Stephan Schell ist eines der Gesichter der Südkurve des 1. FC Köln. Der Vorsänger der Ultra-Gruppe “Wilde Horde” organisiert an Spieltagen den Support, sitzt im Vorstand des Vereins “Südkurve 1. FC Köln” und kämpft für den Erhalt der Fankultur. Auch für ihn hat sich durch die Corona-Pandemie einiges verändert. Wir haben mit ihm über die Rolle der Ultras in dieser Zeit, den Zustand des 1. FC Köln und Zukunftsängste gesprochen.
effzeh.com: Das letzte Mal hatten wir im März miteinander gesprochen, als noch niemand so genau wusste, was die Covid-19-Pandemie für Deutschland und den Profifußball bedeutet. Mittlerweile sind fast acht Monate vergangen und es sieht nicht danach aus, als würden die Zuschauer*innen und Ultras bald wieder ins Stadion zurückkehren. Wie habt ihr die letzten Monate verbracht?
Stephan Schell: Einige von uns haben notwendige Renovierungsarbeiten an den Räumlichkeiten vorgenommen. Ansonsten gab es ein paar soziale Aktionen wie beispielsweise das Mithelfen bei der Essensausgabe im Priesterseminar. Darüber hinaus machten wir an der ein oder anderen Stelle noch zu verschiedenen Themen auf uns aufmerksam. Teilweise auch überregional und im Rahmen einer einmaligen Aktion sogar weltweit. Trotz oder vielleicht gerade wegen der aktuellen Lage ist es wichtig, das Treiben der Funktionäre kritisch zu begleiten. Unabhängig davon fehlt den Gruppen der Südkurve natürlich das Stadionerlebnis und es ist ihnen bewusst, dass sich dieser Umstand noch lange hinziehen kann.
Monatelang kein Fußball im Stadion, dazu nur eingeschränkte Aktivitäten – muss man sich darüber Sorgen machen, dass sich in der Kölner Ultra-Szene Gruppen auflösen und Menschen sich anderen Interessen zuwenden?
Jede Gemeinschaft hat mit Fluktuation zu kämpfen. Diese Tatsache hat mit Corona erstmal nichts zu tun. Die Situation ist für alle außergewöhnlich und bietet natürlich die Gelegenheit, dass sich Leute anderen Interessen zuwenden. Ich glaube aber nicht, dass die Leute wegbrechen, auch wenn ich das sicherlich erst dann erkennen kann, wenn ich irgendwann wieder in der Kurve stehe. Die letzten Monate haben mir zumindest gezeigt, dass eine funktionierende Fanszene auch ohne Profifußball auskommen kann. Das Leben mit dem Verein und in der Stadt gehen schließlich weiter, auch wenn man nicht ins Stadion kann.
Welche Rolle spielen die Fans in der derzeitigen Krise?
Das DFL-Präsidium hat vor kurzem eine “Taskforce Zukunft Profifußball” ins Leben gerufen, in der Expert*innen aus den verschiedensten Bereichen zusammenkommen, um über die zukünftige Ausrichtung des Profifußballs zu debattieren. Wie hast du die Zusammensetzung der Arbeitsgruppen aufgenommen?
Ich muss gestehen, dass ich mich nicht so intensiv damit beschäftigt habe. Von daher habe ich die Zusammensetzung nur kurz überlesen.
Was versprichst du dir von dieser Arbeitsgruppe?
Es liegt mir fern, die an dieser Runde teilnehmenden Vertreter der Fanorganisationen für ihr Mitwirken zu kritisieren, indem ich an dieser Stelle jetzt eine destruktive Antwort abgebe. Von daher möchte ich mich bei diesem Thema zurückhalten und wünsche denjenigen, die seit Jahren für Verbesserungen eintreten, die auch ich befürworte, viel Erfolg.
Der FC ist unterdessen fast schon traditionell schlecht in die Saison gestartet. Mittlerweile ist die Mannschaft von Trainer Markus Gisdol seit 16 Spielen ohne Sieg. Würde die Unterstützung durch die Ultras daran etwas ändern können oder muss man sich wieder mit dem Abstiegskampf abfinden?
