Mit der Fankultur hat sich auch eine bestimmte Art und Weise der Kommunikation entwickelt – die hartgesottensten Anhänger wollen mit ihren Darbietungen ganz gezielt schockieren. Die Multiplikation ihres Motivs durch die mediale Aufmerksamkeit als direkte Folge der Provokation ist dabei einkalkuliert. Es geht also vor allem um Aufmerksamkeit. Und im Fall Hopp vermutlich auch darum, dem Mäzen, der sich immer wieder ausführlich öffentlich persönlich betroffen von den Beleidigungen und Plakaten gezeigt hat, die Lust an seinem „Projekt“ zu nehmen.
Schlussendlich geht es bei den Protesten inhaltlich aber wohl immer noch darum: Die TSG ist neben Leverkusen, Wolfsburg, Leipzig und bald wohl auch Hannover, einer der Bundesligisten, die nach Ansicht vieler Fans gegen wichtige Grundregeln der Liga verstoßen. Die finanziellen Vorteile, die diese Clubs genießen, werden als unfair, die formale Konstruktion der in Investorenhand befindlichen Fußballfirmen als weit entfernt vom demokratischen Vereinsgedanken wahrgenommen.
Wer zahlt, bestimmt eben die Musik?
Der Investor regiert, diktiert, bestimmt und lenkt – so macht es für viele Fans bei diesen Vereinen den Eindruck. Wer zahlt, bestimmt eben die Musik. Im horizontalen Gewerbe, das von den Fans bei ihrem Protest gerne zum Vergleich herangezogen wird, läuft das übrigens (leider) genauso. Die Analogie der „Fußballhure“ mag also derbe und die Beleidigungen Hopps als „Sohn einer Hure“, nur um ihn zu provozieren, wahnsinnig kindisch sein. Die inhaltliche Kritik dahinter ist dennoch vorhanden und hat durchaus Substanz.
Hoffenheim und sein Mäzen klagen ihr Leid vielleicht also auch einfach dermaßen laut, um davon abzulenken, dass es Dinge in Sinsheim gibt, die man kritisch hinterfragen sollte. Dass regelmäßig ein riesiges Bohei veranstaltet wird, wenn mit Hopp ein Mäzen, der nicht einmal ein offizielles Amt bei der TSG 1899 Hoffenheim bekleidet, in den Fokus rückt, wäre so etwas beispielsweise. Inwiefern der Deutsche Fußball-Bund überhaupt dafür zuständig ist, einen außenstehenden Dritten zu schützen, und warum er das in der Vergangenheit bei heftigen Beleidigungen gegenüber Bayern-Boss Uli Hoeneß oder dem ehemaligen Nationaltorhüter Andreas Köpke nicht einmal bei qua beruflicher Position zum Bundesliga-System gehörenden Personen getan hat, ist ebenfalls eine durchaus interessante Frage.
Subkultur? Was für eine Subkultur?
Man kann aber natürlich auch die Hintergründe mal wieder gänzlich außer Acht lassen, die Fan-Aktionen mit Adjektiven wie „ekelhaft“, „widerlich“, „erschütternd“ überziehen und weiter ganz feste die Augen davor verschließen, dass sich in Fankurven seit Anbeginn der Zeiten nicht mehr und nicht weniger als eine Subkultur offenbart.
So wie politische Satiremagazine zur Welt der Mächtigen dazugehören, bildet die Ultra-Bewegung mit ihren derben Mitteln und jugendlichen Provokationen ebenfalls einen etablierten Raum für Rebellion gegen „die da oben“. In der Musikwelt hatte diese Rolle erst der Punk, später der Rap inne und vermutlich sind Ultras im Grunde auch nichts anderes als genau das: Die Punks der Fußballwelt.
Das sind sie, seit es diese Welt gibt. Welche Musik sich derjenige wünscht, der bezahlt, war ihnen ebenfalls schon immer vollkommen egal. Sie bezahlen ihre Tickets ja schließlich auch. Und umso mehr man versucht, diese Rebellion zu unterdrücken, desto größer scheint auf der anderen Seite die Bereitschaft, Grenzen zu überschreiten. Wie so oft auf dieser Welt sind die Prinzipien, die auf Makro- wie auf Mikro-Ebene wirken, nicht all zu unterschiedlich. Das ist bei Subkulturen auch nicht anders als bei pubertierenden Jugendlichen.
Keine neue Dimension des Hasses, einfach nur Punk
Was wir in den Fankurven sehen, ist keine „neue Dimension des Hasses“, wie Hopp im April noch klagte. Es ist einfach nur eine weitere Version einer der ältesten Geschichten der Menschheit: Klein gegen groß, arm gegen reich, ohnmächtig gegen mächtig, David gegen Goliath.
