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Analyse

Analyse des Pokal-Aus: Rotation um der Rotation Willen beim 1. FC Köln?

Verpokert bei der Aufstellung? Taktisch daneben gegriffen? Nach dem Aus im DFB-Pokal wird beim 1. FC Köln viel über die Aufstellung gegen den Hamburger SV diskutiert. Wir schauen uns die taktische Überlegungen hinter der Rotation genauer an.

Foto: Alex Grimm/Getty Images

Dramatisch ist der 1. FC Köln aus dem DFB-Pokal ausgeschieden: Im Elfmeterschießen scheiterten die “Geißböcke” im eigenen Stadion am Hamburger SV, die Kölner hatten sich erst in der Nachspielzeit der Verlängerung überhaupt in die endgültige Entscheidung retten können. Anthony Modeste verwandelte einen schmeichelhaften Strafstoß zum Ausgleich, nachdem Robert Glatzel den Außenseiter aus der 2. Bundesliga zuvor in Führung geköpft hatte. In der regulären Spielzeit vergaben beide Mannschaften genügend aussichtsreiche Chancen, die Partie bereits nach 90 Minuten für sich zu entscheiden.

FC-Coach Steffen Baumgart hatte die Mannschaft im Pokal – wie bereits in der 2. Runde gegen den VfB Stuttgart – ordentlich durchgewürfelt und Spielern wie Kingsley Schindler oder Jannes Horn die Chance gegeben, sich einmal von Anfang an zeigen zu können. Trainer tun dies öfters, um der Mannschaft zu signalisieren, dass es keine klare erste Elf gibt und um Leuten wie Schindler, die zuletzt als Joker überzeugten und sich im Training reinhängen, ein metaphorisches Zückerli zuzuwerfen. “Ich kann ja nicht von meinem Kader sagen, dass ich glaube, ich habe keinen Kader A und B, sondern dass ich einen ausgeglichenen Kader habe. Wenn ich den Jungs das vermitteln will, dann muss ich das auch machen”, betonte Baumgart auch nach der Partie.

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Eine Elf fast voller gestandener Profis

Daher mag all dies auch in den Gedanken Baumgarts eine Rolle gespielt haben, jedoch wird dieser Artikel versuchen darzulegen, ob die Rotation nicht auch einem Matchplan gefolgt ist. Zunächst einmal muss man festhalten, dass in der ersten Elf gegen den HSV Spieler auf dem Platz standen, die in Summe sage und schreibe 669 Bundesligaspiele über ihre gesamte Karriere hinweg absolviert haben – im Durchschnitt sind das knapp 61 Spiele pro Mann, und diese Statistik wird von den derzeit konkurrenzlosen Timo Hübers und Marvin Schwäbe sogar noch nach unten gezogen, da diese noch recht neu sind in Deutschlands höchster Spielklasse. Aber selbst ein Jungspund wie Jan Thielmann hat bereits 52 Bundesligaspiele auf der Habenseite. Man kann hier also weder von einer unerfahrenen Mannschaft noch von einer besseren U21-Mannschaft reden, sondern muss konstatieren, dass fast durchweg gestandene Spieler auf dem Platz standen.

“Trotz der Rotation hatten wir Chancen, um die Tore zu machen. Wenn wir eine Möglichkeit davon nutzen, läuft das Spiel in eine andere Richtung.”

~ Jonas Hector

Auch muss man festhalten, dass die allermeisten Spieler der Startelf vom Dienstag vor der Saison wohl in der erwarteten Elf der meisten Anhänger und Anhängerinnen gestanden hätten – vielleicht bis auf Kingsley Schindler. Aber Sebastian Andersson, Mark Uth, Kingsley Ehizibue, Jannes Horn, Dejan Ljubicic und Jonas Hector wären wohl in vielen Wunschformationen aufgetaucht, da vermutlich niemand die Leistungsexplosion von Benno Schmitz, Anthony Modeste oder Hectors Rückversetzung auf die Linksverteidigerposition vorhersehen konnte. Da auch die Leistungen der Spieler, die gegen Hertha oder die Bayern in der Startelf standen, noch ausbaufähig waren, ist es auch nicht so, als hätte Baumgart die Mannschaft aus einem Leistungs-Flow oder einer Siegesserie gerissen.

