China calling: 1. FC Köln goes East
Und hier kommt das zweite Stichwort ins Spiel: China. Seit dem Besuch der stellvertretenden Ministerpräsidentin der Volksrepublik im vergangenen Jahr scheint der effzeh seine Liebe zu China entdeckt zu haben. Die Kooperation mit Liaoning FC, die angekündigten und absolvierten Reisen nach China der höchsten Offiziellen sowie die öffentliche Hervorhebung der Partnerschaft sind verhältnismäßig gewaltige Umschmeichelungen der Chinesen, die sicherlich nicht ohne Hintergedanken geschehen dürfen. Außerdem: Das Bedürfnis, externe Partnerschaften (sprich: Investoren) zu suchen und sich ihnen zu öffnen, bestätigen die Verantwortlichen schon lange – einzig der Zeitpunkt scheint noch nicht gefunden.
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Bis zu einer Grenze von 25 Prozent dürfen Vereinsanteile vom Gemeinsamen Ausschuss aus Vorstand sowie Mitglieder-, Aufsichts- und Beirat verkauft werden, alles darüber hinaus ist von der Mitgliederversammlung mit einer Zustimmung abzusegnen (vor einer entsprechenden Satzungsänderung wären es sogar 49% gewesen). Da Alexander Wehrle als konservativ kalkulierender Finanzfachmann gilt, ist es schwer vorstellbar, dass er einen Stadionneubau ausschließlich vom sportlichen Erfolg abhängig machen will. Eine strategische Partnerschaft, in der sich ein chinesischer Investor am Stadion beteiligt, dürfte zumindest ein Gedankenspiel im Geißbockheim sein.
Kundenbild und Kritikabwehr
Dass diese Entwicklungen insbesondere in der organisierten Fanszene für einen sukzessive stillen Rückzug sorgen dürften, dürfte ebenfalls ein Kalkül der Verantwortlichen sein. Denn im Ziel der verbalen Vorstöße gegen die effzeh-Fans stehen nie alle, sondern immer nur diejenigen, die in der Südkurve häufig ihrem Unmut über aktuelle Entwicklungen Luft machen – sei es im Verein oder im Profifußball. Im Verein scheint es mittlerweile eine offensichtliche Haltung dazu zu geben: Solange die Fans für tolle Choreographien sorgen, die Mannschaft anfeuern, brav zu jedem Auswärtsspiel mitfahren und bei der Mitgliederversammlung die Schals schwenken, haben sie die Gunst des Vereins. Weichen sie davon ab, werden sie öffentlich attackiert. Die Aussagen nach dem Spiel gegen Frankfurt, als die Teile der Südkurve für eine Halbzeit schwiegen, sprechen für sich.
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Die groß angelegten und auch durchaus wirtschaftlich motivierten Mitgliederkampagnen unter Alexander Wehrle zielten unter anderem darauf ab, die Reichweite der Werbeabteilung sowie die Einnahmen aus dem Merchandisingverkauf zu steigern. Mehr als je zuvor sind die Fans für den Verein zu Kunden geworden, jedoch zu Kunden, die sich nicht zu beschweren haben – und damit nicht Kunden im klassischen Sinne sind, sondern ausschließlich Konsumenten. Die Fans haben demzufolge still zu sein und zu gehorchen. Als sich Jörg Schmadtke vor dem Hoffenheim-Heimspiel mit nebulösen Andeutungen zum Verständnis über die negativen Entwicklungen in der prä-Spinner-Ära vor die Presse wagte, spielte er auf angeblich überzogene Erwartungen in der Fanszene an – nur um drei Spieltage vor Schluss auf einmal doch Europa als Ziel auszugeben.
Die Gretchenfrage auf dem Weg zum Erfolg
Was gemeinhin als Kommerzialisierung des Sports bezeichnet wird, betreibt der effzeh in vollem Bewusstsein. Solange die Fans auf diesem Weg mitziehen, ist es ihm recht, wenn sie sich abwenden, dürfen sie offenbar gerne am Wegesrand zurückbleiben – in der Hoffnung, dass andere Leute sich die frei werdenden Dauerkarten sichern, die sich aber gegenüber dem Verein in Sachen Kritik zurückhalten. Doch falls es tatsächlich auf einer Mitgliederversammlung zu einer Abstimmung über einen Investoreneinstieg kommen sollte, wird die Fanszene ein letztes Mal alles mobilisieren, um den Einstieg zu verhindern. Dem Verein geht es dann auch um Mehrheiten und darum, dass alle anderen seinen Empfehlungen Folge leisten.
Man darf gespannt sein, ob die abstimmenden Mitglieder dann schlauer sind als beispielsweise die HSV-Fans, die jubelnd für die Abschaffung des eigenen Mitbestimmungsrechts gestimmt und ihren Verein in eine AG ausgegliedert haben. Sicher ist allerdings schon jetzt, dass entscheidende Monate auf den 1. FC Köln warten. Müngersdorf oder Umzug? Einstieg eines Investors? Mitbestimmung der eigenen Anhängerschaft? Die Themenliste ist – auch angesichts der Herausforderungen, die in den kommenden Jahren auf nationaler und internationaler Ebene auf Verein und Fans warten – lang genug. Es wird ein schwieriger Weg zwischen Wachstum und Identität: Der effzeh ist nicht der erste Klub, der sich auf diesen Pfaden die Gretchenfrage stellen muss.