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Stadion

Come on FC und jib den ICE

Ein Pokalerlebnisbericht oder Wie man auf Umwegen englisch lernt.

© David Vorholt
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Von unserem Gastautor David Vorholt

Dienstag-Abend, DFB-Pokal, der 1. FC Köln zu Gast in Duisburg. Unter den rund 3.000 Mitgereisten FC-Fans: Der Autor dieser Zeilen und sein Kumpel Matt aus Manchester. Erstes Mal FC für den englischen Patienten und dann gleich die volle Dröhnung: Auswärts, Suff, Frieren, Anfeuern, Mitfiebern, Verlängerung, Elfer-Drama, Siegestaumel und Odyssee-Rückfahrt. Man gönnt sich ja sonst nix. Ein Erlebnis-Bericht.

„I just can’t get enough“ von Depeche Mode ist ein echter Klassiker in englischen Fußball-Stadien. Dass die 80er-Nummer textlich von den jeweiligen Fans in modifizierter Version geschmettert wird, versteht sich von selbst. So auch bei Manchester United, dem Klub, dem mein Kumpel Matt (24) aus der nordenglischen Hochburg des Fußballs die Treue hält. Und was macht der geneigte englische Fußball-Fan, wenn er einige Tage in Deutschland zu Besuch ist? Er geht zum Fußball. He just can’t get enough!

Kölsches Bier und Pokal-Gesetze

Foto: Dirk Unschuld

Foto: Dirk Unschuld

Treffen am Wiener Platz. Ein Glück, dass Matt nicht zum ersten Mal die Stadt besucht, denn die Visitenkarte im Herzen von Mülheim ist so gar nicht geil. Doch es geht um Fußball. Second Cup-round, Duisburg away, wie der Engländer sagen würde. Also, ab den Rhein hoch zum sportlich siechenden Drittligisten. Erste Lektion für Matt: Es ist Pokal und der hat seine eigenen Gesetze. Eine gleichsam wahre, wie abgedroschene Weisheit, die sich im Verlauf des Abends aber dramatisch bestätigen sollte.

Zehn Minuten bis zum Zug. Fußball unter der Woche ohne Hetzerei? Vergiss es. Schnell noch Bier kölscher Brauart für die Fahrt besorgt und ab dafür, 60 km rheinaufwärts, je ein Bier pro 20 km. Passt, der Motor muss geschmiert werden, Treibstoff benötigt. Eine Stunde Fahrt. Gesprächsthemen: Fußball, Frauen, UKIP und EU, Fußball. Türen auf, ohne Umwege Kurs aufs Stadion. 25 Minuten bis Anstoß, jetzt keine Späße mehr. Die Pflicht ruft!

Umweg gefällig? Willkommen im Land der Regulierung

Foto: Dirk Unschuld

Foto: Dirk Unschuld

Hätte alles klappen können, doch mein Manchester-Mate hat die Scheiße am Fuß. Mit der spontan unter dubiosen Umständen organisierten Q-Block-Karte verwehren die korrekten deutschen Ordner dem vor Fußballgeilheit platzenden Insulaner den Eintritt an ihrem streng bewachten Tor zur Trutzburg. „Einmal bitte dort und dort herum“, heißt es. Ende vom Lied: Ein Umweg von schlappen 1,5 Kilometern mitten durch die Peripherie Duisburgs. Als der Ball rollt, laufen wir Slalom zwischen Matsch, Pfützen und Desert Boot unfreundlichem Schmierlaub. Herbst, Regen. Egal, muss weiter gehen. Bringt ja nix. Alles für den Fußball.

120 Minuten Geholze – die volle Show

Angekommen im Block, zum Glück noch kein Tor gefallen. Diese Sichtweise sollte sich im Laufe des Spiels ändern. Denn jeder, der das Spiel gesehen hat weiß: Vom Tore schießen waren beide Teams an jenem Abend ungefähr so weit entfernt, wie der MSV von der deutschen Meisterschaft. Welch ein Glück, dass es an diesem Abend zum hochverachteten Klub aus Meiderich ging und nicht nach Hoffenheim, Leipzig oder Sandhausen.

Denn die mangelnde sportliche Unterhaltung nutzen beide Fanlager für den Austausch von Gesten und Sprüchen, die ihre aus tiefstem gegenseitige Ablehnung aus tiefstem Herzen in ihrer ursprünglichsten und wundervollsten Form untermalen. Duisburg gegen Köln: Kannste nix mit falsch machen. Das weiß auch zur Halbzeit der United-Fan, dessen hervorragende Deutschkenntnisse gepaart mit seiner Aufnahmefähigkeit ihm die FC-Gesänge in der zweiten Halbzeit von den Lippen gehen lassen, als würde er seit Jahren mit dem ersten Meister der Bundesliga fahren. Starke Performance!

