In der Datei “Gewalttäter Sport” werden nicht nur Gewalttäter gesammelt, erklärt die Bundesregierung. Es wäre konsequent, sie abzuschaffen. Ein Kommentar.
Stell Dir vor, Du gehst am Wochenende feiern und dann, wie das manchmal so ist, geraten in der Kneipe, die Du dir ausgesucht hast, zwei Platzhirsche aneinander. Die Fetzen fliegen, vermutlich mal wieder aus niederen Balzbeweggründen. Du stehst daneben, hast aber eigentlich gar nichts damit zu tun. Die Polizei rückt an, Personalien und Aussagen werden aufgenommen, auch deine. Die Stinkstiefel werden abgeführt, die Party geht weiter. Keine große Sache, oder?
Doch ein paar Wochen später fährst Du dann, so wie immer schon, mit dem Auto zur Arbeit und gerätst in eine Polizeikontrolle. Kann ja mal vorkommen. Statt nur schnell Führerschein und Fahrzeugpapiere zu kontrollieren, legen die Beamten auf einmal einen dir völlig unbekannten Eifer an den Tag. Aber warum? Sie machen das nicht, weil sie einen schlechten Tag haben, oder sie deine Visage nicht mögen, sondern weil dein Name seit der Prügelei vor ein paar Wochen in der Kneipe in einer „Gewalttäter“-Datei geführt wird – ohne dass du davon wüsstest. Wäre das okay für Dich?
„Gewalttäter Sport“: Sammeln, was man sammeln kann
Zum Glück ist dieses Szenario nicht die Realität – zumindest nicht, wenn es um eine Kneipenschlägerei geht. Doch im Fußballkontext ist genau diese Art der Erfassung seit Jahren üblich. „Gewalttäter Sport“, heißt die die Datei, in der man als Fußballfan schneller landet, als man denken würde – ohne darüber in Kenntnis gesetzt zu werden. Denn wie die Bundesregierung nun eingeräumt hat, befinden sich in dieser Datei eben mitnichten nur „Gewalttäter“. Viel mehr wird nahezu alles gesammelt, was man sammeln kann.
„Beschuldigte“, „Verdächtige“, „Verurteilte“, „Personen, gegen die Personalienfeststellungen angeordnet wurden, weil bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass die Betroffenen anlassbezogene Straftaten von erheblicher Bedeutung begehen werden“ – all jene finden sich in der Datei wieder. Im Klartext: Menschen, die vermutlich wegen örtlicher Nähe zum Geschehen eine Personalienfeststellung über sich ergehen lassen mussten, sind genauso „Gewalttäter Sport“ wie Menschen, gegen die wegen irgendeiner Straftat im Fußballkontext ermittelt wird – unabhängig davon, ob der Beschuldigte später freigesprochen oder das Verfahren gegen ihn eingestellt wird. Oder er eben einfach nur zur falschen Zeit am falschen Ort war. Das geht aus den Antworten der Bundesregierung auf die kleine Anfrage der Abgeordneten Monika Lazar hervor.
Die Sammelwut der Polizei hört beim Erfassen möglichst vieler aber Personen nicht auf – auch die Informationen, die über die angeblichen „Gewalttäter Sport“ gesammelt werden, sind mannigfaltig. Vom Beruf über die Schuhgröße bis hin zur Mundart – alles wird erfasst.
Betroffene werden nicht über Erfassung informiert
Insgesamt 10907 Personen sind so derzeit in der Datei „Gewalttäter Sport“ gespeichert – die wenigsten wissen allerdings davon. Lediglich zwei Bundesländer informieren die Betroffenen darüber, dass sie in der Datei erfasst wurden. Das dürfte auch erklären, warum es so wenig Anträge auf Löschung aus der Datei gibt – wer nicht weiß, dass er drin ist, wird auch nicht aktiv dagegen vorgehen können.
Hinzukommt, dass theoretisch bis zu 14 verschiedene Anfragen an die unterschiedlichen regionalen Polizeidienststellen gestellt werden müssten, um erst einmal herauszufinden, ob man erfasst ist, oder nicht. Ein ziemlicher Aufwand – zumal der durchschnittliche Fußballfan nach einer harmlosen Personalienfeststellung am Stadion gar nicht damit rechnen dürfte, sich nun aus irgendwas löschen lassen zu müssen, um bei der nächsten Verkehrskontrolle nicht besonders beäugt zu werden.
