Es ist eine Zäsur für den deutschen Fußball: Mesut Özil erklärt, dass er nicht mehr für Deutschland spielen wird, solange er sich unter anderem von seinem eigenen Verband rassistisch behandelt, herausgestellt und zum Sündenbock gemacht fühlt. Das sollte man auch so benennen: Den finalen Abschied, völlig unabhängig von allen Variablen, hat der Nationalspieler damit schließlich nicht formuliert, auch wenn derzeit überall von einem “Rücktritt” die Rede ist. Der langjährige Nationalspieler hat sich jedoch vielmehr über die rassistischen Ausfälle, denen er sich ausgesetzt sieht und die vom DFB munter befeuert wurden, bitter beklagt und erklärt, dass er unter diesen Umständen nicht mehr für Deutschland spielen wird.
Eigentlich hat Mesut Özil vor allem aber gesagt: Solange Reinhard Grindel das Amt des DFB-Präsidenten bekleidet, wird es den Spieler Özil beim DFB nicht mehr geben. Seine Entscheidung ist somit sogar irgendwie an eine Variable gebunden. Deshalb geht bereits die Wertung als Rücktritt, und somit als finale Abkehr von der Nationalmannschaft seines Heimatlandes, in die falsche Richtung. So klingt es, als habe Özil keine Lust mehr für Deutschland zu spielen. Einfach so. Özil hat aber viel mehr keine Lust mehr für einen Verband zu spielen, der ihn geopfert hat, als er ihn hätte schützen müssen. Das ist ein Unterschied.
Solange Grindel da ist, bleibt Özil weg
Foto: Christof Koepsel/Bongarts/Getty Images
Ebenfalls ungenau ist die weit verbreitete Darstellung, dass Özil angeblich bis zum gestrigen Sonntag gänzlich geschwiegen habe. Dabei hat der 29-Jährige eben nur nicht das gesagt, was so mancher hören wollte, und er hat es nicht persönlich gesagt, sondern es den Bundespräsidenten verkünden lassen. Laut Frank-Walter Steinmeier sagte Özil in Bezug auf Deutschland bei seinem Treffen mit Özil und Ilkay Gündogan: “Ich bin hier aufgewachsen und stehe zu meinem Land.”
Das ist nicht gerade ein umfassendes Statement. Özil hätte aber dennoch sicher gut daran getan, es selbst proaktiv zu veröffentlichen. Schlussendlich, so dürr es auch sein mag, ist es schließlich das Bekenntnis zu Deutschland und seinen Werten, das so mancher als dringend notwendig betrachtet hatte.
Dass Özil jedoch in den folgenden Wochen immer mehr in eine Trotzhaltung verfallen ist, die sich nun in seinen Worten deutlich widerspiegelt, und sich weder weiterführend geäußert hat, noch die Problematik seines Treffens mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan ernsthaft verstanden zu haben scheint, ist natürlich dennoch verwerflich.
Trotz führt selten zur Einsicht – auch bei Özil nicht
Seine Ausführungen zu dem Foto mit dem türkischen Machthaber sind bestenfalls als dümmlich-naiv zu bezeichnen. Es mag ja sein, dass die Person Özil keine eigene “politische Intention” bei dem Termin hatte. Man ist auch geneigt, es diesem schüchternen Jungen zu glauben. Dass sein bloßes Erscheinen mitten im türkischen Wahlkampf aber natürlich ein politisches Signal ist, steht außer Frage. Ilkay Gündogan scheint diesen Zusammenhang irgendwann verstanden zu haben, bei Özil hat sich der Trotz als maßgebliche Stimmungslage durchgesetzt. Und der führt bekanntlich selten zur Einsicht.
Doch die Debatte um das Treffen mit Erdogan ist eine eigenständige. Man kann sie völlig losgelöst von dem betrachten, was Özil nun als Gründe für seine Entscheidung aufführt. Der Mittelfeldspieler beklagt sich nicht darüber, dass er Erdogan nicht treffen dürfe. Er beklagt auch nicht, dass er dafür Kritik einstecken muss – wenngleich er sie offenbar nicht versteht. Er beklagt sich vielmehr über den Rassismus, der ihm seit “Erdogate” entgegen schlägt. Und deshalb ist es auch problemlos möglich, Özils Haltung in Bezug auf Erdogan und seine Einschätzung darüber “nur das Amt” getroffen zu haben, für Blödsinn zu halten – und ihm gleichzeitig bei seinen weiteren Ausführungen Recht zu geben.
Differenzen müssen wir aushalten, Rassismus nicht
Das sollte man auch. Denn der gesellschaftlich leider zunehmend akzeptierte Rassismus, der sich in den letzten Wochen von DFB-Spitze über AfD-Vertreter bis hin zu degenerierten Stammtisch-Hetzern gezeigt hat, ist schlichtweg das größere Problem.
Dass einzelne Spieler manche Dinge politisch anders sehen oder wegen ihrer familiären Geschichte vielleicht auch einfach nicht ganz so frei im Umgang mit der politischen Führung eines ihrer Herkunftsländer sind, müssen wir nämlich akzeptieren. Auch wenn es schwer fällt. In Deutschland sind die Gedanken frei. Wir schreiben den Bürgern hier nicht vor, was sie zu denken haben. Unsere Gesellschaft muss es also aushalten können, wenn die öffentlich-vorherrschende Meinung und die Haltung eines Nationalspielers nicht zusammen passen.
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