Bevor ich die Frage beantworte, möchte ich klarstellen, dass ich ein Problem damit habe, wenn man Ultras überhöht oder den Gruppen nachsagt, dass sie für alle Fans sprechen. Mir geht dieses ganze Gelaber auf den Sack. Von daher ist es mir wichtig, derartige Hirngespinste aus der Welt zu schaffen. Die Ultras, wie auch der Rest der aktiven Szene, verstehen sich als ein Teil der Fanlandschaft des 1. FC Köln. Und dass diese in ihrer Gesamtheit nun mal zum FC gehört…naja, ich glaube daran besteht kein Zweifel. Fußball ohne Fans ist für mich keine Alternative.
“Die Lage des 1. FC Köln ist angespannt”
Jedoch will ich den Einfluss der Fans auf die Ergebnisse nicht überbewerten. Ob die Mannschaft mit vollen Rängen jetzt komplett anders spielen würde, kann ich nicht sagen. Vielleicht wäre der ein oder andere Punkt mehr auf dem Konto, aber um die Meisterschaft würden wir trotzdem nicht mitspielen. Man wird sich für diese Saison mit dem Kampf um den Klassenerhalt abfinden. Alles andere wäre fern der Realität. Ich tue mich in diesem Zusammenhang übrigens schwer damit, dass der Fokus auf das leere Stadion gelenkt wird, anstatt sich damit zu beschäftigen, warum die Kassen leer sind und die Tabellensituation trotzdem alles andere als zufriedenstellend ist.
Rund um den 1. FC Köln und den Mitgliederrat lief im September eine Kampagne, die im Rücktritt von dessen Vorsitzendem Stefan Müller-Römer endete. Danach entbrannte sich eine Diskussion um die Rolle der Demokratie im Verein. Wie hast du diese Entwicklung wahrgenommen?
Die sportliche sowie finanzielle Lage des 1. FC Köln ist angespannt. Das liefert natürlich den besten Nährboden für Diskussionen. Ich differenziere allerdings zwischen berechtigter Kritik und Positionierungen aufgrund eigener Interessen. Für mich steht fest, dass es Personen im Umfeld des Vereins gibt, denen es überwiegend um wirtschaftliche Belange und um Abhängigkeiten geht. Wenn ich mir beispielsweise die Ausführungen aus dem Kreise der Spielerberater und Ex-Manager in haargenau denselben Medien durchlese, die schon unter dem alten Vorstand ins gleiche Horn gestoßen haben, ist klar, mit welcher Intention hier vorgegangen wird. Diese Kreise befürworten den Anteilsverkauf, um sich die Taschen noch voller machen zu können.
Darüber hinaus muss man sehen, dass vom alten Vorstand viel verbrannte Erde hinterlassen wurde. Jahrelang wurde einiges investiert, um den Verein zu spalten und Mitglieder zu diffamieren, die sich für Mitbestimmung und Kontrolle einsetzen. Vorhandene Probleme an diesen Mitgliedern anstatt an den verantwortlichen Personen auszumachen, um dabei von den eigenen Fehlern abzulenken, hat leider Tradition. Dass beim FC zu viele Leute das sagen hätten, ist ein Ammenmärchen. Der FC hat nicht mehr Gremien als andere Vereine und die Zuständigkeiten sind klar geregelt. Die Mitgliederversammlung ist das höchste Organ, wählt den Vorstand und dieser bestellt die Geschäftsführung. Diese leitet die Geschicke der Kapitalgesellschaft und ist somit für die Entscheidungen in diesem Bereich auch verantwortlich. Die finanzielle und sportliche Lage hängt also an den dafür autorisierten Personen und nicht an der demokratischen Struktur.
