Sie haben es tatsächlich geschafft. Der Bundesliga und ihren Lobbyisten ist es gelungen, die Politik von der Wiederaufnahme des Spielbetriebs zu überzeugen. Während im Laufe des Mittwochs noch ein Zeitpunkt in der zweiten Mai-Hälfte diskutiert wurde, machte die DFL am späten Abend Nägel mit Köpfen und versendete eine E-Mail an die 36 Profivereine. Darin hieß es, dass es bereits am Wochenende des 15. Mai weitergehen soll. Diese Entscheidung sickerte durch, bevor die Vereine sich am Donnerstag zu einer Videokonferenz treffen werden.
Am übernächsten Wochenende wird die Bundesliga also wieder ihren Betrieb aufnehmen, nachdem das letzte Bundesliga-Spiel am 11. März stattgefunden hatte. In den letzten zwei Monaten präsentierte sich die Fußballindustrie in Deutschland als eine Branche im Krisenmodus, die neben Verhandlungen mit TV-Rechteinhabern und Hintergrundgesprächen mit der Politik mehrere Drahtseilakte in der öffentlichen Kommunikation bewerkstelligen musste. Eines muss DFL-Chef Christian Seifert in dieser Phase zugute gehalten werden: Er hat eine sehr schwierige Aufgabe gemeistert, woran nur die wenigsten nur wirklich geglaubt hatten. Inmitten der immer noch (!) grassierenden Coronavirus-Pandemie ist die Bundesliga der erste große sportliche Wettbewerb weltweit, der wieder anläuft.
Die Gesundheit steht an erster Stelle – na klar
Die Gesundheit steht dabei für die Verantwortlichen an erster Stelle, wie sie mantraartig in den letzten Wochen betonten, spätestens seit der Veröffentlichung des medizinischen Konzepts von DFL und DFB. Es ist schön, dass diese Maxime in der Kommunikation nach außen platziert wird, an einigen Standorten erfuhr man aber am vergangenen Wochenende sehr deutlich, was mit Spielern passiert, die Zweifel am Vorgehen äußern. An dieser Stelle liebe Grüße an Birger Verstraetes Lebensgefährtin in Belgien. Hoffentlich geht es ihr gut.
Denn das der Gesundheitsschutz für die Fußball-Bosse vielleicht doch nicht die oberste Leitlinie war, verdeutlichten insbesondere die Macher aus Frankfurt, Dortmund und München. Seifert und seine Helfer Hans-Joachim Watzke und Karl-Heinz Rummenigge versuchten in den letzten Wochen, ein Szenario heraufzubeschwören, in dem ein kompletter Zusammenbruch der Bundesliga drohte – weil eben die Gelder der TV-Anstalten fehlten, die viele Klubs fürs Überleben brauchen. Von daher nahm es eigentlich nur noch mit einem leichten Kopfschütteln zu Kenntnis, dass in den vergangenen Tagen immer mehr durchsickerte, dass die Vereine das Geld so oder so bekommen würden, was ja eigentlich ein wenig Druck vom Kessel hätte nehmen müssen. Aber gut, wen interessiert das jetzt noch.
Wen kümmert schon das Risiko?
Die intensive Arbeit Seiferts trägt nun ihre Früchte, die Bundesliga kann weitermachen im Mai, alles easy. Die Signale der Politik, es dem deutschen Fußball selbst zu überlassen, nutzte die DFL-Zentrale dann bereits einige Stunden nach der Pressekonferenz, um die Vereine über die Rückkehr in den Spielbetrieb zu informieren – denn Zeit ist schließlich Geld. Und dass das Geld fließt, ist aktuell sowieso das Wichtigste. Wen kümmert es da schon, dass die Mannschaften nun maximal nur acht Tage Training im Wettkampfmodus haben können, nachdem sie zuvor zwei Monate nur eingeschränkt trainieren konnten. Wen kümmert es da schon, dass aufgrund der neun ausstehenden Spieltage in sieben Wochen eine anstrengende Phase wartet, in der das Verletzungsrisiko für die Spieler massiv ansteigen wird. Von den Risiken einer möglichen Infektion mit Covid-19 mal ganz zu schweigen.
