Sauren zu diskutieren – und den designierten zweiten Vizepräsidenten Carsten Wettich fest in den Vorstand zu wählen. Dass Wettich zur Wahl steht, könnte daher auch dazu dienen, ein Zwischenzeugnis für FC-Präsident Wolf auszustellen. Durch die Probleme auf und neben dem Feld ist hier wahrscheinlich mit einer gewissen Brisanz bei der Veranstaltung zu rechnen. Doch damit nicht genug.
Fanarbeit: Südkurve fordert Vorstand zum Handeln auf
Die Südkurve des 1. FC Köln rief dem Vorstand am Mittwoch in einem Statement auf der eigenen Homepage auch recht deutlich noch eine weitere Baustelle in Erinnerung – die Fanarbeit. Damit sei man schon länger “unzufrieden”, heißt es darin. “Dementsprechend versuchen wir seit einiger Zeit, an Lösungen zu arbeiten, die wir in erster Linie intern an die verantwortlichen Personen herangetragen haben. Bisher leider ohne Erfolg.” Als Hauptprobleme hat die Südkurve “veraltete Strukturen, mangelhafte Organisation und schlechte Führung” ausgemacht. Die Fans stellen außerdem klar, kein Vertrauen mehr in den Fanbeauftragen Rainer Mendel zu haben. Zudem fordern sie den FC-Vorstand zum Handeln auf. Die Position des Fanbeauftragen steht aus Sicht der Fans also zur Disposition. Zur Erinnerung: Auch im Bereich Medien und Kommunikation fehlt ein Abteilungsleiter.
Abstiegskampf, finanzielle Nöte, Reformwünsche der eigenen Fans – so ziemlich an allen Fronten stehen Vorstand, Geschäftsführung und Trainer beim 1. FC Köln vor großen Herausforderungen. Von den langfristigen Leuchtturmprojekten wie Stadion oder Trainingszentrum ganz zu schweigen. Wolf, Wehrle, Heldt und Co.: Sie alle haben die Chance verdient, dass sie bei der Erreichung ihrer Ziele unterstützt werden. Denn es geht um viel für den 1. FC Köln bis zum Sommer. Die Mitgliederversammlung im Juni dürfte (egal unter welchen Bedingungen) sehr kontrovers verlaufen. Daher wird es interessant zu beobachten sein, wer sich im Lichte des Erfolgs wird sonnen können – und wer für die Fehler der letzten Jahre Verantwortung übernehmen muss. Denn auf ewig kann es in diesem Alarmzustand nicht weitergehen.