Besonders beunruhigend in Bezug auf Frankreich ist, dass die neuen Stadien seit 2012 dafür gesorgt haben, dass das durchschnittliche Fassungsvermögen um 6.000 Plätze angestiegen ist – der tatsächliche Anstieg der Zuschauerzahlen beträgt pro Spiel allerdings durchschnittlich nur 2300. Damit einher geht natürlich, dass immer mehr Plätze frei bleiben. Als Resultat lässt sich also festhalten, dass die neuen Stadien für mehr leere anstatt besetzte Plätze gesorgt haben. Spätestens jetzt ist es Unsinn, von einem positiven Effekt der Stadion-Neubauten zu sprechen.
Leere Stadien, eine “langweilige” Liga: Die Gegenmaßnahmen der LFP
Die Überdimensionierung der Stadien hat also auf zwei Ebenen verhängnisvolle Konsequenzen: Aus wirtschaftlicher Sicht schadet die schwache Auslastung den Vereinen, aus marketingtechnischer Sicht sind die geringen Zuschauerzahlen ein Problem für das ohnehin schon relativ ramponierte Image der Ligue 1. Dementsprechend war es nicht überraschend, dass ein LFP-Funktionär im August vergangenen Jahres davon sprach, diejenigen Vereine bestrafen zu wollen, die in ihren Heimspielen die den Kameras zugewandten Tribünen nicht vollbekommen würden – unglaublich.
Aus wirtschaftlicher Sicht schadet die schwache Auslastung den Vereinen, aus marketingtechnischer Sicht sind die geringen Zuschauerzahlen ein Problem für das ohnehin schon relativ ramponierte Image der Ligue 1. Dementsprechend war es nicht überraschend, dass ein LFP-Funktionär im August vergangenen Jahres davon sprach, diejenigen Vereine bestrafen zu wollen, die in ihren Heimspielen die den Kameras zugewandten Tribünen nicht vollbekommen würden.
In Frankreich muss man sich also die Frage stellen, wie man die Zuschauerzahlen wieder positiv beeinflussen kann, sodass die neuen, großen Stadien besser gefüllt sein können. Die Ansatzpunkte sind dabei natürlich vielfältig: Die Terminierung der Spiele spielt eine Rolle, das Wetter, der Preis für die Karten, die Verkehrssituation rund um das Stadion und – natürlich – der sportliche Zustand der Mannschaft, die man verfolgen möchte.
Wichtig sei es für französische Clubs, so die Meinung von Experten, Bedingungen zu schaffen, um das Erlebnis Stadionbesuch in Frankreich nachhaltig zu verbessern. Zwar seien sowohl Vereine als auch LFP (Ligue de Football Professionnel, Betreiber der ersten beiden französischen Profiligen) für dieses Problem mittlerweile sensibilisiert, die Realität spricht aber eine andere Sprache. Der im April 2017 veröffentlichte strategische Plan der Liga-Verwaltung sieht vor, die Ligue 1 bis 2022 wieder auf Top-Niveau zu bringen, da sie sich bis dato sportlich wie ökonomisch auf dem absteigenden Ast präsentierte.
Ultras in Frankreich spielen in den Planungen der Liga keine Rolle
Ziel ist es, die Ligue 1 in Bezug auf die vier großen europäischen Ligen aus England, Spanien, Deutschland und Itaien wieder konkurrenzfähig zu machen. Die Entwicklungsschritte beziehen sich auf verschiedenste Faktoren von der Ausbildung der Spieler, über die subjektiv wahrgenommene “Spannung” in der Liga bis zu den obligatorischen TV-Einnahmen. Das Problem daran: Die Liga vergisst komplett, die Fans und Zuschauer in ihre Entwicklungsideen miteinzubeziehen – diese werden entweder als Kunden oder Unruhestifter wahrgenommen.
Die Liga vergisst komplett, die Fans und Zuschauer in ihre Entwicklungsideen miteinzubeziehen – diese werden entweder als Kunden oder Unruhestifter wahrgenommen. Konkret gesagt taucht in der sehr lieblos gestalteten PowerPoint-Präsentation der LFP das Wort “supporter” nicht ein einziges Mal auf – über “Kunden” wird hingegen schon achtmal gesprochen.