Foto: Alex Grimm/Getty Images

Und letztlich enttäuschten gerade jene Spieler, die in dieser Saison häufig in der Startelf standen: Mark Uth, Sebastian Andersson und Ondrej Duda nach Einwechslung sind hier zu nennen. Aber in diesem Artikel soll die Rotation gar nicht unbedingt verteidigt werden. Mit dem Wissen der Rückschau ist ja offensichtlich, dass sie nicht funktioniert hat und der FC über die gesamten 120 Minuten hinweg eine der schwächeren Saisonleistungen gezeigt hat. Viel mehr möchte dieser Artikel Überlegungen anstellen, welche taktischen Gründe Baumgart zu genau dieser Aufstellung bewogen haben.

Die Außen als geplanter Schlüssel

Nun ist Steffen Baumgart nicht zwingend dafür bekannt, seine Mannschaft an den Stärken und Schwächen des Gegners auszurichten – wer mit einer alleinigen Sechs und eher langsamen Außen gegen die Bayern spielen lässt, steht wahrlich nicht in diesem Verdacht. Hier hat der FC-Coach aber dennoch eine Mannschaft gewählt, die – auf dem Papier – sehr gut zu den Schwächen des Gegners gepasst hat: Der HSV unter Tim Walter spielt konsequent in einem 4-3-3. Dieses System soll es den Hanseaten ermöglichen, auf dem Platz möglichst viele Dreiecke zu bilden und so den Ballbesitzansatz Walters forcieren. Es ermöglicht außerdem ein sehr variables Pressing in verschiedenen Zonen des Platzes und ermöglicht relativ schnelles Überladen des Mittelfeldes – ohnehin hat man dort ja immer einen Mann mehr als ein Gegner, der im 4-4-2 spielt, da sich die beiden Außen der Sturmdreierreihe zurückfallen lassen können. Nicht umsonst bevorzugen Weltklassetrainer wie Jürgen Klopp oder Pep Guardiola dieses System.

Es hat aber auch klare Schwächen, die der FC gerade in den guten ersten 20 Minuten relativ schonungslos offenlegen konnte: So stehen die beiden Hamburger Außenverteidiger oft alleine gegen die gegnerischen Flügelspieler und -verteidiger. Gerade wenn beide gemeinsam angreifen, kann es für die Außenverteidiger schwer werden, ihre Seite dicht zu bekommen – auch da sie von ihren Vorderleuten weniger Unterstützung erwarten können als etwa in einem 4-4-2 mit klareren offensiven Flügelspielern. Eine rückwärtsverteidigende, unterstützende Rolle, wie etwa Jan Thielmann sie im Achtelfinale durchaus ansprechend interpretiert hat, ist im 4-3-3 nicht zu erwarten. Daher macht es aus Baumgarts Sicht absoluten Sinn, seine vier schnellsten Flügelspieler (J. Horn, Ehizibue, Schindler, Thielmann) gemeinsam auf den Platz zu schicken – mit dem klaren Auftrag, Heyer und Muheim öfters zu überlaufen.

Foto: Alex Grimm/Getty Images

Ferner scheint es auch plausibel, einen der beiden großgewachsenen Kopfballspieler für die vorderste Reihe zu bringen. Und wenn man Modeste in einer Englischen Woche mal eine Verschnaufpause gönnen möchte, bleibt da ja nur noch Andersson. Dass die beiden Außenverteidiger des HSV aber eine überdurchschnittlich gute Partie zeigten, der FC den Weg über die Flügel nicht immer konsequent wählte und zudem Sebastian Andersson überhaupt keine Strafraumpräsenz hat und seine einzige Kopfballchance aus dem Spiel heraus (49.) eher kläglich vergab, war hingegen sicher nicht Teil des Matchplans.

