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Fankultur

Vereinspolitik im Fußball: Wie sich Mitglieder zu Demokraten entwickeln

Viele Vereinsmitglieder bei Fußballvereinen wollen ihre Vereine vor Autokraten retten. Aber nicht nur das: Sie wollen die Entwicklung ihres Vereins mitbestimmen. Sie agieren dabei wie Demokraten und lernen, dass sie etwas bewirken können. Eine ausführliche Analyse.

Foto (Archiv): Sebastian Bahr

Ihre Gegenseite nutzt das Internet hingegen meist zur Diskreditierung von Oppositionellen und zum Verbreiten eigener Narrative. Die Vereinsoberen spannen für ihre Zwecke manchmal die Medienangestellten der Klubs ein. Dabei wirkt ihr Vorgehen oft gekünstelt und unsouverän. Martin Kind beispielsweise ließ über die Hannoveraner Kanäle mehrfach Gerichte attackieren, weil diese ihn zur Herausgabe der Mitgliederdaten verpflichteten.

Der VfB Stuttgart bewarb die Ausgliederung der Profiabteilung, indem er Zusagen von Daimler veröffentlichte und blühende Landschaften durch Fabelzahlen versprach. Der 1. FC Köln reduzierte in einem Offenen Brief sämtliche Kritik als Mobilmachung von “Teilen der FC-Ultras” gegen den Vorstand, zudem diskreditierte er zwei namentlich genannte Vereinsmitglieder (und handelte sich deswegen vom Mitgliederrat harsche Kritik ein).

Vereine spalten ihre Mitgliedschaft bewusst

Die Liste ließe sich womöglich beliebig erweitern. Stets scheinen die Autoren dieser Texte zu versuchen, die Anhängerschaft zu spalten. Der aufklärerische Wert solcher Veröffentlichungen verpufft jedoch hinter der politischen Vehemenz ihrer Vortragsweise. Der Vorwurf des unsouveränen, vereinsschädigenden Verhaltens, den die Vereinsobrigkeiten oft an Fans richten, fällt schnell auf sie selbst zurück.

Foto: Thomas Starke/Bongarts/Getty Images

Das liegt auch daran, dass die Martin Kinds, Uli Hoeneß’ und Wolfgang Overaths dieser Welt häufig jede Form der Zusammenarbeit mit organisierten, kritischen Fans ablehnen. Sie ziehen zumeist die Diffamierung der inhaltlichen Auseinandersetzung vor. Doch woran könnte das liegen? Vielleicht, weil sie sich für unersetzlich halten und glauben, sie und der Verein seien synonym zu behandeln. Deswegen greifen sie jede Kritik an ihrer Arbeit als persönliche Attacke von Unruhestiftern auf. Sie differenzieren nicht zwischen Beleidigungen und kritischer Sachlichkeit. Es entzieht sich ihrer Vorstellungskraft, dass Fans sich zusammenschließen und Kritik vortragen, um ihrem Verein zu helfen. Gleichzeitig heiligt der Zweck des Machterhalts für sie fast jedes Mittel.

TeBe Berlin erlebt eine Dystopie

Zu welchen dystopischen Verhältnissen diese Motivation führen kann, erlebten die Mitglieder von Tennis Borussia Berlin vor einigen Monaten. Der Vorstandsvorsitzende und Sponsor Jens Redlich (ein Besitzer mehrerer Fitnessstudios) warb Berichten engagierter TeBe-Fans zufolge zahlreiche Bauarbeiter, die in Berufskleidung erschienen, und Fitnessstudiogänger an, die plötzlich zu Vereinsmitgliedern wurden und auf der Mitgliederversammlung aufkreuzten. Vor- und nachher erschienen sie bei TeBe nie wieder. Redlichs autokratische Kreativität war von Erfolg gekrönt: Inklusive Stimmübertragungen (teilweise konnte ein Mitglied im Namen von drei abstimmen) wurden die Getreuen des Vorstands deutlich in den Aufsichtsrat des Vereins gewählt.

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Der Unternehmer hebelte so nicht nur die Vereinsdemokratie aus, er vertrieb auch Fans, die sogar über die Neugründung eines Vereins sinnierten. Die Hintergangenen schickten sofort Warnungen an die Mitglieder anderer Vereine: Redlich könnte eine Blaupause für andere Autokraten geliefert haben. Ob ihm jemand nacheifern wird, ist derzeit ungewiss. Auch weil das mediale Echo verächtlich ausfiel. Dennoch kann wahrscheinlich niemand ausschließen, dass andere Vereinsoberhäupter sich künftig ähnlicher Methoden bedienen.

Ex-Spieler: Demokraten oder Erbmonarchen?

Vereine mit großer Vergangenheit und betrüblicher Gegenwart besitzen gegenüber kleineren Vereinen wie TeBe Berlin vor allem eins: Berühmte Ex-Spieler. Diese konnten sich jahrzehntelang über Verbindungen zu ihren Ex-Vereinen finanziell gesundstoßen und besaßen qua ihrer Prominenz großen Einfluss auf die öffentliche Meinung. Zudem bestimmten sie Ewigkeiten die Geschicke der Profivereine – mit der Legitimation, als Ex-Spieler sowohl sportliche als auch vereinspolitische Kompetenz zu besitzen.

Wolfgang Overath
| Foto: Lars Baron/Bongarts/Getty Images

Daraus entwickelte sich ein Selbstverständnis, in dem sich alle “Nicht-Ehemaligen” in vereinspolitischen Fragen hinten anzustellen haben. Diese Denkweise beinhaltet also eine Vorstellung von Bestimmung in Vereinen, die nicht auf Demokratie, sondern auf Erbmonarchie hinausläuft. Weshalb jene Ex-Spieler auch viele Menschen außerhalb ihrer Sphäre zunächst abschätzig beurteilen.

