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Analyse

Nach dem Deadline Day: Das Prinzip Hoffnung

Lücken im Kader und nicht geholte Spieler – beim FC regiert das Prinzip Hoffnung. Ein Kommentar zur Transferpolitik des 1. FC Köln.

Foto: Mika Volkmann/Bongarts/Getty Images

Am gestrigen Freitag um 18 Uhr war klar: FC-Sportchef Christian Keller würde seinen Worten der vorherigen Pressekonferenz Taten folgen lassen. Oder besser: keine Taten. Denn Keller und Trainer Steffen Baumgart betonten auf der Pressekonferenz unisono, dass der Kader ausreiche und man dem vorhandenen Spielermaterial vertraue. Das ist zwar löblich und sicherlich gut für das Binnenverhältnis von Trainer und Mannschaft, allerdings verriet Baumgarts Gesicht auch nicht unbedingt die allergrößte Zuversicht. Ein Kommentar zur Transferpolitik des 1. FC Köln.

Hinweis: Der Kommentar entspricht nur der Meinung des Autoren und spiegelt nicht die Meinung der gesamten Redaktion wider.

Die Offensive

Falls Sie sich das je einmal gefragt haben: die Antwort lautet “ein Mal”. Ein Mal spielte Davie Selke, seit er beim 1. FC Köln unter Vertrag steht, die kompletten 90 Minuten durch – beim frustrierenden 0:2 gegen den VfL Wolfsburg. Jener Verein, gegen den er am vergangenen Samstag nach nur 28 Minuten ausgewechselt werden musste. In der vergangenen Saison betrug seine durchschnittliche Spielzeit in 17 Pflichtspielen lediglich 51 Minuten pro Spiel. Immer wieder musste der gebürtige Schorndorfer entweder ausgepumpt oder verletzt ausgewechselt werden oder nach Verletzung langsam wieder herangeführt werden. Frühzeitige Auswechslungen, meist ohne direkte Fremdeinwirkungen, sind bislang charakteristisch für seine Zeit beim FC. Was damit gesagt werden soll: einen richtig und dauerhaft fitten Selke kennt man in Köln noch gar nicht. Die Crux liegt aber nun einmal darin, dass Selke der zentrale Offensivspieler in Baumgarts flankenlastigem Spielsystem ist. Dahinter stehen zwar mit Steffen Tigges und Florian Dietz zwei “baugleiche” Spieler parat, jedoch hat Ersterer noch keine Sommervorbereitung unter Baumgart absolviert und war seit dem 20. Mai verletzt und Letztgenannter hat den bereits zweiten Kreuzbandriss seiner noch jungen Karriere hinter sich – Rückkehr ungewiss.

Ein wenig hat man dieser Tatsache durch die Leihe von Luca Waldschmidt Rechnung getragen. Dieser Spieler kennt die Rolle als alleiniger Neuner von diversen Stationen seiner bewegten Laufbahn, jedoch ist er nicht der typische Wandspieler, den Baumgart gerne ganz vorne drin hat. Zudem überrascht es, dass der Trainer Waldschmidt eher als Linksaußen zu sehen scheint und Sargis Adamyan für die vorderste Front einwechselt. Dieser wirkt jedoch trotz eines Tores und eines (unfreiwilligen) Assists in drei Pflichtspielen eher verloren auf diesem Posten und ist zudem den meisten Abwehrspielern – selbst von einem Zweitligisten wie Osnabrück – körperlich unterlegen.

Selke im Kopfballduell gegen diverse Schalker

Musste auch gegen Schalke früh verletzt raus: Davie Selke (Foto: Dean Mouhtaropoulos/Getty Images)

