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Rudelbildung

Zukunft der Bundesliga: „Geisterspiele sind ein notwendiges Übel”

Wie soll es in der Coronakrise weitergehen mit der Fußball-Bundesliga? Die DFL plant die Fortsetzung der Saison ab Mai – mit Geisterspielen. Das sorgt nicht überall für Gegenliebe, auch nicht in unserer Redaktion. Wir haben in unserer Rudelbildung darüber diskutiert.

Cologne's goalkeeper Timo Horn is pictured in front of an empty stand during the German first division Bundesliga football match between 1 FC Cologne and Bayer 04 Leverkusen in Cologne, western Germany, on April 25, 2015. AFP PHOTO / SASCHA SCHUERMANN RESTRICTIONS - DFL RULES TO LIMIT THE ONLINE USAGE DURING MATCH TIME TO 15 PICTURES PER MATCH. IMAGE SEQUENCES TO SIMULATE VIDEO IS NOT ALLOWED AT ANY TIME. FOR FURTHER QUERIES PLEASE CONTACT DFL DIRECTLY AT + 49 69 650050. (Photo credit should read SASCHA SCHUERMANN/AFP via Getty Images)
Foto: SASCHA SCHUERMANN/AFP via Getty Images

Lino: Systeme versuchen sich primär immer zu erhalten, der Fußball ist hier keine Ausnahme. Der Fußball ist aber auch, wir wissen das spätestens seit “Football leaks”, ein in Teilen mafiöses Buisness, welches mit aberwitzigen Summen hantiert und dabei so auf Kante genäht ist, dass es nach drei Wochen Stillstand offenbar kurz dem Kollaps steht. Nun versteht man sich allerdings als eine Unterhaltungsbranche und als solche sollte der Fußball als absolut nicht systemrelevant eingestuft werden. Sollten Geisterspiele stattfinden, dann geht das absehbar nur über längere radikale soziale Abschottung oder tägliche Tests sämtlicher Beteiligten, für die allerdings die Kapazitäten nicht bereitgestellt werden können. Eine Sonderstellung des Fußballs darf es nicht geben.

Thorsten: Ich frage mich schon seit langem, warum wir eine zweigeteilte Saison mit den meisten Spielen bei ekligem Wetter haben. Ich plädiere auch für Saison pro Kalenderjahr. Die Pause zu den Sommerferien wird wohl sein müssen. Vor Verbrennung von sportlichen Werten und wirtschaftlichen Einbußen im System Profifußball graut es mir allerdings nicht. Da haben andere Systeme deutlich mehr zu verlieren. Nicht mehr Geld, aber mehr Arbeitsplätze und Menschen.

“Zahlreiche Clubs würden in die Insolvenz gehen, die Big-Money-Clubs jedoch würden auch dann weiter existieren. Für sie gäbe es gar keinen Grund, irgendetwas auf Null zu setzen. Für diese Vereine wäre das Szenario sogar eine willkommene Gelegenheit.”

Kurt: Für den Fall eines Abbruchs der Saison würde ich das von mir skizzierte Szenario keineswegs für unrealistisch erachten. Was würde passieren? Zahlreiche Clubs würden in die Insolvenz gehen, die Big-Money-Clubs jedoch würden auch dann weiter existieren. Für sie gäbe es gar keinen Grund, irgendetwas auf Null zu setzen. Im Gegenteil: Sie würden sich aus der “Konkurs-Masse” der insolventen Clubs bedienen, Cordoba, Bornauw und Hector würden für Peanuts nach München, Leipzig oder Leverkusen gehen. Für diese Vereine wäre das Szenario sogar eine willkommene Gelegenheit, Gutes billig zu kaufen und sich international noch konkurrenzfähiger zu machen. National würden sie in einer zahlenmäßig deutlich kleineren Liga nach schottischem oder Schweizer Vorbild halt viermal im Jahr gegeneinander spielen, während der FC in einer Liga mit Weiler-Volkhoven II spielen müsste.

Wie sollen Geisterspiele überhaupt durchgeführt werden?

Lino: Falls das bedeutet, dass Vereine in die Insolvenz gehen, dann ist das so, so leid es mir tut. Und wenn es den FC trifft, bricht es mir vielleicht das Herz, aber es wird auch Branchen treffen wo nicht zu einem großen Teil Gehaltsmillionäre rumlaufen. „Leave no ohne behind“, „#stayathome“ und gesellschaftliche Solidarität gelten auch für Heldt, Wehrle, Wolf, Gisdol und die Spieler. Let’s face it. Vor uns steht eine wirtschaftliche Krise, die wir noch lange nicht überblicken können. 2008 und folgende aber wird im Vergleich vermutlich eher wie ein Kindergeburtstag aussehen. Es wird viele Insolvenzen und Elend geben, 2020 und 2021 werden garantiert nicht als goldene Jahre in die Geschichte eingehen. Wir sollten uns auf harte Zeiten einstellen. Geisterspiele wird man vielleicht durchprügeln können, es bleibt aber ein sehr instabiler Ritt auf der Rasierklinge. Und ob das ethisch und gesellschaftlich vertretbar ist, ich habe da große Zweifel. Wir sollten damit rechnen, dass es Normalität und volle Stadien erst geben wird, wenn ein Impfstoff verfügbar ist. Und vor Sommer ’21 wird das nichts, auch wenn Dietmar Hopp gerne anderes erzählt.

