Platzsturm und Pyrotechnik sind dämlich und unnötig, an sich aber eher peinlich als dramatisch. Die Schuld immer wieder beim Verein zu suchen, der seine Fans angeblich nicht in den Griff bekommt, ist zu kurzgedacht. Eine Lösung des Problems scheint nahezu unmöglich. Denn ändern müsste sich vor allem der DFB. Ein Kommentar von David Schmitz.
Spätestens als gegen 17:15 Uhr die ersten Fans über den Zaun vor dem Gästeblock sprangen, der wenig später sperrangelweit offenstand, und auf den Rasen des Borussia-Park rannten, war klar, dass es ein Nachspiel geben wird. Die ausgiebige Pyroshow, die in ungewöhnlich intensivem Ausmaße über das ganze Spiel verteilt zelebriert wurde, hätte dafür aber wahrscheinlich auch schon gereicht. So blieb keine Wahl, Konsequenzen mussten her.
Zu oft schon war die Führungsetage entäuscht worden, und das obwohl sie sich wie kaum eine Vereinsführung in Deutschland für einen Dialog mit genau denjenigen eingesetzt hatte, die sich nun aggressionstrunken über den Zaun schwangen. Schon wieder musste man das Vertrauen ausgenutzt und die Regeln gebrochen sehen.
“Das Maß mit den ‘Boyz’ ist voll”, sagt Jörg Schmadtke nun auf einer Pressekonferenz im Geißbockheim, an der er nur teilnimmt, weil der 1. FC Köln schon wieder Dinge erklären muss. Denn es gibt Fragen. Ob der Rauswurf der “Boyz” denn nicht eine Kollektivstrafe sei, auf die man doch so stolz war, sie nicht anzuwenden, wollen manche wissen. Andere sorgen sich eher darum, das nicht genug “Kriminelle” erwischt werden. Die Hysterie, mit der die Debatte um Ultras, Gewalt im Fußball, Pyrotechnik, die aktive Fanszene und Fankultur geführt wird, ist zurückgekehrt.
Neunmalkluge Ratschläge
Hendrick Große-Lefert, Sicherheitsbeauftragter beim DFB, wirft sogar den Gedanken in den Raum, dass Derbys nur noch ohne Zuschauer stattfinden könnten, wenn es sonst jedes Mal kracht. DFL-Geschäftsführer Andreas Rettig bringt personalisierte Tickets ins Spiel. Und Rainer Wendt, Polizeigewerkschafter, hätte die Ultra-Gruppen sowieso schon lange rausgeworfen, sagt er. Fette Geldstrafen, Teilausschluss der Fans, Geisterspiel – was am Ende dabei rauskommt, ist ungewiss. Doch sicher ist, dass den 1. FC Köln wieder saftige Strafen seitens der Sportsgerichtsbarkeit erwarten.
Es ist eine Gemengelage, die für alle Parteien viel zu einfache Positionen ermöglicht: Während die einen nun “Kollektivstrafen” seitens des Vereins, der die “Boyz” kurzerhand rausgeworfen hat, beklagen, wollen die anderen am liebsten gleich alle Ultras rauswerfen, ohne dabei überhaupt zu wissen, was Ultras sind. Es läuft eigentlich immer nach diesem Muster. Die sich ungerecht behandelt fühlenden Fans finden, der Verein greife zu hart durch. Politik, Verbände, Teile der Medien und die Polizei finden alles viel zu lasch und liefern ihr bekanntes Potpourri aus Panikmache und pseudo-unbeteiligter Kritik – vermeintlich kluge Ratschläge gibt es gratis noch dazu.
