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Analyse

Flügelspiel ohne Flügelspieler: Wie das neue System die Offensive des 1. FC Köln belebt

Der 1. FC Köln zeigt seinen Zuschauern zum ersten Spieltag, woran er in der Vorbereitung gearbeitet hat. Die Mittelfeldraute und der Doppelsturm zahlen sich direkt aus, sodass die Berliner mit 3:1 besiegt werden können.

Foto: imago images / Mika Volkmann

Der 1. FC Köln gewinnt nicht nur zum Start der Bundesliga-Saison, sondern überzeugt beim 3:1-Sieg gegen Hertha BSC auch mit einer neuen Spielweise, die bei Fans und Spielern gleichermaßen Anklang findet. Mutig, angriffslustig, aggressiv: Gerade ab der 30. Minute können die “Geißböcke” viel zeigen, was sich die Mannschaft unter ihrem neuen Trainer Steffen Baumgart vorgenommen hatte. “Der Trainer hat andere Spielideen mit nach Köln gebracht und versucht, uns diese in den vergangenen fünf bis sechs Wochen einzutrichtern. Heute hat man Ansätze gesehen, ich glaube, wir können es noch einen Tick besser machen – aber es war ein gelungener Start”, zeigte sich Kapitän Jonas Hector nach dem erfolgreichen Auftakt zufrieden.

Der ehemalige Nationalspieler zählte bei Baumgarts Bundesliga-Debüt als FC-Trainer des 1. FC Köln zu den kleineren personellen Überraschungen: Hector musste auf die Position des Linksverteidigers ausweichen, auf der Jannes Horn länger ausfällt und Noah Katterbach aktuell weit weg von der ersten Mannschaft zu sein scheint. Benno Schmitz beackerte die rechte Bahn, während Kingsley Ehizibue auf der Bank Platz nehmen musste. Im Mittelfeld wurde dadurch trotz des Einsatzes von Ellyes Skhiri, der im Pokal wegen eines möglichen Transfers erst spät ins Spiel kam, eine Position frei. Diese durfte Dejan Ljubicic ausfüllen, Salih Özcan musste trotz starker Vorbereitung nach seinem schwachen Pokal-Auftritt dafür auf die Bank.

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Jovetić schockt Müngersdorf – Schon wieder ein früher Rückstand

Zum ersten Mal durfte nach langer Pause wieder tausende Fans ins Stadion und die 16.500 Zuschauer*innen peitschten die Mannschaft in der Anfangsphase gleich nach vorne. Nach zwei Minuten gab es dadurch einen ersten Ballgewinn am rechten Flügel auf Höhe des Strafraums, bis zum ersten Modeste-Kopfball dauerte es ebenfalls nur zwei Minuten.
Und doch ließ der erste Schreck-Moment nicht lange auf sich warten: Wie schon im Pokal kassierten die “Geißböcke” den Gegentreffer schon in der 5. Spielminute: Eine Freistoßflanke aus dem Halbfeld verlängerte Matheus Cunha aufs Tor, FC-Torwart Horn kann nur vor die Füße des Gegenspielers abklatschen und Jovetić bringt die Kölner in Rückstand.

“Wir haben die ersten 20 Minuten zu unruhig gespielt, haben lange Bälle geschlagen, was wir nicht wollten. Das 1:1 kam dann zur richtigen Zeit.”

Ein Tor, das seine Folgen hatte: Das Anlaufen der Kölner war in der Folge nicht mehr so hoch, dadurch konnten die Berliner in Ruhe das Spielgerät in den eigenen Reihen halten. Eine halbe Stunde verging, ohne dass der FC selbst nach vorne kombinieren kann. Und doch kam es zu einer Großchance, denn den Gästen war anzumerken, dass sie in der ersten Ligapartie nach der Pause noch nicht voll im Spielmodus waren: Obwohl der Druck im Pressing der Baumgart-Schützlinge nach dem Treffer deutlich nachließ, verloren die Hauptstädter die Kugel immer wieder in der eigenen Hälfte. Der haarsträubendste Fehler unterlief dabei Kapitän Niklas Stark, der von Modeste langsam angelaufen aus dem eigenen Strafraum direkt in die Füße von Florian Kainz spielte. Die Vorbereitung des Österreichers konnte Mark Uth in der 18. Minute aber nicht ausnutzen, weil er zu lange brauchte, um sich in eine gute Abschlussposition zu drehen.