Vereinsmitglieder, die die Entwicklung des Vereins mitbestimmen wollen, sind dieser Klientel offenbar größtenteils zuwider. Sie sind weniger wert, schließlich haben sie nie für diesen Verein gespielt. Sei es mit oder ohne gerissene Kreuzbänder, mit geschmierten Brötchen oder ohne. Viele Altstars stört an engagierten Mitgliedern aber nicht nur, dass diese sie nicht anhimmeln, sondern auch, dass diese den Fußball offensichtlich aus einer anderen Warte her betrachten. Dadurch sehen sie ihre Besitzstände in Gefahr.

Professionalisierung mit Altstars? Schwierig!

Die wissenschaftliche Fokussierung auf den Fußball ist ihnen deshalb ein Dorn im Auge. Den vielleicht peinlichsten Beißreflex dazu gab Mehmet Scholl von sich, als er vor Jahren verächtlich über “Laptop-Trainer” herzog. Wissenschaftliche Analysen des Fußballs führen dazu, dass der Einfluss von Altstars schwindet – auch wenn es vermutlich keine Branche gibt, die sich seit Jahrzehnten so erfolgreich gegen die eigene Professionalisierung wehrt wie der deutsche Profifußball.

Klubs wie Leipzig oder Hoffenheim besitzen den Vorteil, dass ihnen keine Altstars ins Tagesgeschäft hineinreden und dort Profis arbeiten können – egal ob als Scouts, Jugendtrainer, Sportdirektoren oder Geschäftsführer. Langsam lernen aber auch Traditionsvereine dazu: Eintracht Frankfurt etwa hat mit Ben Manga und Helena Costa seit Jahren Fachleute im Scouting und der Kaderplanung. Die Öffentlichkeit nimmt von ihnen kaum Notiz, das Ergebnis ist bekannt. Altstar Fredi Bobic wäre ohne sie wohl nicht halb so erfolgreich.

COLOGNE, GERMANY - APRIL 23: (L-R) Markus Ritterbach, vice-president, Werner Spinner, president and Toni Schumacher, vice-president celebrate after bein voted during the extraordinary general meeting of 1. FC Koeln at LANXESS Arena on April 23, 2012 in Cologne, Germany. (Photo by Christof Koepsel/Bongarts/Getty Images)

Damals noch ganz freundschaftlich: Markus Ritterbach und Werner Spinner | Foto: Christof Koepsel/Bongarts/Getty Images

Die effzeh-Altstars bewegt derzeit dagegen offenbar nur eins: Toni Schumacher muss im Amt bleiben. Stephan Engels und Karl-Heinz Thielen trommelten vor kurzem eifrig für ihn. Während Thielen immerhin noch auf eine erfolgreiche Amtszeit als Manager zurückblicken kann (die allerdings auch schon viele Dekaden her ist), kann Stephan Engels außer seinem Status als Ex-Spieler (“Alt-Internationaler”) nichts vorweisen, was ihn zur maßgeblichen Mitbestimmung bei der Vereinsentwicklung qualifiziert. Ralf Friedrichs’ Zuspitzung aus “Neulich am Geißbockheim” wirkt mit Blick auf Engels’ Interview im “Kölner Stadt-Anzeiger” aktueller als je zuvor: “Steff, hol’ ens ‘ne Kranz.” Unter Wolfgang Overath wirkte es oft so, als könnten sich Ex-Spieler beim effzeh Jobs aussuchen. Das ist glücklicherweise schwieriger geworden.

Fazit: Niemals den Verstand der Fans unterschätzen!

Geht mit dem Schwinden der Macht von Ex-Spielern und dem Steigen der Macht von Mitgliedern in Vereinen zwangsläufig eine Verbesserung der Lage einher? Natürlich nicht. Auch Mitglieder treffen unkluge Entscheidungen. In Stuttgart verteilte der Verein an alle, die zur Mitgliederversammlung erschienen, kostenlose Trikots. Zufällig stand an diesem Tag die Ausgliederung der Profiabteilung zur Abstimmung. Das Trikot verfehlte sein Ziel nicht: Mit 84,2 Prozent stimmten die Mitglieder für die Ausgliederung. Eine Kausalität zwischen einflussreichen Mitgliederentscheidungen und professioneller Vereinsentwicklung existiert ebensowenig wie eine zwischen Investoreneinstieg und sportlichem Erfolg.

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Aber: Vereinsführungen sollten ihre Fans heutzutage niemals unterschätzen. Denn Führungspersonen wechseln, Fans bleiben. Und besitzen ein großes Gedächtnis. Sie können sich inzwischen vielfältig informieren – unabhängig von Zeitungen, die manchmal von befangenen Journalisten mit Werbetexten gefüllt werden. Knüpfen kritische, kluge Köpfe unter den Mitgliedern einmal Kontakte, existieren diese über einen sehr langen Zeitraum. Sie werden mehr. Und sie werden fortan dem Verein genauer auf die Finger schauen. Klubs von heute handeln vermessen, wenn sie ihre Anhänger kollektiv für dumm, uninformiert und leicht beeinflussbar halten.

Einen Vorwurf müssen sich die demokratischen und aufklärenden Fans jedoch gefallen lassen: Spürbaren Einfluss gewinnen sie meist erst dann, wenn es fast schon zu spät ist. Rechtzeitig können sie die Mehrheit selten von ihren Anliegen überzeugen. Hannover 96 ist auch dafür ein Paradebeispiel.

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