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Arne: Ich frage mich, wie Geisterspiele überhaupt durchgeführt werden sollen.

Lino: Ein praktikables Beispiel, wie Geisterspiele aussehen sollen, habe ich noch nicht gesehen. Wer schützt die Spieler, was passiert, wenn der Co-Trainer in Quarantäne muss, wie verhindert man das ein Spieler auf dem Spielfeld beim Eckball alle ansteckt und diese das Virus dann weiter in ihre Familien tragen? Wie reden von Kontaktsport und nicht vom Tennis. Wer wäscht die Kleidung, wer fährt den Bus? Sind das Risikogruppen, dürfen das Risikogruppen sein? Haftet die Versicherung, wenn ein Spieler sich ansteckt, auf die Intensivstation muss und Monate ausfällt? Denn notwendig war das wohl nicht. Was ist, wenn die Krankenhäuser kurz vor der Belastungsgrenze stehen und sich ein Spieler so verletzt, dass er operiert werden muss und ein Bett tage- oder gar wochenlang blockiert? Die Kapazitäten könnten knapp sein. Was machen wir bei einer zweiten Welle oder wenn in bspw. Bremen ein neues Cluster entsteht und man dort doch mal abriegeln muss?

“Abseits dieser Diskussion fand ich übrigens die Stellungnahme der deutschen Fanszenen klasse. Da steckt mehr gesellschaftliches Verantwortungsbewusstsein drin als in den Hirnen mancher Manager.”

Christopher: Puh, schwer, da jetzt noch was zu ergänzen. Ich stütze Linos Punkt zur Unsicherheit bei Geisterspielen. Die sicherste Variante wäre, wenn alle Spieler und Vereinsoffiziellen in einem abgeschotteten Ort einkaserniert würden. Natürlich nur, wenn alle gesund sind. Vielleicht finden die Spieltage ja dann alle nacheinander auf dem Hoffenheimer Trainingsgelände statt. Das würde auch weniger Aufwand erfordern, als alles in leeren Stadien quer durch die Republik stattfinden zu lassen. Und zur Gegenwart würde es auch passen. Vielleicht gucke ich mir das an, vielleicht nicht. Gerade ist’s einfach beschissen. Abseits dieser Diskussion fand ich übrigens die Stellungnahme der deutschen Fanszenen klasse. Da steckt mehr gesellschaftliches Verantwortungsbewusstsein drin als in den Hirnen mancher Manager, die wahrscheinlich alleine so viel verdienen wie eine ganze Fanszene zusammen.

Foto: Arne Dedert/Pool/Getty Images

Wer könnte als Gewinner aus dieser Krise hervorgehen?

Sarah: Im Endeffekt knickt man da aufgrund wirtschaftlicher Zwänge ein. In einer Lage, in der es den Großteil der Menschen deutlich härter trifft als so manchen Profi oder Funktionär. Da ist der Fußball meiner Ansicht nach gleicher als andere. Alle haben wirtschaftliche Zwänge und bleiben auch mit dem Arsch zu Hause. Geisterspiele dürfen keine Alternative sein, denn Fußball ohne Fans kann und darf nicht sein. Vielleicht sollte dieser (Profi)-Fußball sterben, damit der Fußball leben kann.

Lino: Never waste a good crisis – wer profitiert denn, wenn es erstmal die nächsten Monate nicht weitergehen könnte? Die großen Konstrukte und Werksvereine oder sind am Ende auch diese Geldgeber von der Krise betroffen und ziehen sich zurück, auch weil das gesamte Buisness schrumpft, absehbar keine Erträge mehr abwerfen kann und es auch nicht mehr so “cool” ist, sich einen Verein zu halten, weil die Blase eben vor den Augen der Weltöffentlichkeit platzt.

