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Stadion

Auswärts bei den Anderen

Nach dem Schablonen-Unentschieden gegen Mainz reist der effzeh zum Auftakt des 14. Spieltags nach Darmstadt, um dort mit den Lilien die Klingen zu kreuzen.

Dominik Maroh traf beim Spiel in Leverkusen doppelt | Foto: Dirk Unschuld
Foto: Dirk Unschuld

Foto: Dirk Unschuld

Nach dem Schablonen-Unentschieden gegen Mainz (wie sehr sich die Dinge doch glichen im Vergleich zu den Heimspielen gegen Hannover, Hoffenheim und Ingolstadt) reist der effzeh zum Auftakt des 14. Spieltags nach Darmstadt, um dort mit den Lilien die Klingen zu kreuzen. Dieses Spiel ist dabei in vielerlei Hinsicht ein besonderes. Warum, lest ihr in unserem Vorspiel.

Knapp sechs Monate nach dem zugegebenermaßen sensationellen, in der medialen Berichterstattung dann fast schon überhöhten Bundesligaaufstieg von Darmstadt 98 scheint der Verein mittlerweile in der Bundesliga angekommen zu sein. Allen Unkenrufen zum Trotz, die den Lilien eine umfassende Chancenlosigkeit im Wetteifern mit den anderen Bundesligavereinen attestierten, steht der Verein nach 13 Spieltagen auf eben jenem Tabellenrang. Der Punkteschnitt ist für einen Aufsteiger aller Ehren wert, an den ersten sechs Spieltagen verlor der SVD tatsächlich nur ein Spiel gegen die Überbayern. Auswärtssiege in Leverkusen und Augsburg sorgten für Feierstimmung rund um das altehrwürdige Böllenfalltor, an dem gegen den SV Werder Bremen der erste Bundesligaheimsieg seit einer halben Ewigkeit gefeiert werden konnte. Seit vier Spielen konnten die Lilien jedoch nicht mehr gewinnen und im Umfeld werden die ersten Leute unruhig.

Dass jetzt natürlich auch noch der ruhm- und glorreiche effzeh zu Gast ist, könnte schon dafür sorgen, diese Unruhe zu vergrößern – obwohl man sagen muss, dass in Darmstadt die handelnden Personen ausnahmslos Realisten und harte Arbeiter sind, die sich nur genau einmal im Jahr richtig gehen lassen: vor zwei Jahren nach der gewonnen Relegation gegen Bielefeld, dieses Jahr nach dem Sieg gegen St.Pauli, der den Aufstieg bedeutete und im Idealfall im Sommer, wenn der ähnlich unerwartete Klassenerhalt feststünde. Doch dazu braucht es Punkte.

Der Darmstädter Aufstieg als Sieg der Fußball-Romantiker

Foto: 1. FC Köln

Foto: 1. FC Köln

Dem angesprochenen wundersamen Aufstieg der Darmstädter im Mai dieses Jahres folgten Elogen auf die Andersartigkeit dieses Vereins, welcher nach 33 Jahren Abstinenz fortan wieder zur Beletage des deutschen Fußballs gehören würde. Beobachter feierten den ehrlichen, weil unprätentiösen Charakter der Mannschaft, bestehend aus mittelmäßigen Profis, welche es anderswo nicht geschafft hatten und nur als Team in der Lage waren, zu bestehen. Ihre Tugenden waren (und sind) dabei Einsatz, Wille und fußballerisch simple Mittel, welche den SVD überraschenderweise in die Bundesliga hievten.

Kritiker und selbsternannte Fußball-Philosophen lobten die etwas ranzige Atmosphäre des Stadions am Böllenfalltor, in welchem marode Duschen und zugige Gänge nicht gerade den Ansprüchen des Profifußballs genügten. Der Gegenentwurf zum modernen Fußball hatte es in die Bundesliga geschafft. Im Jahr 2015 wurde diese Tatsache nicht zu Unrecht zu einem Testimonium der Unberechenbarkeit und Schönheit des Fußballs stilisiert – ein halbes Jahr später hat sich die Berichterstattung jedoch merklich abgekühlt. Darmstadt ist zwar immer noch anders, aber mittlerweile eben nicht mehr so neu.