Doch die Drecksarbeit macht der Verein, der eine Aufgabe erfüllen muss, die eigentlich eher denjenigen obliegt, die am lautesten kritisieren. Der Klub soll Menschen, auf die er nur kleinen Einfluss hat, dazu bringen, sich so zu benehmen, dass es für ihn keine Geldstrafe gibt. Spätestens seit der Präsidentschaft Werner Spinners gibt sich der 1. FC Köln viel Mühe, diese soziale Verantwortung anzunehmen – mit Erfolg. Trotzdem steht wieder der Klub als Versager da, weil er es nicht geschafft hat, seine Fans unter Kontrolle zu bringen. Dass es nun rekordverdächtig hohe Strafen geben könnte, gilt dann auch schnell als verdient. Dass der Verein diese dann an die Verursacher weitergibt, scheint nachvollziehbar.
Eine Frage der Verantwortung
Doch genau das ist das Problem: Die Verantwortung für die Ursache der Strafen trägt nicht der 1. FC Köln. Sondern die Personen, die Regeln gebrochen haben. Dass die Ursache in diesem Fall in einem fremden Stadion passiert ist, wo der Verein nichtmals als Veranstalter auftrat, zeigt die Absurdität der gängigen Praxis. Die einzige Antwort seitens des DFB sind dennoch immer höhere, immer heftigere Strafen. Ein Fußballverein muss bluten, weil sich seine Fans irgendwo in Deutschland daneben benommen haben. Müssten Musiker dann nicht auch bald Strafen fürchten, wenn es unter ihren Konzertbesuchern zu einer Schlägerei kommt? Oder weniger provokant gefragt: Ist die Hoffnung, dass man Einsicht und Besserung bei den Schuldigen erreicht, indem man Unschuldige bestraft, denn nicht geradezu skurril? Dass der Leidtragende die meisten Mühen in eine positive Entwicklung investiert hat, macht den Systemfehler nur noch deutlicher. Tragisch für den 1. FC Köln ist, dass es erstmal keinen Grund zur Hoffnung gibt. Seit es Menschen gibt, benehmen sich einige von ihnen notorisch daneben. Blöde Sache, doch daran wird auch der wunderbarste Verein der Welt nichts ändern können.
Der Kurs des DFB ist vermulich noch nicht ganz so alt wie diese Erkenntnis. Und ist es wirklich ein so unsinniger Gedanke, dass sich Sportgerichte um Regelverstöße im Sport und ordentliche Gerichte um Landfriedensbruch und unerlaubtes Feuerwerk kümmern sollten?
Die Abschaffung dieser Vereinsstrafen würde nicht nur bewirken, dass die Vereine keine horrenden Strafen mehr zahlen müssten. Auch die dementsprechend hohen Regress-Forderungen gegenüber Tätern würden wegfallen. Keine Frage, angesichts des finanziellen Drucks im Profigeschäft ist dieser neuerdings vom effzeh und anderen Klubs eingeschlagene Weg absolut legitim. Und natürlich ist es vollkommen in Ordnung, wenn es für Regelverstöße Strafen gibt. Doch die daraus resultierenden Summen sind im Verhältnis zum Verbrechen oft unverhältnismäßig hoch.
Stur auf Kollisionskurs
“Die Strafe wird massiv werden, es darf nicht mehr viel passieren, sonst wird es existenzbedrohend”, sagte Jörg Schmadtke, nachdem er erklärte hatte, warum man die “Boyz” rauswerfen musste. Dieser Satz könnte in Zukunft wohl auch für Fans gelten, die über Zäune springen. Eine konstruktive Atmosphäre in der aktiven Fanszene wird das nicht bewirken. Schlimmer noch: Der Verein wird als gezwungener Schuldeneintreiber zum Feindbild, die erfolgreiche Arbeit torpediert.
Der 1. FC Köln hat seinen Kurs im Umgang mit der aktiven Fanszene und deren Belangen geändert und sich von dem erfolgreichen Weg auch durch kleine Rückschläge nicht abbringen lassen. Sogar die Polizei hat ihre Taktik zuletzt angepasst und so zur Entspannung beigetragen. Stur und unwillig beim Altbewährten geblieben, ist nur der DFB.