Im Gegensatz zu den früheren Fällen Hoeneß und Köpke neigt Dietmar Hopp und seine Entourage jedoch dazu, das Ganze mit stetigen Forderungen nach Konsequenzen und öffentlichem Wehklagen noch zu befeuern. Dass der DFB sich dabei gerne zum Erfüllungsgehilfen für die Wünsche der sensiblen Mäzensseele macht, verfestigt den Eindruck des „Fußballmörders“ aus Fansicht nur noch weiter.
Für die Anhänger wird Hopp so nicht nur zum roten Tuch, weil er die TSG mit seinem Geld in die erste Liga katapultiert hat, während die eigenen Vereine sich mühsam Schritt für Schritt nach oben mühen müssen. Sondern auch noch zu einem der Hauptverantwortlichen für die fortschreitende Eindämmung von freier Meinungsäußerung und Protest in den Fankurven.
Hopp als Triebfeder der Abschaffung der Fankultur?
Neben Red Bull Leipzig wird bei vielen Ultras vor allem Hopp als Triebfeder hinter drakonischen DFB-Strafen für teilweise harmlose Banner oder Schmähgesänge identifiziert. Dass man in Sinsheim in der Vergangenheit probiert hat, dementsprechende Gesänge bei Heimspielen mit einer Hochfrequenztonanlage zu unterbinden, haben viele Fans ebenfalls nicht vergessen.
Man kann sich – wie bei provokanten Titanic-Bildchen – natürlich auf den Standpunkt zurückzuziehen, das alles sei eine verrohte Unverschämtheit, die dringend Konsequenzen für die Urheber haben müsse. Derartige Beleidigungen seien geschmacklos und inakzeptabel – und fertig. Das kann man machen und das macht man in Hoffenheim ja derzeit auch.
Wenn man den Protest auf die bloße Beleidigung reduziert und die inhaltliche Aussage komplett ignoriert, ist das jedoch entweder ein Zeichen für einen Intellekt, der die tiefere Ebene der Kritik geistig nicht erfassen kann. Das dürfte bei erfolgreichen Wirtschaftsbossen wie Hopp wohl kaum der Fall sein. Oder ein Zeichen dafür, dass der Mäzen weiterhin versucht, die Regeln der Party, auf die er sich einst selbst eingeladen hatte, nach seinem Gusto zu verändern. Für leisere Stimmen wird das in Kurven allerdings nicht sorgen – erst einmal zumindest nicht.
Hopp, der “Fußballmörder” – mehr als eine Beleidigung?
Sollte Hopp jedoch Erfolg haben, wird die aktuelle Fankultur, mit ihren Verfehlungen und ihren Vorzügen, abgelöst werden durch eine friedlich, unkritische Kunden-Mentalität auf den Rängen, die man sich in Hoffenheim und Leipzig ohnehin zu wünschen scheint. In der Musikwelt ist das übrigens auch passiert: Mit Punk hat das meiste, was unter diesem Label von großen Plattenfirmen vertrieben wird, noch so viel zu tun wie Vollmond mit Sonnenbrand.
Dem Papst wäre das Kunststück, die provokant-beleidigende Satire vor Gericht zu unterbinden übrigens genauso wenig gelungen, wie es Alice Weidel gelang, vor Gericht eine einstweilige Verfügung gegen den NDR zu erwirken. Da in der Fußballwelt aber der DFB und eben kein vernünftiges Gericht das Sagen hat, könnte Hopp, Rangnick und Co. ihr Vorhaben mittelfristig aber vielleicht sogar gelingen.
Zumindest aus Sicht derer, für die das Fansein vor allem von der gesellschaftlichen Ungezwungenheit in den Kurven und der kritischen Auseinandersetzung mit dem Business geprägt ist, dürfte die Bezeichnung „Fußballmörder“ spätestens dann wohl ins Schwarze getroffen haben. Den Einsatz derber Methoden dürften sie dann retrospektiv ebenfalls als so gerechtfertigt betrachten, wie die durchaus unfaire Steinschleuder, die David einst benutzte, um sich seines übermächtigen Gegners Goliath zu erwehren. Bis dahin dürfte in Sachen Hopp und Fankultur aber wohl erst einmal noch eine Weile lang gelten: Same procedure as every year.
Erstveröffentlichung unter dem Titel “Hoffenheim, Hopp und die Kölner Fans: Mächtiger als Papst und Erdogan?” am 6. November 2017