Da zudem auch Jan Thielmann und Mark Uth auf unbestimmte Zeit ausfallen und auch danach erst einmal Anpassungszeit brauchen werden, ist es nicht weiter verwunderlich, dass viele Fans sich einen weiteren Stürmer gewünscht hätten. Dieser kam bekanntlich nicht. Allerdings ist es wohl eher nur die halbe Wahrheit, wenn Keller sagt, dass man dem vorhanden Spielerfundus vertraue. Eher wird dieser Kurs der äußerst angespannten finanziellen Lage geschuldet sein. Ein wenig kann man Kellers Inaktivität hier auch verstehen: sind alle Spieler irgendwann einmal fit, besteht in der Offensive – die man ja bereits mit Waldschmidt und Faride Alidou verstärkt hat – ein Überangebot, das Streichungen aus dem Spieltagskader notwendig machen wird. Baumgart und Keller mussten also einserseits einschätzen, wann und ob der Fall eintreffen wird, dass einmal alle gleichzeitig fit sind und andererseits, ob man in der letzten Transferwoche noch einen Wandstürmer finden könnte, der die Qualität hat, einen der begrenzten Kaderplätze erobern zu können, aber gleichzeitig weder in Ablöse noch in Unterhalt viel kostet. Dass das ohnehin eine schwierige Aufgabe werden würde, sollte nicht überraschen – man entschied sich hier also zum Mut zur Lücke (womit nicht der gleichnamige Stürmer gemeint ist, für den sich Dortmund entschied). Ihlas Bebou, dessen gerüchteter Transfer zwischenzeitlich einmal halb Köln in Aufruhr versetzte, wäre ein sportlich passender Spieler gewesen, jeodch wäre er zum Einen nicht kostengünstig zu haben und zum Anderen entpuppte sich das Gerücht ohnehin bald als heiße Luft.

Immerhin: vertragslose Spieler dürfen weiterhin verpflichtet werden und andere (ehemalige) Hoffenheimer dürfen sich weiterhin Hoffnung auf eine Verzweiflungstat machen.

Weitere Lücken im Kader

Die Frage, wer also vorne drin stehen soll, wenn Selke einmal mehr angeschlagen raus muss oder ganz fehlt, wird daher aus dem bestehenden Spielermaterial zu beantworten sein – wohl in der Hoffnung, dass Steffen Baumgart aus Steffen Tigges doch noch einen guten Kopfballspieler machen kann. Aber auch dahinter wird die Luft dünner: mit Florian Kainz steht genau ein einziger Kreativspieler im ganzen Kader zur Verfügung. Zumindest solange, wie niemand weiß, was aus Mark Uth wird. Zwar können auch andere Spieler die “Zehn” bekleiden, jedoch interpretieren Spieler wie Dejan Ljubicic, Mathias Olesen, Luca Waldschmidt oder Denis Huseinbasic diese Position eben nicht spielmachend, sondern mit Zug zum Tor und nachstoßend – also gänzlich anders als der neue Kapitän. Wie wichtig auf dieser Position jedoch ein spielauslösender Spieler ist, hat Kainz’ Versetzung auf die Zehn in der letzten Saison gezeigt – erst durch diesen Schachzug konnte die “Karnevalskrise” letztlich überwunden und der Klassenerhalt final eingetütet werden. Der Österreicher gehört also in die Kategorie jener Spieler, die sich bitte bloß nicht verletzten dürfen, weil dahinter schlicht kein adäquater Ersatz parat steht. Weitere dieser “hoffentlich bleiben sie gesund”-Spieler sind Marvin Schwäbe, den man dauerhaft nicht ersetzen kann oder Leart Pacarada – bei aller Wertschätzung für Max Finkgräfe. Zwar hat man mit Dominique Heintz einen Spieler geholt, der zumindest auf dem Papier “Paca” ersetzen kann, allerdings ist der Ex-Kapitän des FC St. Pauli bereits auf Anhieb Leistungsträger und an vielen Torchancen beteiligt. Heintz ist ein weit weniger dynamischer Spielertyp, der nicht wirklich gemacht scheint für die Baumgart’sche Interpretation der Linksverteidigerrolle und der zudem in den letzten Saisons diese Rolle kaum oder nur als Schienenspieler in der Fünferkette bekleidet hat.