Ein Muster über links bringt den Ausgleich

Die erste halbe Stunde war daher selten spektakulär. Das hohe Anlaufen der Kölner wurde durch den Rückschlag schnell zurückgefahren, die Hertha konnte sich aus der Spielkontrolle aber auch nicht viele Chancen erspielen. Als sich das Spiel somit etwas beruhigt hatte, zeigt sich besonders deutlich das Duell der beiden Spielsysteme: Die Hertha agierte sowohl mit als auch gegen den Ball in einem 4-3-3-System, Köln dagegen lief im 4-3-1-2 auf. Dadurch war es vor allem in der Mitte mit drei beziehungsweise vier zentralen Mittelfeldspielern besonders eng, doch Baumgart hatte sich dafür einen Kniff überlegt, der sich in der 33. und 35. Minute andeutet und schließlich auch für den Ausgleich sorgen sollte.

Foto: imago images / eu-images

Weil sich die drei Berliner Mittelfeldspieler um die Zentrale kümmerten, hatte Jonas Hector hinten links immer wieder die Möglichkeit den Ball die Linie herunterzuspielen. Einen solchen Pass würde man im Tennis „longline“ nennen. Nun fehlte in der engen Mittelfeldraute der Kölner aber ebenfalls ein Außenspieler. Die Lösung: Jan Thielmann. Der 19-Jährige wurde zwar in der Vorbereitung als einer der beiden Spitzen aufgeboten, gegen die Hertha setzte Baumgart ihn jedoch eine Reihe dahinter ein. Aus dem Spiel heraus suchte das FC-Eigengewächs dort immer wieder den Weg auf den Flügel. So war es kein Zufall, dass er mit fünf Flanken die meisten Hereingaben aus dem Spiel in die Mitte schickte.

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So auch beim 1:1: Kainz ließ sich aus dem Zentrum nach außen treiben, gibt von dort einen geraden Pass hinter die Abwehr, wo sich das Kölner Offensivtalent den Ball zur Flanke bereitlegen konnte und dann mit einer Hereingabe für Modeste vorbereitet. In den Minuten zuvor waren es noch Uth und Modeste, doch das Muster war immer gleich. Über die offene Seite wird ein Ball auf den Flügel nach vorne gespielt, wohin einer der zentralen Angreifer der Kölner startet. Pekarik, Rechtsverteidiger der Hertha, hat dabei das Problem, dass er das Tempo in einer Drehung erstmal aufnehmen muss. Zudem wird er vor die Entscheidung gestellt: Rückt er raus, um Druck auf den Pass auszuüben, entsteht hinter ihm Raum. Bleibt er auf der Position, hat der Passgeber den ganzen Flügel Platz, um Tempo aufzunehmen.

