And the winner is … DEUTSCHLAND! Selbst der sonst recht unterkühlt und distanziert wirkende DFB-Präsident Reinhard Grindel sprang aus seinem gut gepolsterten Sitz auf, ballte die Siegerfaust und feierte den erwartbaren, aber lang bezweifelten Erfolg der Bewerbung für die Fußball-Europameisterschaft 2024. Der deutsche Fußball hatte die Ausrichtung der kontinentalen Titelkämpfe in acht Jahren zu seinem Projekt gemacht – und ließ sich dabei auch nicht durch in- wie externe Querelen aus dem Konzept bringen. Trotz Zweifeln, ob Grindel & Co. nicht zu viel diplomatisches Porzellan zerdeppert haben, findet 2024 die EM-Endrunde zum zweiten Mal nach 1988 in Deutschland statt. 12:4 – letztlich ein eindeutiges Votum der UEFA-Exekutive.
Prestigeprojekt mit einigen Kratzern
Ein großer Tag für den Fußball in diesem Lande – das verkündeten die Verantwortlichen unisono mit einem Strahlen im Gesicht. Das Prestigeprojekt in zehn Stadien (darunter auch das Müngersdorfer Stadion in Köln) soll der Sportart einen weiteren Schub verleihen, eine Wiederholung des Sommermärchens der WM 2006 steht im Raum. Doch die Stimmung ist bei weitem getrübter als noch vor einigen Jahren, als Franz Beckenbauer die deutsche Bewerbung zum Triumph führte.
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Das hat auch in direkter Folge mit den reichlich dubiosen Geschehnissen um den Wahlerfolg zu tun: Der „Sommermärchen“-Skandal ist längst noch nicht aufgeklärt, der DFB versucht sich auch unter dem neuen Präsidenten Grindel in der bewährten Taktik des Aussitzens. Ein Neuanfang im mitgliederstärksten Sportverband der Welt? Ach, warum denn!
Nicht nur deswegen scheint die „Sommermärchen“-Atmosphäre völlig verpufft zu sein. In Anspielung an das Bewerbungsmotto „United by football“ (Vereint durch Fußball) hatten die deutschen Fanszenen mit „United by money“ (Vereint durch Geld) Protest an Protest gereiht. Noch zu präsent sind die Veränderungen, die nach der erfolgreichen Bewerbung für die WM 2006 wie Kai aus der Kiste kamen. Zu präsent ist aber auch die unsägliche Rolle, die der DFB im Dialog mit den Fanszenen spielte oder bei den Rassismus-Problemen an vielen Stellen.
Wichtig ist an dieser Stelle auch, dass durch das “Sommermärchen” vor zwölf Jahren der deutsche Nationalismus wieder salonfähig wurde – die deutsche Fahne wurde wieder mit Stolz gezeigt, man war wieder wer und durfte sich als Deutscher fühlen. Wie genau der Zusammenhang zwischen dem Erstarken des Nationalismus durch die WM und dem Einzug der AfD in den Bundestag aussieht, werden Historiker klären müssen – dass es ihn gibt, lässt sich jedoch nicht bestreiten. Vor dem Hintergrund der aktuellen politischen Situation sollte man jedoch wachsam auf 2024 blicken.
Keine Vorfreude auf ein erneutes Sommermärchen
Zu präsent ist in diesem Zusammenhang auch das schlechte Image, das den deutschen Fußball-Funktionären angesichts von Spieltagszerstückelung, Sportgerichtsstrafen und Sonntagsreden anhaftet. Zu präsent sind die Forderungen, die Verbände wie die UEFA oder die FIFA für die Ausrichtung solcher Turniere aufstellt. Das sorgte nicht nur in den aktiven Fanszenen für die Ablehnung der Bewerbung, sondern auch beim Otto Normalfußballfan für wenig Vorfreude auf das nächste Mega-Turnier in diesem Lande.
Dennoch: Es ist gut, dass Deutschland die EM 2024 ausrichten wird. Das klingt komisch, ist aber bei einem Blick auf den einzigen Mitbewerber völlig verständlich. Angesichts der aktuellen politischen Lage in der Türkei, wo immer noch zahllose Menschen unschuldig hinter Gittern sitzen, weil sie anderer Meinung als Erdogan sind, wo Korruption, Vetternwirtschaft und Totalitarismus grassieren, wo die Wirtschaft auch gerade aus diesen Gründen einen Abschwung nimmt, wäre eine Vergabe an die Türkei das völlig falsche Zeichen gewesen.
Keine Entscheidung zwischen Pest und Cholera
Es war bei weitem keine Wahl zwischen Pest oder Cholera – es war, und das muss man bei aller deutlicher Kritik an den Zuständen im deutschen Fußball festhalten, die Wahl zwischen einem kleinen grippalen Infekt und einer schweren, potentiell tödlichen Krankheit. Man kann nicht permanent kritisieren, dass die Sportfachverbände andauernd Diktaturen hofieren und dann bei nächstbester Gelegenheit hoffen, die EM in einem menschenrechtsfeindlichen Land auszutragen, weil es Nachteile für einen selbst bringen könnte.
Jetzt sind wir mal gespannt, ob und wie der #Gesetzgeber das von der @UEFA geforderte #Demonstrationsverbot in der Nähe der Stadien regelt. Weitere Grundrechtseinschränkungen garantiert. @UnsereKurve @BAFF @50plus1bleibt @demorecht @grundrechte1 @keinplzstaat #profans #fanrechte
— Rechtsanwalt Rene‘ Lau (@renelauberlin) September 27, 2018
Die Folgen einer erfolgreichen Bewerbung der Türkei wären für Land und Menschen vermutlich deutlich schlimmer gewesen, der Imagegewinn einer autokratisch agierenden Regierung immens. Das bedeutet bei weitem nicht, der Ausrichtung in Deutschland und den Folgen kritiklos gegenüberzustehen. Es ist vermutlich kein großer Tag für den deutschen Fußball im Gesamten – es ist ein großer Tag für den DFB und für den Profibereich.
United by football – aber anders!
Es gilt in den kommenden Jahren wachsam zu sein, welche Veränderungen diesmal durch das Großevent geplant sind und geräuschlos durchgesetzt werden sollen. Es gilt wachsam zu sein, welche Sonderrechte sich ein Sportverband in einem demokratischen Staat herausnehmen möchte, um eine möglichst störungsfreie Präsentation ihres Hochglanzprodukt zu gewährleisten. Es gilt wachsam zu sein, welche gesellschaftlichen Mittel für das Vergnügen vieler und die Brieftaschen weniger eingesetzt werden. Das ist die Herausforderung für die kommenden Jahre – united by football sozusagen.