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Analyse

Finanzen beim FC: Dem Abgrund entronnen, dem Abgrund entgegen

Der 1. FC Köln stolperte nach der Coronapause am Abstieg vorbei. Dadurch vermied er eine finanzielle Katastrophe. Doch die Aussichten bleiben auch in der Bundesliga schlecht. Denn der effzeh büßt nun für die Fehler, die er in der Vergangenheit beging. Die Transferphase droht schon jetzt zu einer Schauergeschichte zu werden.

COLOGNE, GERMANY - MAY 17: 1. FC Koeln CEO, Alexander Wehrle wearing a face mask seen prior to the Bundesliga match between 1. FC Koeln and 1. FSV Mainz 05 at RheinEnergieStadion on May 17, 2020 in Cologne, Germany. The Bundesliga and Second Bundesliga is the first professional league to resume the season after the nationwide lockdown due to the ongoing Coronavirus (COVID-19) pandemic. All matches until the end of the season will be played behind closed doors. (Photo by Lars Baron/Getty Images)
Alexander Wehrle mit Mundnasenschutz | Foto: Lars Baron/Getty Images

Alexander Wehrle war verstimmt. Auf Sky war zu sehen, dass der Geschäftsführer des effzeh nach dem 0:3 grinsend zu den Bremer Verantwortlichen blickte. Einige Fans legten ihm das übel aus, woraufhin er dem Express sagte: “Nach dem Gegentor bin ich aufgestanden, und hab den Kopf geschüttelt und bitter gelacht. Es war mehr eine Art Galgenhumor. Und sicherlich keine Freude.” Doch seine Verstimmtheit begründete er mit einem weiteren Umstand: „Ich ärgere mich sehr darüber, in dem Spiel ging es um viele Millionen für uns.“

Damit lag Wehrle richtig. Bis zu fünf Millionen Euro hätte der effzeh durch einen Sieg gegen Bremen im kommenden Jahr an TV-Geldern einfahren können – ein Bremer Abstieg war dafür notwendig. Das Ende ist bekannt, der effzeh zerfiel beim 1:6 in Bremen schlimmer als der Aktienkurs von Wirecard. Die TV-Millionen? Erstmal futsch. Entweder war den Spielern nicht bewusst, dass sie auch um die Sicherheit ihrer Gehaltsschecks spielen, oder es war ihnen egal. Wehrles Unmut erklärt sich daher leicht. Mit den fünf Millionen Euro hätte er immerhin bereits die Gehälter von Marco Höger, Marcel Risse und Niklas Hauptmann bezahlen können.

Zu hohe Gehälter, zu lange Verträge

Denn es sind vor allem die Gehälter der Fußballspieler, die Wehrles Lage verkomplizieren. Ex-Geschäftsführer Armin Veh bemängelte bereits letzten Sommer, dass der Kader 53 Millionen Euro koste, aber überbezahlt sei. Neben den bereits genannten Höger, Risse und Hauptmann kassieren auch Jorge Meré, Lasse Sobiech und Christian Clemens siebenstellige Summen. Bei den Leihen von Frederik Sörensen, Salih Özcan und Jannes Horn zahlte der effzeh anteilig mittlere sechsstellige Summen, damit andere Vereine sie überhaupt ausleihen. Und alleine die Topverdiener Anthony Modeste, Timo Horn und Jonas Hector erhalten, zusammengerechnet, etwa zehn Millionen Euro – exklusive Punkteprämien. Diese fallen jedoch geringer aus, als der effzeh ursprünglich veranschlagte (36 statt 40 Punkte).

Zu den Gehältern kommen die Vertragslängen der Spieler. Alleine bis 2022 stehen Rafael Czichos, Benno Schmitz, Louis Schaub, Dominick Drexler, Marcel Risse, Florian Kainz und Vincent Koziello unter Vertrag. Eine Laufzeit bis 2023 existiert bei Timo Horn, Jorge Meré, Ellyes Skhiri, Kingsley Schindler, Niklas Hauptmann und Anthony Modeste. Im nächsten Sommer laufen lediglich die Verträge von Marco Höger, Christian Clemens, Simon Terodde und Jhon Cordoba aus. Viel Gehaltsvolumen wird also nicht frei, obwohl dies nötig wäre, um den Kader ausreichend zu verstärken.