© effzeh.com

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Hero Timo Horn – Elfmeterschießen und eine Runde weiter

Dass der MSV in der Schlussphase und in der Verlängerung deutliche Chancen auf den entscheidenden Treffer hat, tut der rot-weißen Stimmung keinen Abbruch, zaubert dem von Hause aus seit einiger Zeit leidgerprüften Mancunian (Name der Einwohner Manchesters) allerdings den Ausdruck der Verwunderung aufs Gesicht. „Das ist der FC, die spielen Bundesliga”, lautet die an diesem Abend berechtigte Frage.

Gewappnet ist man auf solche Fragen. „Klar man. Der FC würde Weltliga spielen, wenn es sie geben würde”, lautet meine Ansage. „Zusammen mit Manchester United“, der Zusatz. Genug gelabert, ein Glück, die 120 Minuten sind um. So oder so: Die Entscheidung naht. Und das Timo Horn schon vor dem Elfmeterschießen gefeiert wird, versteht sich von selbst. In Humorlos erledigt Horn seinen Job und hält die ersten zwei Elfmeter der Meidericher. Wie ich schon sagte, Weltligaklub FC. Das (Nicht-)Spiel ist vergessen, der Sieg gewiss. Party on, da tuts auch mal alkoholfreies Bier, scheißegal.

Gewonnen in Duisburg, gestrandet in Düsseldorf

Hätte man mal den Sonderzug genommen! Die Idee, die am Bahnhof stehende und mit ausreichend freien Sitzplätzen lockende S-Bahn in Richtung Düsseldorf zu nehmen, erweist sich als trojanisches Pferd. Doch wir stranden nicht auf ner griechischen Insel, sondern in der japanischen Enklave Düsseldorf. Tote Hose! Reinigungspersonal, Penner und Berufsverrückte kreuzen unseren Weg auf der verzweifelten Suche nach einer Bier-Ausgabestelle, die wir schließlich finden.

© effzeh.com

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Irrer Kioskverkäufer, komplett durch. Sabbelt tonnenweise Schwachsinn bevor er mit den Kannen rausrückt. Wenigstens die Ergebnisse der anderen Pokalpartien webt er in seinen Laberschwall mit ein, bischen was kann man immer mitnehmen. Jeder zwei Kannen, zurück zum Gleis. Paar Minuten noch bis zum Zug, angepeiltes Ziel: 2 Uhr im Bett. Und wie so oft: Rechnung ohne die Bahn gemacht. Regionalexpress für 00:40 Uhr angekündigt. Fällt aus! Grund? Weiß keiner. Am Ende scheißegal, eine Patrone bleibt: Der letzte ICE nach Köln. Einfach einsteigen, mit ner durchgessenen Eintrittskarte (VRR-Ticket) vom Spiel, dem Fußball-Fans ureigenen Charme und dem ausgefallenen Zug als argumentatives Ass im Ärmel, sollte das klar gehen. Geht’s auch. Ab ins Bordbistro, zwei Bier geordert und lückenlos in die Gruppe von MSV- und FC-Fans, die ebenfalls bei Flüssigbrot Geschichten vom Siegen und Scheitern preisgibt, eingereiht. Ticket? Keiner fragt, Kulanzschwarzfahrt mit der Deutschen Bahn, klappt auch nicht immer.

„We jibed the ICE“, sagt Matt. An diesem wundervollen Abend lerne ich also auch noch was. Und zwar, was schwarzfahren im Mancunian-Slang heißt: To jib the train eben. Also ICE gejibed, noch einen aus Bielefeld kommenden, volldeprimierten Hertha-Fan aus sicherer Distanz sein Leid klagen hören(O-Ton: „Dieses Arschloch von Sandro Wagner”) und schon rattert der Zug in Köln ein. Dass die letzte U-Bahn am Breslauer Platz vor unseren Füßen wegrattert hat schon was von Absicht, passt aber auch zum Tag. Mal gewinnste, mal verlierste – Fußball halt. Scheiß auf die 20 Euro fürs Taxi, Hauptsache nach Hause. Ist ja nicht so, dass der Wecker am nächsten Morgen klingelt. Mist, doch, sind ja wieder im bürgerlichen Leben angekommen. Egal, fuck it. It’s football.

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