So hat es die Polizei recht einfach, die Daten so lange zu speichern, wie es ihr rechtlich möglich ist – im Fall der Datei „Gewalttäter Sport“ sind das fünf Jahre. Dass von dieser Praxis rege Gebrauch gemacht wird, zeigt der interne Abschlussbericht der Bund-Länder-Arbeitsgruppe zum Thema, den die Bundesregierung eigentlich nicht öffentlich zugänglich machen wollte, der von „netzpolitik.org“ nun aber dankbarerweise veröffentlicht wurde. „Im Zusammenhang mit der Analyse des Datenbestandes wurde festgestellt, dass häufig die Maximalzeit von fünf Jahren als Ausschreibungszeitraum angewandt und nur in wenigen Einzelfällen von der individuellen Anpassung der Laufzeit Gebrauch gemacht wird“, heißt es dort. Es wird also so lange gespeichert, wie irgendwie möglich.
Große Zahlen, große Probleme
Welche Gründe dahinter stecken, ist nur auf den ersten Blick nicht klar ersichtlich. Denn dass vor allem die Polizei-Gewerkschaften mit der vermeintlichen „Gewalt im Fußball“ gerne argumentieren, um ihren Standpunkten Gehör zu verschaffen, ist hinlänglich bekannt. Und eine möglichst vollgepackte Datei mit martialischem Namen kann durchaus hilfreich dabei sein, ein Problem herbei zu reden, dass es nach wie vor nicht wirklich gibt.
Das sieht auch der ehemalige Sicherheitschef des DFB, Helmut Spahn, so. „Selbst wenn jeder, der in dieser Datei ist, tatsächlich gewalttätig wäre, wäre das umgerechnet auf die Zuschauer in den ersten drei Profiligen sehr wenig” sagte er dem „Spiegel“. Dem sei aber nicht so. “Ich formuliere mal vorsichtig: Manchmal reicht eine Verkettung unglücklicher Umstände, um reinzukommen“, führte Spahn weiter aus. Diese „beeindruckend hoch klingenden Zahlen“, würden dazu verwandt, die Politik auf den Plan zu rufen – indirekte Grüße an die Herrschaften Wendt und Co.
Die Praxis sorgt aber auch bei der Antragsstellerin aus der Fraktion von „Bündnis 90/Die Grünen“ für Unmut. „Allein der Name der Datei ‚Gewalttäter Sport‘ ist irreführend. Wie die Bundesregierung zugeben musste, sind in der Datei bei Weitem nicht nur Gewalttäter gespeichert“, erklärte sie gegenüber „netzpolitik.org“. „Es kann schon eine Personalienfeststellung reichen, um dort zu landen. Das ist skandalös!“
„Lieber eine Informationspflicht einführen“
Doch statt diese merkwürdige Praxis in Frage zu stellen, empfiehlt die Bund-Länder-Arbeitsgemeinschaft eine weitere Verschärfung der Datei. Immerhin: Auch eine jährliche Datenqualitäts- und Erforderlichkeitskontrolle soll in Zukunft stattfinden. Die grundsätzliche Problematik bleibt durch diese Empfehlungen jedoch unangetastet. „Anstatt die Datei „Gewalttäter Sport“ weiter zu verschärfen, sollte die Bundesregierung lieber eine Informationspflicht einführen“, sagt Lazar dazu nur. „Denn nur wer weiß, dass er in einer Datenbank gespeichert ist, kann auch dagegen vorgehen, falls er ungerechtfertigter Weise dort gelandet ist.“
Das wäre natürlich wünschenswert. Denn einen echten Nutzen außerhalb von Polizei-PR hat die Datei in der Form, wie sie aktuell geführt wird, ohnehin nicht. „In der Tat führt die Speicherung einer Person in der Datei Gewalttäter Sport allenfalls zu deren Stigmatisierung. Weder ist die Datei geeignet, die Sicherheit bei Fußballspielen zu erhöhen und fördert sie die Gewaltprävention noch erleichtert sie die Strafverfolgung“, heißt es bei „Arbeitsgemeinschaft Fananwälte“ dazu treffend. Konsequent wäre es also, sie komplett einzustampfen.