Ab sofort gehen die Vereine offenbar in eine selbst verordnete und selbst definierte Quarantäne, um vor dem magischen Datum des 15. Mai die Kontakte zur Außenwelt weitestgehend zu reduzieren. Denn wir wissen alle: Die Gesundheit steht an erster Stelle. Und dass in der Beschlussvorlage für die Abstimmung der Bundesregierung mit den Ministerpräsidenten noch etwas von zwei Wochen in Quarantäne stand, kümmert ja dann am Ende auch niemanden mehr. Und was macht es schon aus, wenn man statt der 20.000 Corona-Tests wohl doch noch ein paar mehr brauchen wird, an solchen Details muss man sich ja jetzt nicht aufhängen, schließlich spielt bald Augsburg gegen Wolfsburg.
Nicht alle freuen sich
In Köln freuten sich die Verantwortlichen wenig überraschend über die “existenziell wichtige Entscheidung von Bund und Ländern”. Nach zwei Monaten Pause dürfen die “Geißböcke” wieder ran, FC-Geschäftsführer Alexander Wehrle war dementsprechend erfreut. „Diesen Vertrauensvorschuss nehmen wir alle sehr ernst und stellen unsere persönlichen Interessen zurück, um es möglich zu machen, dass die Saison zu Ende gespielt werden kann.” Ganz klar ist allerdings nicht, welche persönlichen Interessen er meint, wenn man von seinem siebenstelligen Gehalt pro Jahr vielleicht absieht.
Sein Kollege Horst Heldt war natürlich auch zufrieden und äußert seine Freude so: „Wir dürfen wieder Fußball spielen! Das ist weit mehr als unser Job, das ist unsere Leidenschaft, und ich kann es – bei allem Bedauern über die Einschränkungen – kaum erwarten, wenn es wieder um Punkte für den FC, für unsere Fans und unsere Stadt geht.” Dass Fans und vielleicht auch die Stadt momentan andere Probleme haben und in die Freudengesänge über die Wiederaufnahme der Bundesliga-Saison nicht einstimmen mögen – geschenkt.
Eine komplette Demaskierung einer Branche
Ob die Entscheidung in allen Gesundheitsämtern an den Bundesliga-Standorten ebenfalls so begeistert aufgefasst wurde, ist nicht bekannt. Politik und DFL haben es nämlich geschafft, die Mitarbeiter:innen der Behörden in die Verantwortung zu ziehen und sie entscheiden zu lassen, wann eine Quarantäne für eine Mannschaft notwendig ist und wann nicht – damit besitzen die Beamten nunmehr die Macht, einen ganze Industrie in die Knie zu zwingen, wenn nämlich eine Mannschaft in Quarantäne muss und damit der Spielbetrieb stoppt. Denn dann ist es unmöglich, die Saison bis zum 30. Juni zu Ende zu bringen.
Und, bei allem für die Machtbesessenheit der Fußball-Funktionäre, auch sie haben das Heft des Handelns trotz scheinbar bester Vorbereitung nicht in der Hand. Denn immer noch bestimmt Covid-19 den Takt beim schwierigen Tanz zwischen Einschränkungen und Öffnungen. Von sportlichem Interesse ist die Saison ohnehin nicht mehr, haben doch die letzten Wochen eindrucksvoll unter Beweis gestellt, dass es der deutschen Fußballindustrie weder um Gesundheit noch um Solidarität geht.
Es geht einzig und allein, man kann es nicht oft genug betonen, ums Geld. Die Branche hat sich zuletzt wissentlich und ohne Rücksicht auf Verluste demaskiert, vielleicht nicht zur falschen Zeit. Denn wer ohnehin gehadert hat, ob man noch Emotionen und Leidenschaft in den Sport stecken sollte, dürfte sich nun darüber freuen, dass die DFL und ihre Mitglieder ihm die Entscheidung abgenommen hat. In Deutschland gelingt es dem Fußball nämlich immer, seine Interessen bis zum bitteren Ende durchzusetzen – so viel haben wir gelernt.