Das 1:1 durch Anthony Modeste in der Entstehung

Doppelspitze perfekt ausgespielt

Es ist gar nicht lange her, da war man in Müngersdorf noch froh, überhaupt einen fitten Stürmer an Bord zu haben. Unter Steffen Baumgart sollen nun gleich zwei Spitzen vorne wirbeln. Einer der beiden (zumeist entweder Uth oder Thielmann) wich wie beschrieben häufig auf dem Flügel, dennoch war der Strafraum stets mit mindestens einem Mann besetzt. Das zahlte sich nicht nur beim 1:1 aus. Sehr deckungsgleich ist es beim zweiten Treffer Anthony Modeste, der sich auf die Außenbahn absetzte und dadurch zum Vorbereiter wird. Das Tor kann jedoch nur fallen, weil Mark Uth mit Niklas Stark den zweiten verbliebenen Verteidiger im Kölner Gegenangriff geschickt aus dem Zentrum wegziehen kann. Durch den Lauf des Kölner Neuzugangs auf den kurzen Pfosten ergibt sich in dessen Rücken viel Platz für Kainz, der nach Schwolows Parade den Abpraller frei über die Linie drückt. Wenige Augenblicke zuvor hatte Stark noch genau dort gestanden.

Die Strafraumbesetzung vor dem 2:1

Genau von diesem Laufweg profitierte Kainz auch beim dritten Treffer wenig später. Wieder war Thielmann in der Entstehung beteiligt, weil er gleich vier Gegenspieler binden kann. An diesen vorbei steckt der Angreifer vorbei auf den durchlaufenden Schmitz, der somit in den Rücken der Abwehr gelangen kann. Blickt man zu diesem Zeitpunkt in die Mitte, ergibt sich ein fast deckungsgleiches Bild zum 2:1: Uth startet vom langen, linken Pfosten in Richtung des kurzen und zwingt Stark damit zur Verfolgung. Den entstandenen Raum sieht wieder Kainz, der den entscheidenden Schritt schneller ist als Tousart und per Grätsche ins lange Eck einschieben konnte. Es wird schnell klar: Mit zwei Spielern in der Angriffsreihe wird die gegnerische Verteidigung unter Druck gesetzt. Wo in der vergangenen Saison (im Optimalfall) noch Aushilfsstürmer Ondrej Duda für wenig Respekt bei Hereingaben sorgen konnte, entsteht nun eine viel offensivere Strafraumbesetzung. Schon am ersten Spieltag ist das für zwei Treffer verantwortlich.

Das 3:1 – Wieder reißt Uth die Lücke für Kainz

Abwehr an der Mittellinie

Darüber hinaus konnte der dritte Treffer auch erst dadurch fallen, dass Rafael Czichos den Ball an der Mittellinie gewinnt. Eine solche Aktion wäre in der vergangenen Saison kaum vorstellbar gewesen: Unter Markus Gisdol positionierte sich die FC-Hintermannschaft auf Anweisung des Fußballehrers nicht selten kurz vor dem eigenen Strafraum. Dass man in Führung liegend weiterhin so hoch steht, führte wohl bei nicht wenigen Fans für Verwunderung. Doch das hat, wie beim Tor gesehen, seine Vorteile und muss nicht das anfälligere Mittel sein. Schließlich schenkt man beim Zurückziehen dem Gegner kampflos sehr viel Raum, wenn die eigenen Spieler erst in der eigenen Hälfte auf den Ballführer Druck geben.

Foto: imago images / Sven Simon

Die neue Herangehensweise muss also nicht zwingend ein Nachteil im Vergleich zur abgelaufenen Spielzeit darstellen, in der man die Kontrahenten öfters an den eigenen Strafraum einlud. “Die Jungs haben sich reingekämpft und das Selbstvertrauen wuchs. Meine Mannschaft hat immer weitergemacht, hat den Ball dann auch ruhiger laufen lassen. Darauf lässt sich aufbauen. Aber es ist nur ein Ligaspiel gespielt. Wir haben gesehen, was gut war, aber auch, was nicht”, analysierte ein durchaus zufriedener Steffen Baumgart nach der Partie. Was auch daran lag, dass insgesamt für die FC-Fans bereits am ersten Spieltag gleich in allen Mannschaftsteilen entscheidende Neuerungen zu sehen. Besonders hervorzuheben ist dabei die Rolle der Doppelspitze, um Torschützen Modeste und den dynamischen Thielmann, der an zwei Treffern unmittelbar beteiligt war und sein bisher bestes Spiel für die “Geißböcke” absolvierte.

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