Jannes Horn kam einst für sieben Mio. Euro nach Köln | Foto: Juergen Schwarz/Bongarts/Getty Images

Wo der effzeh auf der einen Seite zu lange Verträge mit zu hohen Gehältern schloss, radierte er auf der anderen Seite Transferwerte buchstäblich aus. Die von Jannes Horn und Frederik Sörensen sind ins Bodenlose gerutscht. Beide dürfte der effzeh nur loswerden, wenn er Teile des Gehalts weiter zahlt. Louis Schaub spielte nach einer ordentlichen Zweitligasaison schnell keine Rolle mehr, sodass er an den HSV verliehen wurde – offensichtlich war er noch einer der Wenigen, die andere Vereine haben wollten. Nach einer desaströsen Rückrunde in Hamburg besitzt er nur noch Ramschwert, eine Perspektive hat auch er beim effzeh nicht. Bei Birger Verstraete grenzte die Wertvernichtung an Vorsatz. Für rund vier Millionen Euro kam er als Hoffnungsträger für das defensive Mittelfeld aus Gent, für rund anderthalb Millionen Euro geht er nun nach Antwerpen. Er spielte bis zu seiner Verletzung durchschnittlich und dann keine Rolle mehr. Dass und wie der effzeh ihn während der Coronapause demütigte, dürfte ihm die letzte Motivation geraubt haben. Mit Florian Wirtz verlor der Verein zudem das größte Talent seit Jahren an Leverkusen, weil er in den Verhandlungen mit dem Nachwuchsstar nicht überzeugte.

Der effzeh hat den finanziellen Vorteil verspielt

Die Kaderplanung der vergangenen Jahre entsorgte den finanziellen Vorteil, den sich der effzeh durch die Europa League-Teilnahme verschafft hatte. Die Diskrepanz zwischen sportlichem Potential und Gehältern sowie Vertragslängen fällt oft eklatant zum Nachteil des effzeh aus (Höger, Risse, T. Horn, Modeste). Armin Veh und Alexander Wehrle statteten Spieler mit langfristigen Verträgen aus, die den Kader aufblähen und das Budget auf Jahre belasten, dem effzeh aber sportlich keinen Mehrwert bieten (Hauptmann, Sobiech, Schmitz, Schindler). Spieler, die noch ein wenig Marktwert besaßen, wurden entweder nicht rechtzeitig verkauft (J. Horn, Sörensen) oder verramscht (Schaub, Verstraete). Aktuell würde der effzeh die neue Saison mit 34 Lizenzspielern beginnen – für mehr als 50 Millionen Euro Gehaltskosten und ohne die Gewissheit, dass dieser Kader den Klassenerhalt schaffen kann.

BREMEN, GERMANY - JUNE 27: Manager Horst Heldt of 1 FC Koeln looks on prior to the Bundesliga match between SV Werder Bremen and 1. FC Koeln at Wohninvest Weserstadion on June 27, 2020 in Bremen, Germany. (Photo by Oliver Hardt/Getty Images)