In guten und überwiegend schlechten Zeiten – Kutten-Kalli und seine Lilien

Seit seinem ersten Stadionbesuch im Jahr 1978 (wer gewann da nochmal das Double?) lebt das Darmstädter Urgestein Karl-Erich Krepper alias Kutten-Kalli für seine Lilien. Seit mittlerweile fast vier Jahrzehnten reist der Kuttenträger seinem Verein durch die Lande hinterher, lange Zeiten in den Niederungen, seit Sommer auch wieder im Oberhaus des deutschen Fußballs. Der gebürtige Darmstädter war natürlich auch bei der ersten Bundesligaspielzeit der Lilien im Jahr 1978 dabei, als die Feierabendfußballer aus Darmstadt im Konzert der Großen mitmischten. Kutten-Kalli ist der Meinung, dass der sofortige Wiederabstieg damals durchaus hätte verhindert werden können.

„Meiner Meinung hat die Vereinsführung damals einen entscheidenden Fehler begangen. Man hätte sich auf einige wenige Sponsoren konzentrieren müssen, um den Anforderungen der Bundesliga gerecht zu werden, konkreter heißt das natürlich, die Mannschaft zu verstärken. Wenn sich die drei großen Sponsoren (die Firmen Merck, Röhm und Schenk) zusammengetan hätten, dann hätte Darmstadt 98 sich wahrscheinlich etwas länger in der Bundesliga gehalten.“

Dem war natürlich nicht so und dementsprechend mussten die Lilien-Fans Jahrzehnte lang wieder auf positive Nachrichten rund um ihren Verein warten. Dass dabei der ein oder andere dem Verein den Rücken zuwandte, ist mehr als nur zwangsläufig. Für Kutten-Kalli, seines Zeichens Allesfahrer, sind insbesondere die letzten zehn Jahre der Vereinsgeschichte eine absolute Achterbahnfahrt gewesen. Der Fast-Insolvenz im Jahr 2008 folgte eine einzigartige Sammelaktion der Fans, um die nötigen Gelder für ihren Verein zu beschaffen. Dass dies gelingen konnte, ist für ihn heute verständlicherweise immer noch ein großer Erfolg:

„Die aktive Fanszene von Darmstadt 98 hat sich damals zusammengetan, um den Verein in dieser Notlage zu unterstützen, um in kürzester Zeit so viel Geld wie möglich zu erwirtschaften, damit die Lücken in der Bilanz geschlossen werden konnten. Im Jahr 2009 habe ich zusammen mit einem Studenten und ein paar Freunden einen Bildband über meine Kutte und meine Liebe zu den Lilien erstellt. Anfangs war es nur eine Seminararbeit, doch am Ende wurden daraus 1200 Exemplare, die sehr schnell verkauft wurden und somit dem Verein Geld gebracht haben.“

Mithilfe von Prominenten, Sponsoren und auch den Bayern, welche frei nach Uli Hoeneß ihrer sozialen Verpflichtung (ähem) nachkamen und zu einem Freundschaftsspiel in Darmstadt gastierten, kamen die erforderlichen 1,5 Millionen Euro zusammen. Doch damit hört es mit dem Engagement nicht auf: Kutten-Kalli reinigt wie sonst auch vor dem Heimspiel gegen den effzeh die Haupttribüne und bekommt dafür vom Verein eine Dauerkarte zur Verfügung gestellt – ein in der Bundesliga wohl einmaliger Vorgang. Generell ist das Ehrenamt eine der wesentlichen Säulen, auf die sich der Verein stützt, da viele Fans leidenschaftlich für ihren Verein Zeit opfern, um das Geld für externe Dienstleister sparen zu können. Man kann schon verstehen, wieso Fußball-Romantiker in Darmstadt Anknüpfungspunkte finden, man denke nur an die Outsourcings- und Vermarktungsmaschinerien an anderen Bundesligastandorten…Natürlich mit der Einschränkung, dass der SVD am Freitag in einem Sondertrikot gegen den effzeh antreten wird. Dazu kann jeder seine eigene Meinung haben.