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Kurt: Lino, natürlich wären die Konstrukte, die Werksvereine, Bayern München und ganz vielleicht noch der BVB Profiteure eines durch Saisonabbruch verursachten Finanzkollaps der Konkurrenten. Und natürlich wissen deren Macher, dass es auch eine Zeit nach Corona geben wird, in der die Fans in die Stadien strömen werden. Es wird eine überschaubare Liga sein, Bayern, RB, Lev, Wob, Hopp, der BVB und möglicherweise noch zwei, drei andere. Die Geldgeber der Konstrukte brauchen den Gürtel doch gar nicht enger zu schnallen. Es wird immer genügend Idioten geben, die die Plörre saufen, Audi, BMW und VW werden auch wieder Rekordabsätze ihrer Produkte haben, Pillen werden immer benötigt, vielleicht wird der Konzern sogar zum Corona-Gewinner mit entsprechenden Medikamenten oder gar einem Impfstoff, Hopp sowieso, der rettet ja gerade die Welt.

“Ich meine, es wäre naiv zu glauben, dass ein Saisonabbruch und der Verzicht auf Geisterspiele alles auf Null setzen würde und der Fußball (und auch der FC) wie Phönix aus der Asche emporsteigen könnte.”

In a nutshell: Ich meine, es wäre naiv zu glauben, dass ein Saisonabbruch und der Verzicht auf Geisterspiele alles auf Null setzen würde und der Fußball (und auch der FC) wie Phönix aus der Asche emporsteigen könnte. Ich befürchte, dass das Gegenteil der Fall wäre, die Krisengewinnler würden in punkto Fußball den Ton angeben und den FC würde es nicht mehr geben. Bei aller berechtigten Kritik am Kommerz im Profifußball, das wäre mir zu viel verbrannte Erde.

Warum der Profifußball ohnehin nicht gerettet werden kann

Lino: Das mag alles sehr gut sein. Sagen wir so: Sollte man Geisterspiele wie auch immer ohne Sonderrolle durchführen können und anstehende Fragen zufriedenstellend beantworten, dann kann man das von mir aus machen. Ich habe da jetzt keine gesteigerte Lust am Untergang. Ich sehe beim durchführen von Geisterspielen nur etliche Fragen, die man in meinen Augen nicht beantworten kann, weswegen ich ihnen schon rein aus ethischen Gesichtspunkten sehr skeptisch gegenüberstehe. Und ob mich Geisterspiele dann interessieren würden, ist dann noch mal eine ganz andere Frage. Denn normalerweise gucke ich an jedem Strand barfußspielenden Kindern gerne hinterher und wenn ich durch den Park gehe und mir ein Ball entgegen gerollt kommt, freue ich mich auch jedes Mal, den zurückzukicken, aber das Geisterderby hat mich überhaupt nicht interessiert. Ich habe es zwar geschaut, aber ehrlich gesagt hatte das mit dem Fußball, den ich liebe, nichts, aber gar nichts nichts zu tun.

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Ob da dann der FC oder Leipzig spielen, mit meinem Interesse wäre es vermutlich das gleiche – quasi kaum existent. Wenn man jetzt also die nächsten Monate endlos viele Geisterspiele durchführt um die Branche zu “retten”, dann hätte ich davon nur sehr eingeschränkt was. Und das alles für die Hoffnung, dass nachher alles wieder genau so ist wie vorher. Mit Konstrukten, Werksvereinen, 50+1 Ausnahmen und Dietmar Hopp? Das ist dann ein wenig wie der DFB, wo jeder neue Präsident seinen Sitz bei der FIFA annimmt und sagt, er würde sie von innen einfacher verändern wollen und dann geht alles so korrupt weiter wie bisher. Das korrupte System Profifußball, wie es sich derzeit gestaltet, ist doch kaum erhaltenswert – man schaut ihn oft nur noch, weil das Herz halt am FC hängt.

Thorsten: Was macht dich so sicher in deiner Prognose, Kurt? Und mal angenommen, dass es so kommt. Wer schaut sich denn eine von dir beschriebene “Liga” an? So wie ich bei Geisterspielen raus bin, so interessiert mich so was auch null. Vielleicht kommt dann auch eine Superliga (oder wie heißt das Ding?), aber eben nicht für mich. Und ich denke für einen genügend großen Teil der Fans eben auch nicht. Ich möchte, dass mein Verein, der effzeh, so hoch wie möglich, so erfolgreich wie möglich spielt. Wenn Superliga nicht drin ist und selbst, wenn nur Kreisliga möglich ist. Ich gehe hin und schau es mir an. Und der Fernseher mit international hochtechnisch und -taktischem Fußball bleibt aus. Bleibt er bei mir eh, interessiert mich nicht.

Kurt: Siehst Du, in einem Punkt sind unsere Ansichten absolut deckungsgleich: Auch ich möchte, dass der FC so hoch und erfolgreich wie möglich spielt. Ich bin mir hinsichtlich meiner Prognose auch nicht sehr sicher, halte das von mir beschriebene Szenario aber für denkbar. Ich würde mich sehr freuen, wenn ich mich irre.

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