Stephan Schell über die wichtigen Personalien beim 1. FC Köln
Mit Ho-Yeon Kim als neuem Vorsitzendem und Christian Hoheisel als Stellvertreter vertritt fortan ein neues Duo den Mitgliederrat. Was erwartest du von den beiden?
Der Mitgliederrat überwacht und berät, aber er entscheidet nicht. Insofern erwarte ich von den beiden, dass sie dieser Aufgabe nachkommen und sich im Rahmen ihrer Möglichkeiten für die Interessen der Mitglieder einsetzen.
Das Thema Demokratie im Verein wird auch heiß diskutiert, wenn es um die Durchführung einer virtuellen Mitgliederversammlung geht. Wie stehst du dazu, dass Mitglieder auch online abstimmen können? Oder bevorzugst du eine Präsenzsitzung?
Gerade in der letzten Zeit ist mir wieder klar geworden, dass unmittelbarer Dialog durch nichts zu ersetzen ist. Jeder, der schon mal eine Diskussion im Internet mitbekommen hat, müsste das wissen. Von daher sehe ich virtuelle Debatten und Abstimmungen grundsätzlich kritisch. Durch die gestiegenen Infektionszahlen müssen wir derzeit allerdings nicht über eine Mitgliederversammlung diskutieren. Wenngleich ich keine Sorgen habe, dass auch bei einer virtuellen Versammlung die argumentativ cleveren Inhalte von den Mitgliedern befürwortet werden, sehe ich bei diesem Thema viele Unwahrheiten herumgeistern. Dass die Ultras diese Veranstaltung dominieren würden, ist beispielsweise ganz großer Schwachsinn.
Auf der Mitgliederversammlung soll Carsten Wettich als neuer Vizepräsident gewählt werden. Glaubst du, er ist der richtige Mann dafür, das Vorstandsduo um Werner Wolf und Eckhard Sauren zu ergänzen?
Wenn ich das jetzt bejahen würde, muss er sich wahrscheinlich von einigen Jecken da draußen nachsagen lassen, dass er zu nah an der Fanszene sei. Ob jemand der richtige für die Position ist, weiß man sehr oft erst im Nachhinein. Mehr möchte ich dazu nicht sagen.
Kommt der 1. FC Köln durch “Schnellschüsse” von seinem Weg ab?
Der Vorstand war generell etwas ruhiger in den letzten Wochen, meistens wurde Finanz-Geschäftsführer Alexander Wehrle vorgeschickt, wenn es etwas zu kommunizieren gab. Wie beurteilst du die Rolle Wehrles für die KGaA, aber auch für den Verein insgesamt?
Ich finde, dass es hier weniger um Öffentlichkeitsarbeit, als um die Verteilung der Rollen geht. Die Geschäftsführung und Mitarbeiter der Geschäftsstelle müssen begreifen, dass auch sie sich dem Verein und seiner Satzung unterordnen zu haben. Die Mitgliederversammlung des 1. FC Köln ist keine Alibiveranstaltung, sondern die Versammlung der Eigentümer. Hier werden der Vorstand und der Mitgliederrat gewählt und die Weichen gestellt. Das muss von allen akzeptiert werden.
Was ist deine größte Befürchtung für die Zukunft des 1. FC Köln? Die Pandemie wird uns die gesamte Saison über begleiten, eine Rückkehr der Fans ins Stadion ist nicht abzusehen…
…und der FC wird Meister. Irgendwann jedenfalls. Und zwar als ein demokratisch geführter Verein, der zu 100% unabhängig bleibt und seinen Mitgliedern gehört. Ein Club, in dem Engagement nicht irgendeine Floskel ist, sondern aktiv gelebt wird. Ich bin restlos davon überzeugt, dass der FC mit diesem Weg, nicht nur ein Alleinstellungsmerkmal hat, sondern bei guter Steuerung damit auch erfolgreich sein kann. In diesem Sinne ist meine größte Befürchtung vielleicht, dass man durch eventuelle Schnellschüsse, die dann mit den Folgen der Pandemie begründet werden, von diesem nachhaltigen und langfristigen Weg abkommt.