COLOGNE, GERMANY - MARCH 04: Dominique Heintz of Koeln runs with the ball during the Bundesliga match between 1. FC Koeln and VfB Stuttgart at RheinEnergieStadion on March 4, 2018 in Cologne, Germany. The match between Koeln and Stuttgart ended 2-3. (Photo by Christof Koepsel/Bongarts/Getty Images)

Willkommen zurück: Dominique Heintz (Foto: Christof Koepsel/Bongarts/Getty Images)

Und dann wäre da noch Eric Martel. Der 21-jährige Straubinger geht erst in sein zweites Bundesligajahr – Formschwankungen, Sperren, Verletzungen, all das kann ihm passieren. Allerdings: es gibt im Kader schlicht keinen anderen Spieler, der die so genannte “Ankersechs” verkörpert. Mit “Ankersechser” oder “holding six”, wie Thomas Tuchel gerne sagt, meint man jenen Spieler, der primär den Raum vor der Abwehr besetzt und dort zweikampfstark und körperlich robust abräumt. Davon gibt es wenig auf erhöhtem Niveau, aber Martel ist auf einem guten Weg dahin. Nur diesem jungen Mann die Last aufzubürden, der einzige Ankersechser im ganzen Kader zu sein, ist ebenfalls ein mutiges Unterfangen. Zwar gibt es auch hier Spieler, die diese Position theoretisch bekleiden könnten (Ljubicic, Huseinbasic, Jacob Christensen und in der Wahrnehmung Steffen Baumgarts anscheinend auch Mathias Olesen), allerdings entsprechen alle diese Spieler eher dem Typ “Achter” als dem Typ “Sechser”. Zudem hat keiner von ihnen bisher auf Bundesliganiveau nachgewiesen, diese Position bekleiden zu können, eine Rückversetzung Ljubicic’ schafft außerdem wiederum Lücken in anderen Mannschaftsteilen. Ein weiterer gestandener Sechser mit Bundesligaerfahrung täte diesem Kader unheimlich gut und wurde von Keller zu Beginn der Transferphase auch in Aussicht gestellt – jedoch kam nach Christensen für diese Position nichts mehr. Auch hier überwogen die finanziellen Sorgen anscheinend die sportlichen Notwendigkeiten. Ein Josuha Guilavogui wäre übrigens immer noch ablösefrei zu haben…

Was von dieser Transferphase bleibt

Nein, sie war nicht durchgehend schlecht. Waldschmidt zeigte in der Vorbereitung und gegen Wolfsburg, dass er für die dringend benötigte Torgefahr und Abgeklärtheit vorne drin sorgen kann, Rasmus Carstensen etablierte sich auf Anhieb und Faride Alidou lässt die Vorstellung zu, dass er gut in diese Mannschaft passen könnte. Allerdings werden systemische Lücken im Kader – wohl unter dem Edikt des Sparzwanges – in Kauf genommen und man wird einfach hoffen müssen, dass oben genannte Spieler nicht dauerhaft ausfallen und die angeschlagenen Spieler um Selke oder Uth bald wieder dauerhaft vollbelastbar sind. Und dabei ist noch gar nicht mit einbezogen, dass noch immer eine mögliche Transfersperre wie ein Damoklesschwert über dem FC schwebt und man für diesen Fall kaum vorgebaut hat. Zwar hat man bei Waldschmidt, Carstensen und Alidou Kaufoptionen, aber einerseits scheint es derzeit völlig utopisch, dass der FC sich diese ohne Transfererlöse überhaupt leisten kann, anderseits kann man aber eigentlich während der möglichen Transfersperre aufstrebende Spieler wie Ljubicic oder Martel gar nicht verkaufen, weil kein Ersatz geholt werden kann und eben auch nicht geholt wurde, wenn Carstensen nicht einschlägt. Die Qualitäten eines Ellyes Skhiri hat ohnehin (noch) keiner dieser Spieler auf dieser Position, den man aber eigentlich hätte ersetzen müssen.

FC-Fans erwartet also die eine oder andere unruhige Nacht und eine eher ruppige Saison. Aber “et hätt noch immer jot jejange” – außer halt die sechs Mal, wo es nicht gut ging. Aber bis dahin regiert es halt: das Prinzip Hoffnung.

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