Konkret gesagt taucht in der sehr lieblos gestalteten PowerPoint-Präsentation der LFP (anzusehen hier) das Wort “supporter” nicht ein einziges Mal auf – über “Kunden” wird hingegen schon achtmal gesprochen. Beruft man sich jetzt auf die eingangs geschilderten Formen der Repression gegen Fans und Ultras, auf den nicht existierenden Dialog zwischen Fußball-Fans und -Funktionären, auf die unzähligen Stadien- und Betretungsverbote, fällt auf, dass die LFP eine sehr große Unreife und Inkompetenz aufweist, wenn es um Fanfragen geht.
Der strategische Plan spricht nämlich in erster Linie davon, wie man die Ausgaben der Fans im Stadion erhöhen oder sie zum Ziel von kommerziellen Angebotskampagnen machen kann. Interessanterweise bietet der strategische Plan natürlich auch noch (größen)wahnsinnige Ideen, Anstoßzeiten um 13 Uhr oder ein Draftsystem mit chinesischen Jugendspielern beispielsweise. In der Ligue 2 und der Coupe de la Ligue sollen experimentell dann auch mal Kameras auf den Trikots angebracht oder weiße und grüne Karten verteilt werden. Wenig verwunderlich, dass das bei den Fans auf wenig Gegenliebe stößt.
Wie soll es nun weitergehen in Frankreich?
Bei aller Kritik: Immerhin wurde in Frankreich im Jahr 2016 im Rahmen eines Gesetzes festgelegt, dass die Profiklubs fortan einen Fanbeauftragten einstellen müssen, der sich um den Dialog mit individuellen und organisierten Fans kümmert und gleichzeitig auch in Kontakt mit den Vereinen und den örtlichen Behörden steht. Dies wurde im Rahmen der Aktivitäten der nationalen Behörde für den supportérisme institutionalisiert, die an das französische Sportministerium angebunden ist.
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Seitdem hat sich jedoch nicht viel geändert, wie auch Daniel Riolo vor einiger Zeit gegenüber dem Sender “RMC” bestätigte. Der Dialog sei nicht wirklich etabliert, man wisse nicht, mit wem man reden müsse – deswegen seien in letzter Zeit auch wieder so viele Banner und Spruchbänder mit Anti-LFP-Botschaften zu sehen gewesen. Diese seien als Reaktion auf die Zunahme der repressiven Maßnahmen zu verstehen.
Es fehle an einer klaren einheitlichen Linie, bemängelt der Journalist – wenn keine Reiseverbote ausgesprochen würden, würden eben einfach die Karten für Auswärtspreise angehoben, sodass man sich des “Problems” auf eine andere Art und Weise zu entledigen versuche. Fest steht: Ultras, aber auch normale Fans haben in Frankreich momentan einen schweren Stand.
Sie dienen als Beispiel dafür, dass diese soziale Gruppierung wie von Sébastien Louis in dessen Buch beschrieben, durch öffentliche Behörden und kommerzielle Unternehmen wie die LFP stark gegängelt werden, weil sie das Premiumprodukt beschädigen – wenn man unter “beschädigen” einen kritischen Umgang verstehen möchte. Festgehalten sei aber auch: Jede Form von Gewalt ist strikt abzulehnen, die übliche Vermischung zwischen Hooligans und Ultras ist aber genauso wenig zielführend wie die Strafmaßnahmen.
Warnung und Ansporn zugleich
Während man also in Deutschland noch einigermaßen zufrieden sein kann, was die Möglichkeiten zur Auslebung von Fankultur angeht, sind die Zustände in Frankreich wesentlich schlimmer. Dies soll einerseits als Warnung dienen, andererseits aber auch als Ansporn, den Kampf für Fußball als Volkssport nicht aufzugeben und gerade den Kampf für den Erhalt der 50+1-Regelung weiterzuführen, um das harte Aufeinanderprallen von finanziellen und sozialen Interessen zu verhindern. Denn wenn man anfängt, die Fußballfans zu verarschen und aus ihren Vereinen einen Spielball finanzieller Interessen macht, werden sie sich äußern.