“Mia san mia” als Pathosformel
Bei Spiegel Online beschreibt Peter Ahrens die emotionale Verklärung, die viele Bayern-Fans mit der Zeit verbinden, als Uli Hoeneß noch Präsident war und das „Mia san mia“ noch großgeschrieben wurde. Neben dem sozialen Engagement (ja, Uli Hoeneß hat tatsächlich viel für den deutschen Fußball getan) ging es dabei vor allem und den Umgang mit altgedienten Mitstreitern, denen Hoeneß eine Position im Verein schaffte. Natürlich weiß man nicht, wie Hoeneß die Abgänge von Guardiola und Schweinsteiger gehandhabt hätte, fest steht jedoch, dass der FCB bereits unter seiner Ägide als profitorientierte, international ausgerichtete und kompromisslose Maschine geführt wurde. [perfectpullquote align=”left” cite=”” link=”” color=”” class=”” size=””]Es ist also trotz allem erstaunlich, mit welcher Selbstverständlichkeit sowohl Hoeneß als auch Rummenigge sich vor der Weltöffentlichkeit als moralische Instanzen präsentieren.[/perfectpullquote] Von daher wird mit der Person Hoeneß erneut eine starke Emotionalität verbunden, die darüber hinaus noch durch seine Rhetorik befeuert wurde. Die minutiös geplanten emotionalen Ausbrüche sind bei weitem keine Affekthandlungen, sondern geschickt gesetzte Nadelstiche, die die öffentliche Wahrnehmung beeinflussen sollen, um dem FCB den Weg der Zielerreichung zu erleichtern. Das Credo „Mia san mia“ beschwört eine Nostalgie herauf, die in Zeiten der Internationalisierung des Vereins eigentlich nicht mehr aufrechtzuerhalten ist, da der Verein mittlerweile in solche Sphären vorgestoßen ist, dass die heimatlichen Wurzeln fast verloren gehen. Die Führungsspitze des FCB war in den letzten Jahrzehnten so strukturiert, dass die kühle, operative Entscheidungsgewalt durch Karl-Heinz Rummenigge verkörpert wurde. Dem gegenüber stand der „Mann des Volkes“ Hoeneß, der sich selbst gern als Wohltäter präsentierte. Rummenigge wird auch aufgrund seines Naturells eher als spröde und langweilig wahrgenommen, obwohl er die unangenehmen Entscheidungen durchdrückt. Hoeneß hingegen bedient Gefühl und Gemüt der Bayern-Fans.
Es gibt auch Postfaktisches im Fußball
Im Zeitalter des Postfaktischen ist eine solche Gemengelage natürlich mit Vorsicht zu genießen. Es war erstaunlich, mit welcher Vorhersagbarkeit Hoeneß das Marketingkonstrukt Red Bull Leipzig als Zielscheibe auserkor. Mit einer ähnlichen Metaphorik, die eine Unterscheidung in „Die“ und „Wir“ zulässt, versammelt Hoeneß die breiten Massen an Bayern-Fans hinter sich, um dem potenten Gegner aus Fuschl am See die Stirn zu bieten. Dabei macht er sich die Angst vor dem Statusverlust zunutze, die viele Bayern-Fans umtreibt: der Emporkömmling verfügt nicht nur über jede Menge Kohle, sondern weist auch das für sportlichen Erfolg notwendige Know-how auf, was man nicht unbedingt immer einkaufen kann. Noch liegt der Personaletat von RBL bei einem Viertel von dem, was die Bayern jährlich für ihre Profimannschaft ausgeben, doch es ist davon auszugehen, dass sich dies in den nächsten Jahren ändern wird. RBL wird finanziell noch größere Sprünge machen als bisher, weswegen sich die Bayern in ihrer Position als Marktführer in Deutschland bedroht sehen. Wenn man dann mit seiner Rhetorik genau diese Angst bedient, kann man sich der Unterstützung seiner Fans sicher sein. Mit solchen Strategien sind schließlich schon Männer in den USA zum Präsidenten gewählt worden.
In diesem Zusammenhang passen auch die Aussagen von Karl-Heinz Rummenigge, dass „es zum Teil bittere Kampagnen“ gegen den ehemaligen Trainer Pep Guardiola gegeben hätte, die „teilweise übel waren“. Weiterhin sagte Rummenigge dazu Folgendes: „Wenn man sich manchmal Kampagnenmuster anschaut, wie beim Brexit oder bei der US-Wahl, wird man Ähnlichkeiten feststellen zu der Polemik gegen Pep Guardiola“. Ergänzt man also zu der Angst vor dem Statusverlust noch ein wenig Kritik an den Medien, kann man sich der Unterstützung der Anhänger sicher sein. Schließlich gab es ja tosenden Applaus, also kann es gar nicht falsch sein.
Es ist also trotz allem erstaunlich, mit welcher Selbstverständlichkeit sowohl Hoeneß als auch Rummenigge sich vor der Weltöffentlichkeit als moralische Instanzen präsentieren, obwohl beide bereits mit dem Gesetz in Konflikt kamen. Die Steuergeschichte von Hoeneß wurde bereits angesprochen, KHR ist aufgrund einer Steuerstraftat aus dem Jahr 2013 zumindest vorbestraft. Es ist jedoch zumindest kritisch zu beobachten, dass Emotionalität im Fußball mehr als sonst über Vernunft siegt, obwohl an Hoeneß’ Wiederwahl ja wenigstens rechtlich nichts zu beanstanden ist. Es sagt jedoch einiges über die Mitgliederinnen und Mitglieder des FC Bayern aus, wenn diese bereit sind, Hoeneß wieder an ihre Spitze zu wählen. Stellt man sich ein ähnliches Szenario außerhalb des Fußballkontexts vor, gerät man schnell an die Grenzen der Vorstellungskraft. So ist es beispielsweise nicht vorstellbar, dass Klaus Zumwinkel jemals wieder zum Vorstandsvorsitzenden der Deutschen Post AG gewählt wird, die ja mit 60 Milliarden Euro Umsatz wirtschaftlich gesehen ja sogar noch ein wenig größer als der FC Bayern ist. Fun Fact am Rande: Zumwinkel hatte Steuern in Höhe von knapp einer Million Euro hinterzogen. Auch für Christian Wulff wird es wohl so schnell keine Wiederwahl als Bundespräsident geben, obwohl das ehemalige niedersächsische Ministerpräsident laut Heribert Prantl von der Süddeutschen ein „Muster für Unverhältnismäßigkeit“ gewesen war, von den medienwissenschaftlichen und rechtlichen Begleiterscheinungen mal abgesehen.
Es braucht also den Fußball als gesellschaftliche Instanz, um solche Comebacks doch zu ermöglichen. Dies wirft die Frage auf, welches Verständnis der Großteil der Fußballfans von Moralität haben – obwohl jedem Straftäter natürlich das Recht auf Resozialisierung zusteht. Und umso mehr gilt für Fans des effzeh, mit der momentanen Situation glücklich zu sein – der Verein wird nach außen hin von Personen vertreten, die ihren Posten professionell interpretieren. Dass man nicht immer einer Meinung ist, scheint logisch. Allerdings kann man sich insofern auf die Entscheidungsträger verlassen, als dass sie Werte wie Moral und Anstand größer schreiben als sportlichen Erfolg. Der Verzicht auf populistische Äußerungen ist dabei mehr als wohltuend.