Hat viel zu tun im Sommer: Horst Heldt | Foto: Oliver Hardt/Getty Images

Zu der ungünstigen Ausgangslage beim Kader kommen infrastrukturelle Kosten. Der Stadtrat gab dem effzeh zwar grünes Licht für den Ausbau im Grüngürtel, doch für ein Rollen der Bagger müsste der Verein einen neuen Kredit aufnehmen. Nach Recherchen des Geissblog würden sich die Gesamtkosten bereits jetzt auf über 20 Millionen Euro belaufen. Kürzlich berichteten Medien zudem, dass die Stadionmiete erneut gedrückt werden solle, da die Geschäftsgrundlage wegen der Geisterspiele nicht mehr vorhanden sei. Dabei ist das Arrangement mit der Stadt schon jetzt so FC-freundlich, dass 2014 die EU-Kommission eingeschaltet wurde, um die Zulässigkeit zu prüfen. In der ersten Liga zahlt der Klub die Kompensation für eine extrem geringe Miete in Liga 2; er versichert sich somit gegen die eigene Unfähigkeit. Zumal die rund zehn Millionen Euro Miete nur auf dem Papier stimmen, denn der effzeh vermietet die Namensrechte an die städtische RheinEnergie. Sie zahlt dem Klub in der Bundesliga 3,5 und in der zweiten Liga 3 Millionen Euro. Den Versuch, im Lichte der steigenden TV-Einnahmen nochmals etwas an der Vereinbarung mit der Stadt zu ändern, darf man also durchaus als Verzweiflungstat bezeichnen.

Sehenden Auges nach unten

Angesichts dieser Ausgangslage wundern sich viele Fans über die (geplanten) Vertragsverlängerungen mit Horst Heldt und Markus Gisdol. Ihre Verträge hätten sich im Falle des Klassenerhalts ohnehin verlängert. Nun sollen sie, zu erhöhten Bezügen, bis 2023 laufen. Als Abfindungssumme soll jeweils ein Jahresgehalt fixiert worden sein. Bei Heldt meldete der effzeh schon Vollzug, bei Gisdol scheint es nur noch eine Frage von Tagen zu sein. Verwunderlich ist das nicht nur aufgrund der Leistungen der letzten Wochen, sondern auch vor dem Hintergrund der durchschnittlichen Amtszeit der Verantwortlichen. Bei den Trainern beträgt sie etwa seit Zvonimir Soldo 2009 343 Tage (inklusive der viereinhalb Jahre von Peter Stöger, exklusive derer läge sie bei 216), Gisdol liegt nun bei 224. Weder die letzten sportlichen Eindrücke noch die allgemeine Erfahrung deuten darauf hin, dass Gisdol bis 2023 im Amt bleiben wird. Für Heldt gilt Ähnliches. Auch wenn beide den Klassenerhalt und nicht die schlechte finanzielle Lage verantworten. Das tun vor allem Armin Veh und Alexander Wehrle.

Sie schlossen die meisten der Verträge ab, die nun schmerzen. Sie verpulverten den finanziellen Vorsprung des Vereins, indem sie den Großteil des Budgets bis 2022 und länger an Spieler banden, die sportlich und finanziell nur wenig Steigerungspotential boten. Sie sind dafür verantwortlich, dass der effzeh in der abgelaufenen Saison wieder bei Banken Überbrückungskredite aufnehmen musste, um das laufende Geschäft zu finanzieren. Und schlussendlich war es Wehrle, der nach dem Rauswurf Jörg Schmadtkes seinen alten VfB-Weggefährten Armin Veh als Geschäftsführer Sport beim Vorstand durchdrückte.

COLOGNE, GERMANY - DECEMBER 21: Markus Gisdol, Head Coach of 1. FC Koeln looks on prior to the Bundesliga match between 1. FC Koeln and SV Werder Bremen at RheinEnergieStadion on December 21, 2019 in Cologne, Germany. (Photo by Jörg Schüler/Bongarts/Getty Images)

FC-Trainer Markus Gisdol | Foto: Jörg Schüler/Bongarts/Getty Images

Eine Aufarbeitung dieser Geschehnisse fand weder im Verein noch in der KGaA statt. Mit Jürgen Sieger schmiss der Vizepräsident im Dezember hin, der diese hätte leisten können. Von den Verbliebenen signalisieren weder Präsident Werner Wolf noch die Vizepräsidenten Eckhard Sauren und Carsten Wettich ein Interesse daran; Wehrle scheint fester im Sattel zu sitzen als je zuvor.

