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Meinung

Götterdämmerung beim DFB: Symptome eines kränkelnden Systems

Das DFB-Team scheidet bei der Weltmeisterschaft in Russland bereits in der Vorrunde aus und sorgt so für einen großen Knall in Fußball-Deutschland.

STUTTGART, GERMANY - AUGUST 30: Oliver Bierhoff, team manager of Germany arrives for a press conference of the German National team at Mercedes-Benz-Museum on August 30, 2017 in Stuttgart, Germany. (Photo by Alexander Hassenstein/Bongarts/Getty Images)
Foto: Alexander Hassenstein/Bongarts/Getty Images

Tja, jetzt ist er eingetreten, der vorher so unwahrscheinliche Fall: Ein in Sachen Personal und Finanzen bestens ausgerüsteter Fußballverband sieht sein Aushängeschild bei einem großen internationalen Turnier bereits in der Vorrunde die Segel streicheln. Plötzlich bricht Panik aus in der Otto-Fleck-Schneise – sind wir eventuell doch nicht so gut? Fest steht: Der Zustand des DFB im Jahr 2018 hat nun auch aus sportlicher Sicht Risse bekommen. Das frühe Ausscheiden des Titelverteidigers ist nun das offenkundigste Symptom eines kränkelnden Verbands, der den Kontakt zu seiner Basis mittlerweile komplett verloren hat. Deswegen quittierten viele leidenschaftliche Fußball-Fans, eigentlich die beste Zielgruppe für den DFB, den letzten Platz in der Gruppe F mit einem müden Achselzucken. Kann doch eigentlich nicht sein, oder?

Doch bleiben wir zuerst bei den harten Fakten: Die deutsche Nationalmannschaft ist vier Jahre nach ihrem Triumph in Brasilien bei der Weltmeisterschaft in Russland in der Vorrunde ausgeschieden. Nach der 0:2-Niederlage gegen Südkorea endet der Traum von der Titelverteidigung, zudem ist es gleichzeitig die schlechteste Weltmeisterschaft der Geschichte. Der zwischenzeitliche Last-Minute-Erfolg gegen Schweden war nicht das erhoffte Momentum, mit dem die Mannschaft die offenkundig schwache Form übertünchen konnte – gegen ein an diesem Tag bockstarkes Team aus Südkorea, das insbesondere mit seinem Defensivkonzept und seiner Hingabe überzeugte, verlor das Team von Joachim Löw nicht einmal unverdient.

Erster Ansatzpunkt für den DFB: Das Sportliche

Dementsprechend war es auch keine Überraschung, dass nach dem Ausscheiden in Deutschland zwar kein wahrnehmbares, aber ein gefühltes Erdbeben zu registrieren war – der Weltmeister, mit viel Qualität im Kader und einem allseits als Fußballfachmann anerkannten Trainer an der Seitenlinie, ausgeschieden in einer Gruppe mit Mexiko, Schweden und Südkorea. Für viele Menschen scheint ein solches Ereignis interessanterweise einer persönlichen Beleidigung nahezukommen und dies ist ist ein Umstand, den jeder mit sich selbst klären und aushandeln muss. Die medialen Reflexe jedenfalls setzen wie automatisch ein und widmeten sich dem Aus des Weltmeisters, welches aus interpretatorischer Sicht natürlich jede Menge Ansatzpunkte bot: “Deutschland, der Weltmeister, ausgeschieden in der Vorrunde!”

Doch bleiben wir erst einmal beim rein Sportlichen, zumindest oberflächlich: Man wird das Gefühl nicht los, dass mit dem Ausscheiden des DFB-Teams im Jahr 2018 eine zwölfjährige Ära endet, die natürlich eng mit dem Namen Joachim Löw verbunden ist. Dieser ist nun wahrlich kein Mensch, der eine Entscheidung trifft, ohne darüber nachzudenken, weswegen momentan noch komplett offen ist, ob er auch in den kommenden Monaten das Team coachen wird. In jedem Fall gehört Löw aber zu den prägenden Figuren der Renaissance des deutschen Verbandsfußballs. Auf operativer Ebene waren es neben ihm noch Jürgen Klinsmann und Matthias Sammer, die der Professionalisierung des DFB in Sachen Nationalmannschaft entscheidende Impulse gaben. Eher im Hintergrund agierte Oliver Bierhoff als Mastermind, der sich der konzeptionellen Ausrichtung des DFB widmete und dafür auch vor groß angelegten, aber leicht nervigen Marketing-Kampagnen nicht zurückschreckte.

2006-2018: Ein Zyklus des DFB, gekrönt durch den Weltmeister-Titel

Nach den Tiefpunkten des Verbands, der 2000 bei der EM in Belgien und den Niederlanden sang- und klanglos ausschied und dasselbe Kunststück 2004 in Portugal noch einmal wiederholte, brach man beim weltgrößten Fußballverband mit alten Traditionen und revolutionierte die Jugend- und Trainerausbildung. Fortan war es auch kein Tabu mehr, dass ein Spieler ohne 100 Bundesliga-Spiele für die Nationalmannschaft nominiert wurde. Nachwuchsleistungszentren wurden für Bundesliga-Vereine Pflicht, was der Jugendarbeit im Spitzenbereich zuträglich war. Zwischendurch, im Jahr 2002, konnte Deutschland aufgrund eines passenden Turnierbaumes und individuell starker Spieler wie Kahn und Ballack tatsächlich ins Finale vorstoßen, was so ein wenig das letzte Aufbäumen eines damals schon kränkelnden Systems war.

Ausgangspunkt der neuen, positiven Entwicklung war dann das viel zitierte “Sommermärchen” im Jahr 2006, in dem die deutsche Nationalmannschaft erstmals wieder attraktiven Fußball bot und dazu mit jungen, hungrigen Spielern (Podolski, Schweinsteiger, Lahm) im Land für Begeisterung sorgte. 2008 waren diese ebenfalls mit dabei, genauso wie das Aushängeschild des prä-Löwschen DFB, der “Capitano” Michael Ballack. Im Übergang zur WM 2010 jedoch entwickelte sich ein Korsett, das die Mannschaft auf Jahre hin prägen sollte: Die U-21-Europameister aus dem Vorjahr um Neuer, Boateng, Hummels, Khedira und Özil übernahmen sofort Führungsrollen und ergänzten sich mit den bereits etwas erfahreneren Spielern wie Podolski, Schweinsteiger oder Arne Friedrich. Nach dem Ausscheiden gegen Spanien sicherte man sich zum zweiten Mal in Folge den dritten Platz, als man Uruguay besiegte.

Über den Titel in Brasilien zum Aus in Russland

Bevor man 2014 in Brasilien ins Turnier startete, war bei den Spielern zu spüren, dass man nach der eher enttäuschenden EM 2012 nun endlich den großen Sprung wagen wollte – das Finale war das Ziel. Um gleich mal mit allen Illusionen auszuräumen: Durchgängig spektakulärer Fußball war bei der WM in Brasilien von den Deutschen auch nicht zu sehen, eher pragmatischen Erfolgen wie gegen Algerien oder Frankreich stand (natürlich) das legendäre 7:1 gegen Brasilien gegenüber. Durch große Hingabe, eine passende Körpersprache und vor allen Dingen unbändigen Willen bezwang man Argentinien im Finale und setzte sich nach achtjähriger Vorarbeit sportlich die Krone auf. Eine Gruppe von Spielern, die bereits lange miteinander arbeitete, war am Ziel angekommen.

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