Wenn man sich in der Causa Tönnies sehr anstrengt, findet man vielleicht noch einen kleinen Aspekt, der irgendwie positiv für den deutschen Fußball ausgelegt werden könnte: Die unsinnige Behauptung, dass der Sport nichts mit Politik zu tun habe, lässt sich wohl für niemand mehr aufrechterhalten. Davon abgesehen werfen die letzten Wochen aber kein allzu helles Licht auf Fußballdeutschland.
Dass es beim FC Schalke 04 nach einem rassistischen Ausfall des Aufsichtsratsvorsitzenden irgendwie weitergeht, als wäre nichts passiert. Dass Clemens Tönnies bisher nur die Karikatur einer Entschuldigung veröffentlicht hat und ansonsten schweigt. Und dass der Schalker „Ehrenrat“ den 63-Jährigen Vereinschef mit einer offenbar selbst ausgesuchten „Strafe“ hat davon kommen lassen, ist da nur das Eine.
Was selten so offensichtlich wird, ist das Andere. Für den „Spiegel“ hat Wilhelm Heitmeyer das kürzlich ganz wunderbar festgestellt. Durch die Worte von Vereinsvertretern wie Friedhelm Funkel, Max Eberl oder Armin Veh wird die Diagnose des Soziologen nur bestätigt: Der Fußball ist ein männliches Buddy-Business. Oder um es mit Heitmeyer zu sagen: eine Herrenelite.
Buddy-Society mit Auswüchsen in Wirtschaft und Politik
Diese Buddy-Society hat, das haben vor einigen Tagen die Einlassungen von Sigmar Gabriel und Wolfgang Kubicki gezeigt, ihre Auswüchse in Wirtschaft und Politik. Kein Wunder: Der Zugang zu hohen Ämtern bei Fußballclubs ist nicht selten an wirtschaftlichen Erfolg geknüpft – und wenn nicht, hat man die Kontakte zu Politik und Wirtschaft qua Amt schnell aufgebaut. Networking, so wichtig. Und fortan gilt dann wohl: Ein Buddy hackt dem anderen kein Auge aus.
Clemens Tönnies | Foto: Sascha Steinbach/Bongarts/Getty Images
Nach der Devise muss man wohl auch die Aussagen beim „Fußball-Gipfel“ der „Rheinischen Post“ einordnen. “Was jetzt mit ihm gemacht wird, halte ich nicht für in Ordnung. Er wird ja regelrecht geschlachtet”, sagte Friedhelm Funkel bei der Podiumsdiskussion mitfühlend über Tönnies. “Wir müssen alle ein bisschen runterkommen“, forderte der Fortuna-Coach und setzte dann zu ebenso absurdem wie martialischem Whataboutismus an: „Es bringen Leute mit einem Samurai-Schwert Menschen um. Da wird zwei Tage drüber berichtet, dann ist es vergessen.“
Tönnies habe einen Fehler gemacht, sich doch aber entschuldigt. So die einhellige Meinung der rheinischen Runde. Gladbach-Vertreter Eberl betonte zwar, dass „die Empörung auch bei uns da war“, forderte aber auch prompt die Möglichkeit für Tönnies, „wieder aufzustehen.“ Leverkusens Simon Rolfes hatte keine Einwände. Und Veh sorgte für mehr Drama: „So etwas sagt man nicht, und das weiß er“, stellte der Kölner Geschäftsführer zu Tönnies fest und fügte an: „Er ist 63, hat schon ein Leben hinter sich. Wenn aus diesem Leben ein Satz herauskommt und ich mit diesem einen Satz mein ganzes Leben kaputtmache, dann ist das maßlos übertrieben.“
Tönnies ist weder Opfer noch wird er “geschlachtet”
Wenn man den Herrschaften zuhört, könnte man fast meinen, Clemens Tönnies läge am Boden, sei plötzlich obdachlos geworden, über Nacht verarmt oder sonst irgendwie ein bemitleidenswertes Opfer und brauche deshalb dringend Mitgefühl. Der einzige Grund für diese Haltung: Der Schalke-Chef hat sich doch entschuldigt!
Das ist natürlich Quatsch. Weder wird Tönnies „geschlachtet“ oder ist das Opfer noch hat er authentisch um Verzeihung gebeten – die knappe Entschuldigung des Fleischproduzenten richtete sich an jeden, nur nicht an diejenigen, die er mit seiner rassistischen Bemerkung beleidigt hatte. Seitdem schweigt der Aufsichtsratschef – und befindet sich in einer selbst verordneten dreimonatigen Auszeit.
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