Foto-Credit: Kalli Krepper (Facebook)

Foto-Credit: Kalli Krepper (Facebook)

Für die Entwicklung der letzten Jahre macht Kutten-Kalli jedenfalls neben Präsident Kessler den ehemaligen Kölner und jetzigen Cheftrainer der Lilien Dirk Schuster verantwortlich. Seinen Fähigkeiten auf dem Trainingsplatz und in Sachen Menschenführung waren Grundvoraussetzung für die Darmstädter Aufstiege. „Dirk Schuster hat es geschafft, eine Mannschaft zusammenzustellen, die nicht nur sportlich erfolgreich ist, sondern auch zu Verein und Fans passt. Nirgendwo sonst ist es so familiär wie in Darmstadt, nirgendwo sonst kommt man so nah an die Mannschaft heran“, lobhudelt der Kuttenträger über seinen eigenen Verein. Dass durch den Aufstieg ein anderes, ein neues Publikum angezogen wird, welches sich in den harten Jahren in der Regionalliga keinen Deut um die Lilien scherte, stört den Hardcore-Fan nicht. Das gestiegene Interesse am Verein freut ihn eher:

„Es sind definitiv jetzt mehr Leute da, die sich vor zehn Jahren nicht die Bohne für den Verein interessiert haben, eben genau weil er damals in niedrigeren Klassen gespielt hat. Aber was viel wichtiger ist: durch die Aufstiege sind viele Leute zurückgekommen, die in den Achtzigern oder Neunzigern da waren. Das waren natürlich vorrangig Rentner, die jetzt wieder dabei sein wollen. Man merkt das natürlich auch daran, dass die Leute nicht mehr so leicht an Karten kommen.“

Q.e.d, wie immer für ein Heimspiel wird das Stadion gegen den effzeh ausverkauft sein.

Die Lilien an sich – eine konkurrenzfähige Bundesligamannschaft mit eigenen Mitteln

Foto-Credit: 1.FC Köln (Youtube-Channel)

Foto-Credit: 1.FC Köln (Youtube-Channel)

Dass Darmstadt als Aufsteiger bereits 14 Punkte auf dem Konto hat, war von vielen wie gesagt vor Beginn der Saison so nicht erwartet worden. Die Lilien haben es geschafft, ein für die Qualitäten ihres Kaders ausgerichtetes Spielsystem zu finden, in dem die Aufgabenstellungen klar verteilt und die Marschrouten eigentlich immer dieselben sind. Etwaiges Gerede um eine mögliche Krise lässt Trainer Dirk Schuster dabei komplett kalt. Im Interview mit der Hessenschau betont er, dass alle bisherigen Ziele erreicht wurden und die Stimmung im Team nach wie vor sehr gut sei.

Wie diese Ziele erreicht werden, ob mit schönem oder destruktivem Fußball ist ja auch prinzipiell egal, das ging dem effzeh in der vergangenen Saison nicht anders. Schaut man ein Spiel der Darmstädter, fällt sofort der englische Stil auf: hoher Einsatz, viel Aggressivität im Zweikampf, route one im Spiel nach vorne (eine Passquote von 56% spricht Bände und lässt Pep wahrscheinlich frösteln) sowie ein starker Fokus auf Standardsituationen, denn die Lilien erzielen 43% aller Tore nach einem ruhenden Ball. Eine entscheidende Rolle im Offensivspiel kommt Marcel Heller zu, einem gebürtigen Bergheimer, welcher immerhin ein Jahr in der effzeh-Jugend verbracht hatte und durch seine extremen Tempoläufe die meiste Gefahr heraufbeschwört.

Der effzeh könnte nach den vier Punkten aus den vergangenen beiden Spielen einen weiteren bedeutenden Schritt in dieser Saison machen, falls man in Darmstadt gewänne. Ansonsten gibt es nicht viel über die Situation des effzeh zu berichten, der Kader ist soweit komplett, niemand ist verletzt und eine ruhige, positiv verlaufende Saison wird einzig und alleine dadurch getrübt, dass der effzeh keine Chancenverwertung wie eine Spitzenmannschaft hat. Das ist zwar blöd, aber eine Realität. Um dem entgegenzuwirken, war unter der Woche Sportpsychologe Werner Zöchling aus Österreich am Geißbockheim, um mit den Jungs zu besprechen, wie es denn nun wieder klappen könnte mit dem Toreschießen. Freitag wäre ein guter Zeitpunkt, um damit anzufangen.

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