Es mutet bizarr an, wenn man darüber nachdenkt, dass die DFL vor einer Woche noch fest darauf bestand, den 26. Spieltag in der Bundesliga durchziehen zu wollen. Vor neun Tagen spielte mit Atletico Madrid eine Mannschaft aus einer stark betroffenen Region in Liverpool, die Bilder des feiernden Diego Simeone hatten damals schon etwas Makabres. Seither ist viel passiert.
Die Pandemie des Corona-Virus und die Maßnahmen zu dessen Eindämmungen sorgen dafür, dass unser aller Leben sich verändert und jetzt plötzlich ganz basale Dinge das Denken bestimmen – die Sicherheit und Gesundheit von Familie und Freunden, genug Nahrungsmittel und ein Dach über dem Kopf zu haben. Das soll nicht heißen, dass sie es sonst nicht tun, nur eben vielleicht nicht ganz so deutlich, weil andere Dinge dominieren – der Stress im Job, Freizeitaktivitäten oder auch Sport und damit schlussendlich auch der Fußball.
Fußball ist als wichtigste Gewohnheit weggebrochen
Während vor einer Woche noch die große Frage war, wann der Fußballbetrieb endlich gestoppt wird, machen sich viele in dieser dramatischen Woche Gedanken darüber, wann und ob es überhaupt weitergeht mit diesem Sport. Denn: Fußball war in Prä-Corona-Zeiten die wichtigste Gewohnheit für viele von uns. Der Fußball schwang immer mit, ohne dass wir uns großartig darüber den Kopf zerbrochen hätten. Am Wochenende ist Bundesliga, unter der Woche Champions League, im Mai qualifiziert sich der 1. FC Köln für die Europa League, im Sommer gibt es Transfergerüchte und manchmal ein großes Turnier. Für das Jahr 2020 hat sich das mit der Europameisterschaft nun ja eh schon erledigt, der Rest wohl auch. Ich frage mich, wann das alles wiederkommen wird.
Aktuell sind alle Tage gleich, Normalität wechselt sich ab mit bedrückenden Fragen über das, was als Nächstes kommt. Dabei taucht auch häufig die Frage auf, was denn eigentlich wirklich wichtig ist und ob der Fußball dazugehört – und ob man in diesen Zeiten überhaupt an Fußball denken darf.
Ja, die Lage ist schlimm – und der Fußball fehlt mir
Natürlich ist Fußball auch ein Business, und das nicht zu knapp. Es gibt genügend Ansatzpunkte, um sauer über die Entwicklung des Sports zu sein, das bin ich auch. Aber Fußball hat dann doch immer einen zu großen Raum in meinem Leben eingenommen, als dass ich jetzt sagen könnte, ok, dann war’s das halt, mach ich eben was anderes. Fußball ist für uns alle auch Unterhaltung, Ablenkung, Flucht vom Alltag, obwohl ich durch meinen Beruf schon mehr Abstand dazu gewonnen habe. Der Weg zum Stadion, die Flutlichtmasten über der Stadt oder der Geruch von frisch gemähtem Rasen – es sind diese Eindrücke, die den Fußball für uns ausmachen. Es sind die Stunden vor DAZN, weil wichtige Spiele in der Serie A anstehen, es sind die Freundinnen und Freunde, in deren Armen man liegt, wenn ein hoffnungslos überbezahlter junger Millionär in der Nachspielzeit gegen einen anderen Verein per abgefälschtem Distanzschuss ein Tor schießt.
Fußball verschlingt in einer normalen Woche auch mindestens zehn Stunden meiner Zeit, weil ich selbst noch auf dem Platz stehe. Mein Mitspieler Tobias Ahrens hat für 11Freunde aufgeschrieben, warum er es jetzt schon vermisst, gemeinsam mit den Anderen aus unserer Mannschaft auf dem Platz zu stehen – seinen Text lege ich allen wärmstens ans Herz. Das alles heißt: Fußball ist ein kulturelles Phänomen in vielen Ausprägungsformen. Fußball ist eine gemeinsame Sprache, Fußball ist unsere wichtigste Gewohnheit. Der Fußball spiegelt die Welt wider, in der er gespielt wird.
Wann wird es wie weitergehen?
Doch je länger die Zeit ohne Fußball nun andauern wird, desto mehr verschwimmen diese Erinnerungen. Unser Interesse gilt momentan zurecht anderen Dingen, auch unsere Gewohnheiten verändern sich. Der Shutdown des gesellschaftlichen Lebens zwingt uns dazu, uns mit anderen Dingen zu beschäftigen.
Dabei hilft es auch nicht, dass mit Jonas Schmidt-Chanasit gestern ein weiterer Virologe aussprach, was wir alle eigentlich ahnen und befürchten: Im Jahr 2021 wird wohl gar kein Fußball mehr gespielt. „Wir sehen ja, wie die Situation in Europa ist und was uns noch bevorsteht”, sagte er dem NDR. „Und selbst wenn es uns nicht so schlimm treffen sollte, heißt das noch lange nicht, dass der Fußball wieder anfangen darf. Denn das würde natürlich wieder zu einer deutlichen Verschärfung der Situation führen”, ergänzte er. Das klingt logisch, das klingt nachvollziehbar – aber es fällt schwer, es zu realisieren.
Es ist angebracht, sich auch jetzt Gedanken über die Zukunft des Fußballs zu machen
Einer, der ein anderes Szenario aufzeichnet, ist Lars-Christer Olsson. Das liegt auch an seiner Tätigkeit, denn der Schwede ist Präsident der European Professional Football Leagues, einem Zusammenschluss der wichtigsten Fußball-Ligen Europas. Am Telefon sagte er europäischen Fußballjournalisten unter der Woche: „Wir müssen uns gegenseitig helfen und den Leuten, die zuhause sitzen, Unterhaltung bringen. Aber das wird von den Regierungen abhängen.” Sein Anliegen ist verständlich, die Umsetzung wird schwierig – gerade die Landesregierungen sind ihrerseits abhängig von der Ausbreitung der Pandemie. „Es liegt nicht an uns”, lautete die knappe Einschätzung der Lage durch UEFA-Präsident Aleksander Ceferin. Wenn es irgendwann in den nächsten Monaten überhaupt mit Fußball weitergehen soll, wird das jede Menge Flexibilität und Anpassungsvermögen brauchen.
Fußball als Sport ist ein wichtiges Kulturgut, das gerade vielen Menschen fehlt, genauso wie die Besuche von Kinos oder Theatern. Als Ersatz kann man natürlich alte Spiele auf YouTube anschauen, aber es ist einfach nicht dasselbe. Und weil es eben so viele Menschen betrifft, glaube ich am Ende schon, dass es angebracht ist, sich über die Zukunft des Spiels zu sorgen.
Und bei all dem treibt mich der Gedanke, wie es wohl sein wird, wenn der FC im ersten Spiel nach der Pause wieder ein Tor schießt. Wenn ich zum ersten Mal selbst wieder auf dem Feld stehe. Es wird anders sein, klar, aber es wird gut. Denn der Fußball gibt uns Halt, er schenkt uns das, was das Leben lebenswert macht. Deswegen ist es nicht egal, was aus diesem Sport wird.