Die Gedanken hinter der Zentrumsbesetzung

Zumindest aber der Grund, warum der sonst so prägnante Flügelfokus fehlte, lag auch in der Rückversetzung Hectors auf die defensive Sechs, denn wo der Kapitän ist, da liegt in der Regel die Dominanz des 1. FC Köln. Spielt er also in Nähe der linken Außenlinie, wird diese Seite ganz automatisch von seinen Mitspielern gesucht, spielt er im Zentrum, gehen die ersten Pässe vermehrt dahin. Zu dominant, erfahren und wichtig ist der ehemaligen DFB-Nationalspieler einfach für die “Geißböcke”. Daher kann man die Rückversetzung Hectors ins Zentrum sogar als kontraproduktiv für die Idee sehen, die Hamburger Flügel konsequent zu bespielen. Diesen „Fehler“ hat Baumgart daher auch nach 60 Minuten korrigiert und Hector zurück auf den defensiven Flügel beordert.

Der Aufstellung Uths und Ljubicics lag zudem eine weitere Idee zugrunde, wie man den Tim-Walter-Ball in deren Aufbausituationen bespielen kann: Der HSV-Coach hat seinen Mannen konsequent verordnet, immer kurz aufzubauen. Torwart Daniel Heuer Fernandes sollte immer entweder Sebastian Schonlau oder Mario Vuskovic suchen, die ihrerseits kurz im Strafraum standen. So soll der gepflegte Aufbau dem langen Ball vorgezogen werden. Für eine vorwärtspressende Mannschaft wie den Baumgart-FC ist dies eigentlich ein gefundenes Fressen und die ersten 20 Minuten zeigten viele verheißungsvolle Ballgewinne in den gefährlichen Zonen. Ein solcher führte etwa auch zu der Riesenchance durch Mark Uth in der 21. Minute (die dieser allzu kompliziert vergab).

Foto: Alex Grimm/Getty Images

Daher ist es auf dem Papier aber auch sehr sinnvoll, eben jenen Uth als umtriebigen Freigeist aufzubieten, der die HSVer immer wieder in deren Aufbausituationen nerven sollte und sein verbessertes Anlaufverhalten nutzen zu wollen. Ihm den besten Anläufer des Kaders – Dejan Ljubicic – zur Seite zu stellen, ist daher auch nur konsequent und entspringt einem klaren Matchplan, der eigentlich sehr gut zu den Schwächen des ehemaligen Bundesliga-Dinos passen könnte. Dass es nicht gelingen sollte, war viel eher der Tagesform der einzelnen Akteuere geschuldet als der Rotation an sich.

Baumgarts Idee war plausibel, aber nicht erfolgreich

Es gilt ganz nüchtern festzuhalten: Niederlagen beziehungsweise wie hier sehr glückliche Unentschieden sind niemals nur monokausal zu betrachten. Sicherlich hätte die Mannschaft mit einem Anthony Modeste von Anfang an mehr Torgefahr versprühen können, mit einem Ondrej Duda vielleicht mehr Spielwitz oder mit einem Benno Schmitz bessere Flanken von rechts. Aber trotz allem sind Baumgarts Überlegungen, so wie sie hier versucht worden sind nachzuzeichnen, nicht unplausibel und ganz sicher keine Rotation um der Rotation Willen. Es gilt letztlich ganz einfach: Macht Mark Uth diese eigentlich hundertprozentige Chance in der 21. Minute und hat Daniel Heuer Fernandes gegen Anderssons Kopfball in der 7. Minute nicht gerade einen Sahnetag, würden wir vermutlich ganz anders über die Rotation, den Matchplan und das Spiel als Ganzes reden.

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