Der effzeh hat sich in die aktuelle Lage sehenden Auges hineinmanövriert. Wehrle mag die Hauptverantwortung dafür tragen, doch die Versäumnisse anderer Verantwortlicher entschuldigt das nicht. Weder im Aufsichtsrat, noch im Präsidium kontrollierte man die Geschäftsführung ausreichend. Unterm Strich hat der effzeh so eine hervorragende Ausgangslage innerhalb von zwei Jahren vollkommen verspielt. Sportlich, strukturell und finanziell ist er wieder auf dem Niveau eines Fahrstuhlclubs angekommen. Ohne den sensationellen Lauf vor der Coronapause wäre er schon jetzt vermutlich wieder abgestiegen. Die aktuellen Leistungen, aber auch die Äußerungen von Spielern wie Marco Höger (“Man hat gemerkt, dass es für Bremen um viel geht und für uns nicht mehr um so viel.”) deuten nicht auf Besserung in der kommenden Saison hin.

Die Perspektive? Düster.

Die Perspektive bleibt daher nicht nur, aber auch in finanzieller Hinsicht, düster. Das aktuelle Geschäftsjahr wird der effzeh mit einem zweistelligen Millionenverlust abschließen, ein Minus ist auch im nächsten eingeplant. In den vergangenen Wochen sanken die Marktwerte des Kaders nochmals. Spielerverkäufe werden voraussichtlich nur mit Teilzahlungen, definitiv aber mit einem dicken Minus realisiert werden können. Vermutlich werden, wie im Fall Verstraete, mindestens diejenigen gehen, die noch ein wenig Transferwert besitzen. Niklas Hauptmann verlieh der effzeh nach Kiel, allerdings dürfte er hier, ähnlich wie bei Salih Özcan, einen Teil des Gehaltes weiterhin übernehmen. Was mit Leistungsträgern wie Sebastiaan Bornauw oder Jhon Cordoba passiert, ist offen. Bereits im Januar spekulierte Alexander Wehrle über einen größeren Transfer, der “die Dinge dann schnell verändern” könne. Das spricht zwar für Flexibilität in der Rhetorik, aber nicht auf dem Bankkonto. Denn schon im Januar war klar, dass die Wintertransfers den Spielraum für den Sommer weiter verengen. Der effzeh benutzt Einnahmen aus der Zukunft, um die Gegenwart zu flicken. Er ist in einen Teufelskreis wie unter Claus Horstmann geraten.

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Ein weiteres Problem besteht im fehlenden Konzept, wie junge Spieler in den Profikader integriert werden und ihren Transferwert steigern sollen. Zwar brachten es Noah Katterbach, Ismail Jakobs und Jan Thielmann auf viele Einsätze. Doch diese entsprangen der Not, ihnen lag kein Plan zugrunde. In der nächsten Saison stehen mit Robert Voloder, Yann-Aurel Bisseck, Salih Özcan, Tomas Ostrak und Tim Lemperle fünf weitere Nachwuchsspieler im Kader. Bislang haben weder Horst Heldt noch Markus Gisdol erkennen lassen, was sie eigentlich mit ihnen vorhaben. Lediglich bei Özcan kündigte der effzeh vage an, ihm demnächst mehr Spielzeit verschaffen zu wollen. Auch bei der Integration von Jugendspielern in den Erstligakader scheint das Prinzip Hoffnung zu walten. Das größte Talent, Florian Wirtz, zog es zudem auf die andere Rheinseite.

Egal, wie man es drehen und wenden mag: Der effzeh steht vor einem ungemütlichen Sommer. Alexander Wehrle und Horst Heldt steht eine Mammutaufgabe bevor. Sie müssen den Kader gleichzeitig verschlanken und verbessern – in personeller wie sportlicher Hinsicht. Sie müssen die Fehlentscheidungen der vergangenen Jahre nun ausbaden. Im Falle Alexander Wehrles sind es sogar die eigenen.

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